Schwarzer, Ralf (Hrsg.): MultiMedia und TeleLearning – Lernen im Cyberspace

Schwarzer, Ralf (Hrsg.): MultiMedia und TeleLearning – Lernen im Cyberspace, Campus Verlag Frankfurt/M, New York 1998. 235 Seiten.

Themen: DBS, MTS, Personale Kommunikation, Telelearning, Teletutoring, Virtual Reality.

Abstract
Unter pädagogischen Gesichtspunkten werden Grundstrukturen zukünftigen Lernens diskutiert.

Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Telelernen mit Multimedia in der Informationsgesellschaft — S. 9

I Der Ausbilder kommt durchs Telefonnetz: Effektives Lernen
am Arbeitsplatz — S. 19

II Revolution im Bildungswesen: Lifelong Learning vor dem
Bildschirm — S. 103

III Unterrichtswissenschaft für innovatives Lernen: Autonomie und
Motivation — S. 181 – 213

Bewertung
Ein orientierendes Grundlagenbuch rund um das Telelearning.

Inhalt

Einleitend umreißt Ralf Schwarzer den Begriff des Telelearnings: „Telelearning ist ein Bildungsprozess, der aufgrund von elektronischen Fernverbindungen zwischen Personen und Lerngegenständen (Informationen) zustandekommt.“ (S. 11)
Diese weite Bestimmung lässt für Schwarzer Raum für sehr unterschiedliche pädagogische Szenarien. Das Absolvieren eines Fernstudiums kann darunter fallen, eine Beratung per E-Mail bzw. Teletutoring, womit die unmittelbare Einbeziehung einer Lehrperson impliziert ist, auch eine dem Lernen dienende Videokonferenz; ebenso könne man kreatives Publizieren im Web als Telelearning auffassen. Die Lerneffekte können gleichermaßen unterschiedlich sein, indem sie vom zufälligen Lernen — incidental learning — bis zu strikt geplantem Lernen reichen. Das Spektrum pädagogischen Verhaltens kann beschrieben werden zwischen den Polen Autonomie hier und Benutzerführung dort. Letztere sieht Schwarzer als kritischen Punkt speziell in der betrieblichen (Weiter-) Bildung, die unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten steht. Im Übrigen plädiert Schwarzer für eine partizipativ und ganzheitlich angelegte betriebliche Fortbildung.

I Revolution im Bildungswesen …
Das modulare Trainingssystem MTS (ein Produkt des Fraunhofer-Instituts für graphische Datenverarbeitung), mit dem sehr verschiedene Aspekte des Lernens integriert werden sollen, wird von Hornung, Schrödter, Wang und Borgmeier vorgestellt. Es ist eine inter- und intranetbasierte Plattform, die Kursinhalte, Kurslayout und Kursstruktur (Ablauf) als Ebenen unterscheidet; großen Wert legen die Autoren darauf, dass nicht nur Mensch-Maschine-Interaktionen, sondern auch kursbezogene Mensch-Mensch-Interaktionen realisiert werden können. Da der Aufwand zur Erstellung von Courseware erfahrungsgemäß außerordentlich hoch ist (zur Erstellung von 1 Programmstunde rechnen die Autoren mit 400 Programmierstunden — S. 22), ist im MTS das Augenmerk auf Mehrfachnutzung von Material innerhalb eines Kurses und Wiederverwendung für weitere Kurse gelegt. Die Kursmaterialien sind über mehrere vernetzte Server in Europa verteilt, wobei jeder Server um des schnellen Zugangs willen die Materialien der anderen Server lokal speichert. Zu jedem Material gibt es einen eineindeutigen Namen und zur Klassifizierung des Objekts eine Selbstbeschreibung. (S. 23 – 34).
Gedacht wird beim Einsatz des Systems vor allem an kleine und mittlere Unternehmen; dabei wird die Möglichkeit unterstrichen, beim Arbeiten mit dem System im Bedarsfall einen Experten als Tutor heranziehen zu können. In der Grundlinie soll das Prinzip der individuellen Kurssteuerung gelten.

Über das interaktive Lernmodell Cabs. (computer aided business simulation) berichtet Jörg Neubauer. Mit dem Modell sollen interaktive Lerninhalte aus dem Bereich Betriebswirtschafts- und Managementlehre zu minimalen Kosten selbständig erstellt und (weltweit) distribuiert werden können. Nach dem Vorbild eines Flugsimulators werden betriebliche Abläufe, z.B. Herstellung von Autos, auf einer Plattform simuliert, die von allen Anwendern kostenlos (!) genutzt werden kann. Das Cabs.-Programm dient Trainern als ‚Werkzeugkasten‘, der modular auf individuelle Bedarfe hin benutzbar ist. Gelernt wird — und dies macht das Konzept von der Anlage her kostengünstig — in der Form des „Learning by Doing“. (S. 41 – 51)
Cabs. wurde mit dem Deutschen Bildungssoftware Preis ausgezeichnet.

Eine Virtual Reality-Technologie für virtuelle Organisationen legen Claudia Alsdorf und Edouard Bannwart, letzterer von Haus aus Architekt, dar. Diese Organisationsform wird mithilfe dreier Merkmale beschrieben: (zeitlich begrenzte) Kooperation unabhängiger Einheiten; Telekommunikation; weitgehender Verzicht auf zentrale Managementfunktionen. (S. 74)
Virtual Reality- oder VR-Technologie bedeutet für die Autoren ein als dreidimensionaler Raum repräsentiertes Simulationsmodell, das durch Manipulation eines Benutzers interaktiv veränderbar ist; durch ‚Eintauchen‘ (Immersion) in die Datensätze des Modells, so die zugrunde liegende Philosophie, kommt die räumliche Wahrnehmung zustande.
„Virtual Reality erlaubt das direkte Erleben der eigenen Interaktion mit einer virtuellen Umgebung.“ (S. 77) Hierzu sind geeignete Navigationshilfen erforderlich; dann kann, wie die Autoren betonen, die menschliche Raumorientierung auf die Navigation in einem virtuellen Raum übertragen werden.
Als Anwendungsbeispiel wird die Metapher ‚Stadt‘ im Konzept von „CyberCity“ vorgestellt. Das modellhafte Erscheinungsbild einer Stadt dient dabei als Raum eines Browsers, mit dessen Hilfe man auf möglichst individuelle Weise und möglichst anschaulich an Informationen, die an irgendeinem Ort der ‚Stadt‘ erwartet werden, herankommen kann. Unterstützt wird dies durch hierarchisch gegliederte Wahrnehmungsschichten, bei denen beispielsweise ein Quartier (repräsentiert durch einen Bebauungsplan) einem Gebäude (repräsentiert durch eine Bauakte) übergeordnet ist. Über Orientierungs- und Informierungszwecke hinaus können in diese VR-Technologie auch virtuelle Repräsentanten (Avatare) eingebaut werden, die, von einem realen Telekommunikationspartner gesteuert, miteinander in verschiedener Weise kommunizieren. Zum Beispiel können sich jene Repräsentanten in einem Arbeitsraum treffen, wo sie für alle Beteiligten sichtbar ein Objekt bearbeiten; nötig ist dazu, dass die Repräsentanten mit sogenannten 3D-Toolboxen ausgestattet sind, die über ein 3D-Menü dem Nutzer als Werkzeuge zur Verfügung stehen.
Erwartet wird, dass das Kommunikationsmedium der Virtual Reality in Zukunft virtuellen Unternehmen bei der Gestaltung ihrer Organisationsstruktur Hilfestellung leisten werden.

II … Lifelong Learning
Die Situation im universitären Online-Studium behandelt Ludwig Issing. Es gibt hier Angebotsübersichten (World Lecture Hall, Global Network Academy), Angebote von US-amerikanischen und anderen Hochschulen und hochschulexterne Angebote (z.B. Microsoft Online Institut). Die Lerner scheinen jedenfalls in den USA zum großen Teil Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen zu sein; per E-Mail oder live per Desktop-Videokonferenz besprechen sie ihre Kursangelegenheiten mit Tutoren und können teilweise auch Prüfungen ablegen (dabei Zertifizierung ein Thema).
In Deutschland sind die meisten Universitäten wenigstens mit einer Home Page im Netz präsent. In der FernUniversität Hagen bieten alle Fachbereiche Kurse im Internet an; dabei ist das Angebot in eine virtuelle Umgebung eingebettet, die ‚Bibliothek‘, ‚Vorlesungssaal‘, ‚Cafeteria‘ etc. enthält. Die Universität Erlangen-Nürnberg bietet (im Pilotstadium) ein telekooperatives Informatik- und Betriebswirtschaftsstudium an. Auch im Virtual College in Berlin/Brandenburg hat man seit gut fünf Jahren reiche Erfahrungen mit Online-Studienmöglichkeiten; und hier wurde auch eine Befragung der Studierenden dazu durchgeführt. Sie ergab, dass technische, terminliche, organisatorische und konzeptionelle Probleme (noch) im Vordergrund standen. (S. 115)
Zu erwarten ist die weitere Verbreitung von Online-Studienangeboten. Dabei werden laut Issing die Hochschulen in Konkurrenz mit hochschulexternen Anbietern um Serviceleistungen treten, wobei die Finanzierung langfristig wahrscheinlich in Form von Gebühren erfolgt.

Telelearning am Beispiel der virtuellen Sprachenschule von Berlitz behandelt Stefanie Fischer. Sie sieht eine generelle Tendenz vom rezeptiven Lernen hin zum entdeckenden Lernen, wobei bei letzterem der Lernprozess Erkenntnisprozess wird. In den Berlitzschen Sprachenschulen haben sich vier Arten von Lernumgebungen herausgebildet:
1. One-to-One- Learning oder individuelles Lernen (Lerner — Tutor)
2. Group Learning oder Lernen im Team (A, B, C — Tutor)
3. Interplanet Learning oder betriebsübergreifendes Lernen (Teilnehmer/Betrieb A — Tutor — Teilnehmer/Betrieb B)
4. Cross-Border-Learning oder länderüberschreitendes Lernen (Teilnehmer/Land A — Tutor —Teilnehmer/Land B).
Ziel bei Berlitz ist es, den Vorteil des klassischen Lernens, nämlich Interaktivität, mit dem Vorteil des Telelearnings, nämlich Flexibilität, optimal zu verbinden. Das bevorzugte Lernprinzip ist dabei die „Personale Kommunikation“, ausgedrückt in der (im wahren Wortsinn ‚medialen‘) Beziehung Mensch — PC — Mensch.

EducETH aus der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), dargestellt von Werner Hartmann, Karl Frey, Silvia Ackermann und Michael Stumm, ist im Rahmen der Lehrerausbildung zum Erwerb eines didaktischen Befähigkeitsausweises entstanden.
Ausgangspunkt war die durch eine Untersuchung gewonnene Erfahrung, dass Schweizer Lehrer in ihrer Ausbildung verschiedene Methoden des Gruppenunterrichts kennenlernen, sie in der Praxis aber so gut wie nicht anwenden. Dem sollte abgeholfen werden, indem mit EducETH ein Programm zur systematischen Benutzung von Gruppenunterrichtsmethoden mit Materialien der Sekundarstufe II zur Verfügung gestellt wird; die Methoden reichen von der Harvard Case Study-Methode (für naturwissenschaftlichen Unterricht) über Werkstattunterricht, die Puzzle-Methode (für Unterricht in großen Gruppen) bis zur Projektmethode. Das Gesamtsystem ist nach dem Client-Server Prinzip konzipiert, d.h. es gibt einen Server, auf dem die Dokumente verwaltet und aktualisiert werden, und es gibt die Möglichkeit für den Klienten, die (Hypertext-) Dokumente in einem gängigen Textverarbeitungsformat herunterzuladen.
Für größere Sammlungen von Unterrichtsmaterialien, zum Beispiel Aufgabensammlungen, steht das sogenannte Itembanking bereit: Es können damit Materialien gezielt nach Themenbereich und Schlüsselwörtern, nach Tätigkeitsart der Schüler und Schwierigkeitsgrad der Aufgaben ausgewählt werden, wozu ein entsprechendes Suchformular ausgearbeitet ist.
Die größte Resonanz fand EducETH bisher im Englischunterricht. Was die Zukunft anlangt, prognostizieren die Autoren, dass das mit dem System leicht zu bewerkstelligende elektronische Publizieren im Schulunterricht große Bedeutung erlangen wird.

MURIEL heißt, wie Jens Koblin erklärt, ein multimediales Lern- und Ausbildungssystem, das sich in erster Linie an Bibliotheksspezialisten wendet. Es sollen damit elektronische Dokumentationssysteme interaktiv und kooperativ fernbearbeitet werden können.

Der Deutsche Bildungs-Server (DBS) wird von Peter Diepold vorgestellt. Er ist als dreijähriges Modellprojekt Teil der Initiative „Schulen ans Netz“ und soll ein zentraler Wegweiser für Bildungsinformation und -kommunikation werden und mit anderen Bildungsservern (insbesondere SchulWeb) verbunden werden.
Diepold sieht zwei wichtige, allerdings anspruchsvolle und aufwendige Aufgaben für den DBS. Zum Einen die Herstellung einer Meta-Datenbank, die für verschiedene Personenkreise des Bildungswesens benutzbar sein soll und folgende Arten von Informationen enthält: über pädagogische Institutionen, Initiativen, Modellversuche, Statistik; darüber hinaus Hinweise zu weiteren Bildungsservern, zu Diskussionsforen, zu einschlägigen technischen Hilfen u.ä. Der Zugang hierzu soll frei sein mit der Einschränkung, dass bestimmte Teilinformationen (wie Curriculum-Entwicklung) nur für berechtigte interne Arbeitsgruppen offen sind. Die zweite Aufgabe betrifft die Kommunikation zwischen den Benutzern. Sie sollen spezifische Informationen weitergeben können, Wünsche äußern, Einzelprojekte kooperativ bearbeiten. Hier zeigt allerdings die bisherige Erfahrung bereits, dass solcherart Eingegebenes bald unübersichtlich wird und bei starkem Engagement der Beteiligten der Aufwand für Pflege und Wartung exponentiell steigt. Deshalb schlägt Diepold den — wie er sagt, zukunftsträchtigen — Weg vor, all die Daten aus der Benutzerkommunikation, die für die Meta-Datenbank relevant sein könnten, durch eine spezialisierte Suchmaschine (genannt wird: Harvest) regelmäßig zu durchforsten und die geeigneten Informationen durch die Maschine in die Datenbank übertragen zu lassen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Benutzereingaben von vornherein in bestimmten Standardformularen (Templates), die zum Berichtszeitpunkt im Einzelnen noch auszuarbeiten waren, erfolgen.

III … Innovatives Lernen …
Selbstgesteuertes Lernen ist das Thema von Alexander Geyken, Heinz Mandl, Wilfried Reiter. Soweit solches Lernen nur mit Hilfe eines Computerprogramms stattfindet (CBT), zeigen sich charakteristische Mängel: zum Einen darin, dass ein Computerprogramm in der Regel gegenüber individuellen Lernwegen nicht flexibel genug ist; zum Zweiten, dass sie in den Hilfestellungen oft Defizite haben; zum Dritten, dass sie die Motivation des Lerners nicht lange halten können. Die Möglichkeit der Überwindung dieser Mängel sehen die Autoren im Tele-Tutoring, d.h. unter Lernbedingungen, in denen mit einer Person kommuniziert werden kann, die Hilfestellungen gibt. In verschiedenen Tests habe sich beim Tele-Tutoring gezeigt:
— Die Akzeptanz der Lernsituation war relativ hoch;
— Die Zufriedenheit mit den Anleitungen war groß;
— Es konnten (Wissens-) Lücken gut geschlossen werden.
(S. 186 – 188)

Von medienpsychologischen Gesichtspunkten handelt der Beitrag von Gerdamarie Schmitz. Zunächst werden Grundbegriffe erläutert. Medium: ein beschränkt taugliches Mittel zum Transport von Inhalten. Multimedia: eine Plattform, die verschiedene Arten von Medien integriert. Hypermedia: eine aus Knoten (Datenmodulen) und Verknüpfungen („Links“) bestehende Basis, auf der nach vorgegebenen (Lern-) Pfaden oder frei navigiert werden kann. Wie gelernt wird, dafür gibt es verschiedene Paradigma:
Das der Instruktion, das im Allgemeinen auf die erfolgsorientierte Konditionierungsmethode Skinners zurückgeführt wird, und das der Problemlösung, wo das Handeln des Lerners im Vordergrund steht; bei letzterem Paradigma kann nach Schmitz unterschieden werden zwischen einem kognitivistischen Ansatz, bei dem gegebene Umwelt- bzw. Lernbedingungen als Einflussgrößen eine Rolle spielen, und einem konstruktivistischen Ansatz, in dem das seine Welt selbst erschaffende Subjekt den Blickpunkt der Betrachtung bildet. Auch in Lernprogrammen, so die Autorin, sind diese Grundanschauungen mehr oder weniger sichtbar enthalten.
Im Instruktionsdesign ist nach der ihm zugrunde liegenden Theorie die Zweiteilung in (a) Analyse der Lernbedingungen und (b) Synthese der Lernsituation konstituierend. Zu (a) gehören als gegebene Elemente der Lerner und Rahmenbedingungen des Lernens, als gestaltbare Elemente die Lernumgebung und die Lernaufgabe; all diese Elemente stellen Bedingungen dar für Wissensnutzung, Wissenserwerb, Wissensspeicherung. Zu (b) gehört die zu einer Situation kondensierte Lernaufgabe in einer Lernumgebung (Theorie nach Schott).
Ein Bestandteil der Medienpsychologie ist auch die sogenannte ATI-Forschung (Aptitude-Treatment-Interaction-Forschung), in der es um die Beziehungen zwischen Lerner-Merkmalen und Unterrichts-Merkmalen geht. Eine der Grunderkenntnisse ist hier: hoch leistungsmotivierte Lerner haben einen niedrigen Lernerfolg, wenn sie fremdgesteuert werden; bei niedrig motivierten umgekehrt. (S. 207 f)
Zukunftsweisend ist für die Autorin das Teletutoring. „Das Konzept des Tele-Tutoring verbindet die Vorzüge von Unterricht und autonomem Lernen.“ (S. 211)

19.11.2001; MF