Schröter, Welf: Virtuelle Arbeitsformen und die Flexibilisierung des industriellen Prinzips

Schröter, Welf: Virtuelle Arbeitsformen und die Flexibilisierung des industriellen Prinzips, in: Dengel, Andreas / Schröter, Welf (Hg.): Flexibilisierung der Arbeitskultur. Infrastrukturen der Arbeit im 21. Jahrhundert. Mössingen 1997 (Sammlung kritisches Wissen, Bd. 25), S. 110-124. ISBN 3-89376-072-5. 44,00 DM.

Themen: Akzeptanz, alternierende Telearbeit, Arbeits-/Tarifrecht, Arbeitskraftunternehmer, Diffusion, Erwerbsformen, Flexibilisierung/Rationalisierung, Globalisierung, Implementierung, Interessensvertretung, Produktivität, Betriebsklima, Wertschöpfung.

Abstract
Schröter möchte die Debatte um die Hemmnisse der Telearbeit von der Aufmerksamkeit auf technische Fragen hin zu „Knackpunkten“ nicht-technischer Art lenken. Der Text verknüpft praktische Erfahrungen mit visionären Vorschlägen.

Inhaltsverzeichnis
1. Dominanz nicht-technischer Innovationsfaktoren und -hemmnisse
2. Beispiele unkonventioneller Lösungsversuche und unerwarteter Hemmnisse
3. Von der tayloristischen Telearbeit zur virtuellen Arbeitswelt
4. Flexibilisierung und neue Infrastrukturen der Arbeit

Bewertung
Interessant für Theoretiker wie Praktiker, weil beide Ebenen aufeinander bezogen sind. Standardwissen.

Inhalt

1. Dominanz nicht-technischer Innovationsfaktoren und -hemmnisse
Schröter führt hauptsächlich drei Argumente der Diskussion um die Hemmnisse von Telearbeit (TA) an: unausgereifte technische Voraussetzungen, hohe Kosten und mangelnde Akzeptanz. Demgegenüber insistiert er auf die praktischen Erfahrungen in den Betrieben, in denen sich schon längst andere „Knackpunkte“ (S.111) ergeben haben.
Als erstes dieser nicht-technischen Investitions-Hemmnisse führt der Autor das Problem eines neuen Typs ganzheitlich zu denkender Arbeitsorganisation an, da es mit einer Einführung von Telearbeitsplätzen allein nicht getan ist, sondern zugleich eine neue Unternehmensphilosophie (Teamarbeitsplätze) erforderlich wird. Zum zweiten fehlt es an Innovations-Know-how und Just-in-time-Consulting für den notwendigen Umbau der Arbeitsprozesse. Zum dritten bestehen Befürchtungen, daß die TA zu nicht themenbezogenen Zwecken instrumentalisiert werden könnte. Die aus dieser Situation resultierenden, meist unkonventionellen Lösungsansätze sind mit massiven Defiziten in den poltischen und staatlichen Rahmenbedingungen konfrontiert.

2. Beispiele unkonventioneller Lösungsversuche und unerwarteter Hemmnisse
Unerwartete Hemmnisse ergeben sich aus folgenden Entwicklungen:
Offenbar hat die Einführung von TA häufig zu einem unerwarteten Ansturm geführt, auf den zu klein angelegte Pilotvorhaben nicht vorbereitet waren. Daher mußten Telearbeitswillige abgewiesen werden, so daß es zu betrieblichen Mißklängen, Konkurrenz und Enttäuschungen kam. Die häufige Überforderung von Betriebsrat und Geschäftsleitung in kleineren Betrieben und im Mittelstand führt dazu, Versuche nicht als solche zu deklarieren, weil man fürchtet, sich zu blamieren. Das verhindert einen Erfahrungsaustausch und verzerrt die Statistik. Eine neue Geschlechterkonkurrenz zeichnet sich ab, da nunmehr auch verstärkt Männer versuchen, hier zum Zuge zu kommen. Damit erhält das Thema TA den Geruch eines „Gefechtsfeldes für harte Bandagen“ (S.118). Die Folge ist, daß hochqualifizierte Frauen den Weg durch das männerdominierte Hierarchiegeflecht verweigern und in die Selbständigkeit aussteigen. In den Großbetrieben geht die Tendenz zu transparenten Rahmenvereinbarungen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat. Alternierende TA wird im Großbetrieb wie im innovativen Mittelstandsunternehmen klassischer Teleheimarbeit vorgezogen, weil letztere die Produktivität gefährden könnte (Burn-out, soziale Isolation, strukturelle Probleme mit der arbeitsbezogenen Kommunikation). Problematisch ist das Fehlen rechtsverbindlicher wie verschlüsselbarer Telekooperationsmöglichkeiten. Das Fehlen von nutzergerechten und kundenfreundlichen Navigationshilfen zur Qualifizierung und Weiterbildung für die Implementierung führt in einigen Fällen bereits zu gemeinschaftlichen Lern-Workshops von Betriebsrat und Geschäftsleitung.

3. Von der tayloristischen TA zur virtuellen Arbeitswelt
Schröter sieht die bisherigen Konzeptionen von TA noch dem tayloristischen Denken und dem industriellen Prinzip verpflichtet. Demgegenüber prognostiziert er folgende Entwicklung: Die TA wird als eigenständiges Profil schrittweise aufgehoben und ihre Prinzipien durchdringen künftig alle Berufsgruppen und Branchen (Telearbeitsfähigkeit als neue Schlüsselqualifikation). Es findet ein Wandel der Ent-Betrieblichung von TA statt. Danach bedeutet der Verzicht auf bewußte Rahmensetzungen, die durchaus positiven Chancen der neuen Selbstständigkeit zu relativieren. Es vollzieht sich außerdem ein qualitativer Umbruch von den „tayloristisch-vernetzten Einzel-Telearbeitsplätzen“ zu einer „ganzheitlich zu betrachtenden virtuellen Arbeitswelt“ (S.120) und „Virtualität wird zu einer arbeitsweltlichen Realität“ (S.121). Die Vernetzung taylorisierter Arbeitsabläufe mündet in ganzheitliche, qualitativ neue Arbeitsformen bzw. zum Co-Produzieren mit und auf dem Netz.

4. Flexibilisierung und neue Infrastrukturen der Arbeit
Die neuen Arbeitsformen sind Ausdruck einer sich überlappenden doppelten Strukturkrise (Produktivitätskrise industrieller Kernbranchen, Dezentralisierung und Entbetrieblichung lösen das Normalarbeitsverhältnis ab) und eines doppelten Paradigmenwechsels. Während die Flexibilisierung im Rahmen des industriellen Prinzips den sozialen Gehalt und die Schutzfunktion des Tarifvertrages schwächt, vermag sie bei entsprechender Ausgestaltung auch Schutzfunktionen für die (abhängig-)selbständig Arbeitenden bewirken. Schröter fordert Konsequenzen aus dem Aufkommen des informationellen Prinzips gegenüber dem industriellen Prinzip und der damit verbundenen Virtualisierung der Arbeitswelten.

07.03.2001; KS