Raymond, Eric S.: The Cathedral and the Bazaar – Musings on Linux and Open Source by an Accidental Revolutionary

Raymond, Eric S.: The Cathedral and the Bazaar. Musings on Linux and Open Source by an Accidental Revolutionary, O’Reilly & Associates, Sebastopol, 2001, 255 Seiten, € 18,–. ISBN 0-596-00108-8.

Themen: Open-Source-Entwicklung, OSS, Telemanagement.

Abstract
Ohne hierarchische Führungsstrukturen kommen zwei aktuelle Konzepte der Softwareentwicklung aus, die beide Telearbeit und Telemanagement mit einschließen: Die Verfahren der agilen Softwareentwicklung und die Open-Source-Entwicklung.
Mit letzterer und ihrer zweistufigen Teamorganisation befaßt sich u.a. das vorliegende Buch: Ein überschaubares Kernteam (im Grenzfall eine Person) treibt das Open-Source-Projekt voran, bewertet Lösungen und gibt sie frei; viele Entwickler (meist gleichzeitig auch Anwender) mit allenfalls losen Kontakten auf der zweiten Teamebene, erproben das Produkt, entdecken Schwachstellen, beheben Fehler und entwickleln die Software weiter.

Inhaltsverzeichnis
Das Buch enthält fünf Aufsätze zur Open-Source-Entwicklung:
(1) A Brief History of Hackerdom
(2) The Cathedral and the Bazaar
(3) Homesteading the Noosphere
(4) The Magic Cauldron
(5) Revenge of the Hackers

Bewertung
Auch wenn das Buch nicht ganz frei von Selbstverherrlichung der Open-Source-Bewegung ist, läßt es doch Hintergründe und Erfolgsfaktoren des Open-Source-Erfolgs erkennen. Ebenso deutlich wird die ungewohnte Form von Koordination und Führung i.R.der Softwareentwicklung.

Inhalt

„I am a hacker. I have been part of the culture described in this book for more than 20 years.“ (S. xiii) Eric S. Raymond, der Autor des vorliegenden Buches, gilt als einer der bekanntesten Protagonisten der Open-Source-Bewegung, in der er in den vergangenen Jahrzehnten verschiedenste Rollen bekleidet hat: Er hat selbst die Entwicklung eines Produktes als Open Source Software (OSS) betrieben und eine Vielzahl anderer OSS-Entwicklungen beobachtet. Von Netscape wurde er als Berater hinzugezogen, um die Freigabe ihres Browsers vorzubereiten und war in Folge maßgeblich an der Prägung des Begriffes „Open Source Software“ beteiligt. Als langjähriger Kenner der Bewegung, Mitgründer und Präsident der Open Source Initiative (OSI) veröffentlichte er eine Vielzahl von Publikationen, und zwar so, wie man es von einem OSS-Anhänger erwarten würde: natürlich im Internet. Viele dieser Aufsätze haben über Jahre hinweg eine rege Diskussion hervorgerufen, deren Ergebnisse er, wenn er es für richtig hielt, in seine Essays eingearbeitet hat. In diesem Sinnen leben diese Aufsätze auf seiner Internetseite (http://www.catb.org/~esr/writings/) weiter und werden dort auch in verschiedensten Übersetzungen angeboten. Das vorliegende Werk stellt eine Sammlung der wichtigsten Aufsätze in Buchform dar. Wozu?

Neben der Analogie zwischen OSS-Entwicklung und der Art, wie Raymond seine Aufsätze weiterentwickelt, lässt sich diese Frage vielleicht mit einer zweiten Analogie erklären: OReilly hat hier eine Art Distribution seiner Aufsätze (vergleichbar mit einer OSS-Distribution) zusammengestellt. Statt sich mühsam die einzelnen kapitelweise abgelegten Beiträge aus dem Web auszudrucken, erhält man eine Sammlung seiner fünf wichtigsten Aufsätze, ergänzt um Vor- und Nachwort, zwei Anhänge und ein Stichwortverzeichnis. Die Beiträge wurden für diese Distribution in einen zueinander konsistenten Zustand gebracht und basieren mit Blick auf die Beschreibung von Ereignissen und Entwicklungen auf demselben Zeitpunkt.

Nun zu den Inhalten: „A Brief History of Hackerdom“ ist eine in die Anfänge der Datenverarbeitung zurückreichende und in den 90er Jahren endende Darstellung der Geschichte der Hacker-Kultur. Dabei wird der Begriff „hacker“ im Gegensatz zur heute verbreiteten Verwendung frei von negativen Konnotationen benutzt. Raymond zeichnet ein liebevolles Bild des „wahren Programmierers“, geht auf eine Vielzahl von Persönlichkeiten und ihre Errungenschaften ein und streift dabei die Geschichte des MITs, des Internets und die der Entwicklung von Unix bis in die Anfänge der Linux-Ära. Der letzte Beitrag der Sammlung, „Revenge of the Hackers“, greift die historische Darstellung des ersten Beitrags an der Schnittstelle zur Gegenwart auf, beschreibt resümierend die aktuellsten Entwicklungen und endet mit einigen mehr oder weniger gewagten Thesen für die Zukunft.

Diese zwei die Entwicklungen von der Vergangenheit in die Zukunft aufzeigenden Essays umrahmen drei weitere Beiträge, die das Wesen der OSS-Bewegung aus verschiedenen Perspektiven zu ergründen versuchen. Der Beitrag „The Cathedral and the Bazaar“, der auch dem Band als ganzes seinen Namen verleiht, legt den Schwerpunkt auf den Prozess der OSS-Entwicklung und beruht auf zwei anschaulichen Analogien. Er vergleicht die kommerzielle Softwareentwicklung mit dem Bau einer Kathedrale, während er den Stil der Entwicklung von Linux mit einem Basar assoziiert: eine große offene Gemeinde von wild durcheinander plappernden Entwicklern mit unterschiedlichen Zielen und Motivationen, die auf wundersame Weise ein konsistentes und stabiles System hervorbringen können. Die Tatsache, dass der Basar-Stil funktionierte, empfand Raymond Anfang der 90er Jahre zunächst als Schock. Angetrieben von seiner Verwunderung über die Effektivität im Falle von Linux, entwickelte er allmählich eine Theorie über die entscheidenden Erfolgsfaktoren dieses Stiles. Mehr oder weniger zufällig bekam er eine Gelegenheit, seine Ideen an einem eigenen OSS-Projekt, die Entwicklung von „fetchmail“, zu validieren. Der Aufsatz umfasst zum einen eine Sammlung der wichtigsten Aphorismen über effektive OSS-Entwicklung und beschreibt zum anderen die Geschichte dieses spezifischen Projektes mit samt der dabei zu treffenden technischen Entscheidungen.

In „Homesteading the Noosphere“ behandelt Raymond Motivations- und Verhaltensmuster in OSS-Projekten, versucht Ursachen für Konflikte zu identifizieren und Verhaltensregeln aufzustellen, die zu deren Vermeidung oder Lösung beitragen. In „The Magic Cauldron“ versucht er mit weit verbreiteten Mythen über die Finanzierung von Software aufzuräumen und schlägt verschiedene größtenteils gewinnorientierte OSS-Geschäftsmodelle vor. Interessant ist, dass er auch darstellt, wann es nach wie vor sinnvoll ist, Software als „closed source“ zu entwickeln.
Den einen oder anderen Leser mag stören, dass das Buch nicht frei von Selbstverherrlichung der Open-Source-Bewegung ist. Gelegentlich wird es auch als Manifest dieser Bewegung bezeichnet. Aus meiner Sicht ist es eher eine mit Witz und Charme geschriebene, aber sicherlich nicht wertfreie Analyse der Hintergründe, die zum Erfolg von OSS geführt haben, mit guten Aussichten als eines der „Kultbücher“ der Bewegung angesehen zu werden.
Um mit Raymond (S. 185) zu schließen „May the Source be with you!“ Was lässt sich da noch hinzufügen? Vielleicht: May this Book be with you?

Prof. Dr. Susanne Strahringer, EBS, 65375 Oestrich-Winkel
15.05.2003