Mensch 2.0

Mensch 2.0

Teil 1 der Reihe Mensch 2.0:  Die KI entwickelt sich rasant weiter. Dabei ist die Sorge nicht unbegründet, eine wenig kontrollierte KI könne die „Schwachstellen“ des Menschen ausnützen, in erster Linie dessen starke Beeinträchtigung seines Denkvermögens durch Ängste.

Um die KI verstehen, auf ihre humane Entwicklung achten und förderlich mit KI und deren Folgeerscheinungen umgehen zu können, sollte auch der Mensch selbst sich in seinem Kern verstehen und „geistig aufrüsten“.

Die ganze Reihe können Sie gerne in einem PDF gebündelt hier herunterladen (889 KB).

1.   Warum Mensch 2.0?

Eine besondere Aufmerksamkeit erfahren gegenwärtig die Bereiche „Digitalisierung“ und „Künstliche Intelligenz (KI)“. Es gibt Befürchtungen über mögliche negative Auswirkungen auf den Menschen selbst und die Gesellschaft bis hin zu elementaren Ängsten, die KI könne eines Tages den Menschen an Intelligenz überflügeln und die Herrschaft über ihn, den Zurückgebliebenen, übernehmen.

Eine weitere Sorge besteht darin, dass die KI systematisch menschliche Schwachstellen ausnützen könnte, wie es bei „Fake News“ und oft auch in politischer Propaganda und Manipulation bei der Werbung geschieht.

Um mit den wachsenden Möglichkeiten, die Digitalisierung und KI bieten, zu seinem Nutzen förderlich umgehen zu können und ungünstige Entwicklungen in Grenzen zu halten, wäre es dringend nötig, den Menschen selbst geistig zur Version „Mensch 2.0“ weiterzuentwickeln.

Der Mensch sollte in der Lage sein, sich trotz überbordender und widersprüchlicher Informationen ein möglichst realistisches Bild der Situation zu verschaffen und sich nicht in Angst versetzen lassen, durch die dann Verstand und eigenes Denken verloren gehen.

Eine geistige Weiterentwicklung könnte darin bestehen, diffuse Ängste durch Wissen und Verstehen abzubauen und dadurch seine Lebensabläufe nicht mehr durch Ängste gesteuert, sondern mit mehr Bewusstheit, Verstand und Vorausdenken zu gestalten.

Da die biologische, sehr ursprüngliche Auslegung des Menschen, gerade seine Anfälligkeit gegen Ängste, die ihm den Verstand vernebeln, eine solche Weiterentwicklung sehr erschwert, wäre eine bewusstere Lebensführung nur möglich, wenn der Mensch seine eigene „Programmierung“ selbst durchschauen, sie verstehen und daraus lernen würde, zum Nutzen aller mit seinen guten und weniger guten Seiten wie auch mit einer ihn beeinflussenden KI bestmöglich umzugehen.

Für die Entwicklung von Robotern und den Anwendungen der KI bedeutet dies, durchaus die komplexe Struktur des Menschen als Maßstab zu nehmen nicht zuletzt, um mit dem Menschen auf gleicher Ebene kommunizieren zu können, aber systematisch größten Wert auf die positiven Seiten zu legen und negative Eigenschaften wie unkontrollierte Aggression und Machtausübung von Robotern, falls deren Algorithmen mittels KI selbständige Entscheidungen treffen sollten, wirksam zu blockieren.

Da es der Mensch selbst ist, der Roboter und KI erschafft und positive oder negative Eigenschaften einprogrammiert, wird es unumgänglich sein, den Menschen selbst an seiner größten Schwachstelle aufzurüsten, nämlich an der starken und oft sehr nachteiligen Abhängigkeit seiner Wahrnehmung und seines Verhaltens von seiner seelischen Lage. Diese bestimmt letztlich auch darüber, ob er Roboter und KI menschenfreundlich oder zerstörerisch einsetzen wird.

Der folgende Beitrag bildet den Anfang der Überlegungen, das Verhalten des Menschen transparent und verständlich zu machen.

2.   Die „seelische Energie“

Auch bei diesem Thema empfiehlt sich ein Vergleich zwischen Roboter und Mensch. Sobald man nämlich einen humanoiden Roboter so programmieren soll, dass er menschliche Verhaltensweisen zeigt, stellt sich die Frage nach der prinzipiellen Arbeitsweise der „Verhaltenssteuerung“ von Roboter und Mensch.

Der Roboter arbeitet meist mit einer Software in Form eines Algorithmus mit definierten, nacheinander ausgeführten Schritten und führt damit die Aufgaben durch, für die er geschaffen wurde.

Er muss sich keine „Gedanken“ um seine Energieversorgung machen, wird nicht müde und hat keine „Stimmungen“, die ihn unkonzentriert, ungehalten oder gar aggressiv werden lassen.

Und Verantwortung hat er auch nicht zu tragen, kann er sich doch mit Recht darauf berufen, „lediglich Befehle auszuführen“.

Ein Mensch hingegen nutzt die gleichen natürlichen Ressourcen wie Licht, Luft, Wasser, Boden usw. wie andere Menschen, Pflanzen und Tiere auch.

Begrenzte Ressourcen führen zur Konkurrenz und begünstigen Lebewesen, die diese Ressourcen besonders effizient nutzen. Der Mensch ist daher gehalten, seine Ziele, wie die übrige Natur auch, mit möglichst wenig Aufwand zu erreichen (Effizienz = Erfolg/Aufwand).

Drei Bereiche helfen ihm dabei: Er verfügt mit seinen Sinnen über eine sehr sensible „Sensorik“ und mit seinem Gehirn über eine leistungsfähige „Datenverarbeitung“, um sich ein Bild von seiner Situation zu verschaffen, das seinen Zielen dienliche Verhalten zu errechnen und dieses z.B. mit Hilfe von Bewegungen mittels der Muskeln seines Körpers in die Realität umzusetzen.

In der Szenerie „Der Wanderer und der Apfel“ (Roby) hat Roboter Roby die fiktive Aufgabe, bei wachsendem Hunger und bestimmten Rahmenbedingungen, wie z.B. Attraktivität des Apfels und des Aufwands für das Klettern, die Motivation eines Menschen abzuschätzen, auf einen Baum zu steigen und sich einen Apfel zu pflücken.

Der mittels Psycho-Mathematik programmierte Algorithmus berücksichtigt aktuell sieben Koeffizienten für die komplexe Berechnung. Diese liefert erst dann mit der beobachtbaren Praxis gut übereinstimmende Ergebnisse, wenn als Variable ein fiktiver „Pegel an Steuerungsenergie“ in der Berechnung berücksichtigt wird.

Was sollte das für ein Pegel sein?

Die starke Abhängigkeit des Menschen von seinen Stimmungen bezüglich Leistungsfähigkeit und Lebensgefühl gibt einen Hinweis:

Wir alle wissen, dass es „gute“ und „weniger gute“ Tage gibt, dass uns Erfolge Freude bescheren und uns „aufbauen“, während Misserfolge und Verluste uns im Ganzen „herunterziehen“. Es scheint einen „seelischen Pegel“ nach Art eines Bankkontos zu geben, der auf unser Fühlen, Denken und Handeln, wie auch auf unsere körperliche und seelische Widerstandskraft, aber auch auf unsere Motivation großen Einfluss nimmt.

Um als Mensch arbeitsfähig zu bleiben, müsste dieses „seelische Konto“ auf angemessener Höhe gehalten werden: Erfolge erhöhen das seelische Konto, Aufwand und Misserfolge belasten es.

Unter „Erfolgen“ sind eine Vielzahl von seelischen Zuflüssen zu verstehen: gelungene Arbeiten, jede Art von Spaß und Freude, anregende oder tragende soziale Beziehungen.

Noch mehr als bestehende Zuflüsse erhöhen gute Aussichten das seelische Konto.

Bereits Hunger oder Aufwand jeglicher Art lässt den seelischen Pegel sinken: „Ohne Fleiß kein Preis“ bedeutet, dass Erfolge in der Regel erarbeitet werden müssen.

Bereits ein Bild an die Wand zu hängen erfordert Überlegung und Geschick und damit ein Verbrauch an körperlichen, seelischen und geistigen Ressourcen. Die wiederholte Freude über das schöne und erfolgreich aufgehängte Bild lässt dann weit über den Aufwand hinaus seelische Energie zufließen.

Das Gedankenmodell geht davon aus, dass sich die Zu- und Abflüsse aus allen Bereichen in Form einer „Bilanz“, genannt seelischer Pegel, aufsummieren. Daher kann der Pegel durch fast beliebige In- und Outputs beeinflusst werden: Der Strafzettel am Auto als Abfluss wird kompensiert durch den Verzehr eines Schokoriegels, eine Rüge am Arbeitsplatz durch die Machtausübung eigentlich sinnlosen Überholens auf dem Nachhauseweg.

Dies gleicht der ebenfalls allgemeinen Reaktion des Organismus auf Belastung oder Stress, die wenig davon abhängt, woher diese im Einzelnen stammt.

Ein Absinken des seelischen Pegels unter die „Ausgeglichenheit“, z.B. aufgrund von Hunger oder zur Abwehr einer Gefahr, führt zu einem Defizit des „Pegels an Steuerungsenergie“ (ein „physikalischer“ Ausdruck für „seelische Energie“) und aktiviert entsprechend stark die „allgemeine Stressreaktion“ des Organismus, um die Anforderung zu meistern:

Stressreaktion = minus A x Defizit an Steuerungsenergie

Der Umsetzungsfaktor A von „Defizit an Steuerungsenergie“ in „Stressreaktion“ kann von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein. Manche bringt nichts so leicht aus der Ruhe, andere wiederum verfallen bei gleicher Belastung in Ängste und Unvernunft, dies umso schneller und tiefer, je größer ihre seelische Vorbelastung durch andere Probleme und damit ihr seelisches Defizit bereits ist.

Es fehlt dann die Resilienz, um die starke und überraschend auftretende Belastung zu puffern.

Der „Pegel“ bestimmt Leistungsfähigkeit, Lebensgefühl, Gesundheit und Selbstwertgefühl wesentlich mit.

Bei höherem Pegel fühlen wir uns wohl und ausgeglichen, Verstand und Vernunft beteiligen sich am täglichen Leben und wenn etwas schieflaufen und Abflüsse verursachen sollte, gibt es genügend Reserven auf dem seelischen Konto und damit „Resilienz“ genug, um diese Belastungen seelisch aufzufangen und aus möglicherweise gemachten Fehlern zu lernen.

Bei niedrigem seelischem Pegel hingegen machen sich Ängste und Stress bemerkbar, der Organismus müsste mit der verbleibenden Steuerungsenergie immer sparsamer umgehen um nicht noch weiter im seelischen Pegel abzusinken.

Der sehr energieintensive Verstand, repräsentiert durch „obere Ebenen“ der neuronalen Netze, wird nach und nach aus dem Spiel genommen und das tägliche Leben eher auf energiesparenden „unteren Ebenen“ nach Art eines unbewussten „Autopiloten“ abgewickelt. Es fällt dann immer schwerer, sich zu konzentrieren, Prioritäten zu setzen oder etwas in Angriff zu nehmen.

Auf keinen Fall darf der seelische Pegel unter einen Minimalwert fallen, da der Mensch dann in eine Depression gerät und für sich allein kaum noch überlebensfähig ist.

Körperliche Energie der Muskeln lässt sich unabhängig trainieren, seelische Energie (Steuerungsenergie) muss man sich durch Erfolge erarbeiten: Ein Kerl wie ein Baum kann sich zu nichts mehr aufraffen, seit ihn seine Freundin verlassen und damit seinen seelischen Pegel auf ein Minimum gebracht hat. Ohne Steuerungsenergie keine körperliche Aktivität.

Wie wäre die Existenz eines solchen „seelischen Pegels“ zu erklären?

Das Gehirn bringt nur ca. 2 % des Körpergewichts auf die Waage, beansprucht jedoch etwa 20 % der Gesamtenergie im Organismus. Zu viele Neurone (Nervenzellen) zugleich aktiv zu betreiben, würde untragbar viel Energie kosten, zu wenige heranzuziehen, ließe eine zu geringe Qualität in der Verhaltensberechnung und damit keine erfolgversprechende Aufgabenlösung erwarten.

Besonders effizient wäre es wohl, gerade so viel Nervenzellen in Anspruch zu nehmen, dass sich die Aufgabe erfolgreich bewältigen ließe.

Das Gehirn müsste daher neben der Lösung der Aufgabenstellung an sich, auch noch abschätzen, welches Maß an seelischer Energie (Steuerungsenergie) es bereitstellen müsste, um die vorliegende Aufgabe angemessen zu lösen, nicht zu wenig zu investieren, aber auch nicht zu viel, um keine Energie zu verschwenden.

Je höher der Pegel an Steuerungsenergie, desto eher würden höhere, energieintensive Ebenen mit hoher Qualität bezüglich Leistung und Sozialverhalten aktiviert. Mit niedrigem Pegel könnten nur noch elementare, sparsame Ebenen von Neuronen in den neuronalen Netzen betrieben werden. Dies hätte eine niedrigere Verarbeitungsqualität bei der sinnlichen Wahrnehmung, der Berechnung des Verhaltens und deren körperlicher Umsetzung, aber auch beim Betrieb der Organe selbst zur Folge.

Die Vermutung liegt nahe, dass die Einschränkungen infolge seelischen Defizits generell den energieintensivsten Teil des Organismus, nämlich die Steuerungsebene, repräsentiert durch die Nervenzellen der neuronalen Netze in Gehirn und Körper, betreffen. Die schnelle Ermüdung bei hochkonzentrierter Denkarbeit weist in die gleiche Richtung.

Fazit: Der „seelische Pegel“ eines Menschen könnte als Maß seiner Effizienz aufgefasst werden: Je mehr Erfolge er erzielt und je weniger Aufwand er dazu erbringen muss, desto höher wird sich sein Pegel einstellen.

Dieser beeinflusst Leistung und Lebensgefühl und bestimmt auch darüber, bis zu welchem Grad der Mensch seine Fähigkeiten (z.B. seinen Verstand) überhaupt zum Tragen bringen kann.

Damit wäre – im Gegensatz zu Roboter und KI – beim Menschen das Maß seiner aktuell einsetzbaren Intelligenz stark von seinem seelischen Pegel abhängig.

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Die nächsten Beiträge werden sich näher mit den Auswirkungen des „seelischen Pegels“ auf Leistungsfähigkeit und Lebensgefühl eines Menschen befassen.

Lesen Sie gerne auch die Fortsetzungen:

Autor: Dr. Wolfgang Issel

Über den Autor

Dr. Wolfgang Issel
Dr.-Ing. Wolfgang Issel ist Diplomphysiker und führt ein Ingenieurbüro für Neuentwicklungen – darunter fällt beispielsweise die Entwicklung von humanoiden Robotern hin zu der Fähigkeit selbstständiger Entscheidungen und Empathie.
 
Eines seiner aktuellen Projekte ist die „Psycho-Mathematik“: Dieser Begriff beschreibt die bereits fortgeschrittene Entwicklung eines mathematischen Algorithmus zur Modellierung menschlichen Verhaltens in unterschiedlichen Situationen (Human Analytics), auch im Zusammenwirken mit KI. Der Einsatz von Psycho-Mathematik beispielsweise in Führungsseminaren ist für die Zukunft geplant.

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