Picot, Arnold / Reichwald, Ralf / Wigand, Rolf: Die grenzenlose Unternehmung – Information, Organisation und Management

Picot, Arnold / Reichwald, Ralf / Wigand, Rolf: Die grenzenlose Unternehmung — Information, Organisation und Management, ISBN 3-409-32214-0, Gabler Verlag Wiesbaden 1998 (3. Aufl.), 565 Seiten.

Ergänzung: Die 5. Auflage des Werkes ist 2003 erschienen und im HMD-Heft 242 besprochen worden (http://HMD.dpunkt.de, Buchbesprechungen). An dieser Stelle wurde nur die Bewertung ergänzt.

Themen: Anreizsystem, Modularisierung, Symbiotische Organisation, Telekooperation, Unternehmen.

Abstract
Picot (Uni München), Reichwald (TU München) und Wigand (Syracuse University, N.Y.) haben in einer transatlantischen Kooperation ein großangelegtes Lehrbuch verfasst.

Inhaltsverzeichnis
Teil 1: Information, Organisation und Management — S. 1

Teil 2: Marktdynamik und Wettbewerb — S. 19

Teil 3: Grundmodelle der Information und Kommunikation — S. 63

Teil 4: Potentiale der Informations- und Kommunikationstechnik — S. 115

Teil 5: Auflösung von Hierarchien — S. 199

Teil 6: Auflösung von Unternehmensgrenzen — S. 261

Teil 7: Neue Formen der Marktkoordination — S. 315

Teil 8: Die Überwindung von Standortgrenzen — S. 355

Teil 9: Die neue Rolle des Faktors Mensch — S. 433 – 511

Bewertung

Für vorinformierte Leser ist es ein verständlich geschriebenes Werk mit großer, wenn nicht zu großer Informationsfülle.

Bewertung der 5. Auflage des Werkes (2003) lt. HMD-Heft 242 (s.a. http://HMD.dpunkt.de, Buchbesprechungen) durch Heidi Heilmann:

Als –zutreffende!- Charakteristika des Buches nennen die Autoren (S.18f): Theoretische Fundierung, Verknüpfung von Organisation mit IuK-Technik und Management, Modulare Systematik (relativ unabhängige Teile, die auch einzeln gelesen werden können, mit verbindenden Querverweisen), Anwendungsorientierung und Darstellung neuer Leitbilder für Organisations- und Führungsstrategien. Das Werk bietet mehr als „nur“ eine Darstellung „grenzenloser Unternehmen“, weil es diese und ihre Attribute am herkömmlichem Wissen zu traditionellen Unternehmen spiegelt. Mit seiner aussagefähigen Gliederung und dem umfangreichen Index kann es auch als Nachschlagewerk für Führungs- und Organisationsfragen dienen. Das Buch ist anschaulich und verständlich geschrieben (kommt aber angesichts des Themas natürlich nicht völlig ohne neue Begriffsbildungen aus) und enthält zahlreiche unterstützende Abbildungen.
Auf die Zielgruppen -lt. Verlagsinformation Dozenten und Studierende der BWL, insbesondere mit den Schwerpunkten Organisation, Unternehmensführung und Wirtschaftsinformatik, sowie Führungskräfte, die in Unternehmen und öffentlicher Verwaltung für die Einführung neuer Organisationsstrukturen verantwortlich sind- wirkt sich dies verschieden aus.
Dozenten werden im Sinne des „Erstmaligkeitsbestätigungsmodells“ (erläutert auf S.82f) keine Probleme haben, Bekanntes wieder zu erkennen, Neues einzuordnen und gedankliche Verbindungen zwischen den vorgetragenen Überlegungen selbst herzustellen; es kann sein, dass sie Rückbezüge und Redundanzen als Folge der o.a. modularen Systematik und das Buch ingesamt mit seinen über 600 Seiten als zu umfangreich empfinden.
Führungskräften mit den oben beschriebenen Aufgaben dürfte es ähnlich gehen, da sie i.d.R. ein einschlägiges Studium absolviert haben werden und auf reiche Praxiserfahrungen zurückgreifen können. Der Buchumfang dürfte sie allerdings von vornherein zum selektiven Lesen und Nachschlagen veranlassen.
Am meisten zu „kämpfen“ haben werden Studierende mit der Breite und Tiefe des Gebotenen, insbesondere solche mit noch geringem theoretischem Wissen und wenig Praxiserfahrung. In jedem Fall empfiehlt sich für sie die sorgfältige (und zeitraubende!) Lektüre erst im Hauptstudium. Danach kann ihnen das Buch ergänzend auch als eine Art Repetitorium für Führungs- und Organisationsfragen in Verbindung mit dem IuK-Einsatz nützlich sein.
Inhalt

Information, Organisation und Management
Im Teil 1 wird die Thematik angerissen: In den hochindustrialisierten Ländern verflüchtigen sich die klassischen Unternehmensgrenzen im Zuge einer generellen Ausweitung der Markt-beziehungen, bedingt durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Parallel findet ein Wertewandel statt, der mit dem Abbau überkommener Hierarchien die Vergrößerung von Spielräumen für Arbeitsgruppen wie für die einzelnen Arbeitenden mitbedingt. Ebenso tendieren die neu entstehenden Organisationskonzepte zur Überwindung bisheriger Grenzen; Flexibilität und Innovationsfähigkeit werden dabei zu Leitbegriffen.
In der folgenden Wiedergabe bzw. Erörterung des Buchinhalts werden vor allem diejenigen Elemente herausgestellt, die im Verhältnis zu paralleler Literatur in besonderer Weise aus-gearbeitet sind.

Marktdynamik und Wettbewerb
Teil 2 handelt von der Dynamik der Märkte, die vom Wettbewerb um Informationen geprägt ist; „Findigkeit“ (im Sinne Kirzners) als ein aktives und kreatives Handeln wird dabei zu einer entscheidenden Qualität des Unternehmertums. Behandelt werden dann einige für die Neue Institutionenökonomik relevante Theorien, die im Weiteren als (Denk-)Instrumente zur Interpretation speziell von organisatorischen Phänomenen herangezogen werden, nämlich
a) die Property – Rights – Theorie (nach Coase, Alchian und Demsetz) mit ihren Grundan-nahmen, dass (1) die Individuen auf Nutzenmaximierung aus sind, (2) Property – Rights, d.h. Verfügungsrechte im weitesten Sinn, im Wirtschaftsleben eine essenzielle Rolle spielen, (3) durch den Wechsel von Property – Rights Transaktionen mit bestimmten Kosten entstehen und (4) sogenannte externe Effekte überall dort auftreten, wo Property – Rights auf mehrere Parteien verteilt sind (S. 38 – 41);
b) die Transaktionskostentheorie (in neuerer Form nach Williamson und Picot) mit ihrer zentralen Größe der Transaktionskosten als Kosten für Information und Kommunikation (bei der Übertragung von Verfügungsrechten), wobei diese Kosten als Effizienzmaßstab für organisatorische Arrangements gelten (S. 41 – 47);
c) die Principal – Agent – Theorie (Jensen, Meckling u.a.), in deren Mittelpunkt ein Auftrag-geber – Auftragnehmerverhältnis steht, das als Verhältnis asymmetrischer Informationsver-fügung aufgefasst wird, welches durch Verträge gesteuert werden kann (S. 47 – 50);
d) die Vertragstheorie (in neuerer Form nach Wolff u.a.), in der Verträge in ihren verschiedenen Formen — kurzfristige, langfristige; explizite, implizite etc. — als das alle vertikalen und horizontalen Wirtschaftsbeziehungen regulierende institutionelle Element angesehen wird (S. 51 – 56).

Grundmodelle der Information und Kommunikation
Erweitert werden die theoretischen Betrachtungen noch im Teil 3, wo Informations- und Kommunikationsmodelle vorgestellt werden, die für die Erklärung und Gestaltung von Unternehmensstrukturen Relevanz haben. Bei diesen Modellen, eigentlich Gegenstand der Semiotik, wird grundsätzlich unterschieden, ob der Nachrichtenaustausch zwischen einem Sender und einem Empfänger die syntaktische Ebene betrifft (Verhältnisse von Zeichen ‚an sich‘), die semantische Ebene (Bedeutungsgehalt der Zeichen) oder die pragmatische Ebene, auf der es um Wirkungen des Nachrichtenaustauschs auf handelnde Personen geht; auf die letztere Ebene richtet sich der Focus.
Unter anderem wird die Habermas‘ sche Kommunikationstheorie dargelegt, in der von dem grundlegenden Unterschied ausgegangen wird, ob eine Koordination von Handlungen durch (zwangartige) Einflussnahme auf Handelnde erfolgt oder durch Einverständnis zwischen Handelnden (S. 79 – 83). Beleuchtet wird auch die Sicht des radikalen Konstruktivismus (maßgeblich beeinflusst durch die Neurobiologen Maturana und Varela mit ihrer These von der „operationalen Geschlossenheit“ des Gehirns), wonach Verstehen lediglich ein inneres Konstrukt einer vermeintlichen Wirklichkeit ist (S. 83 f). Desweiteren wird die Luhmann’sche Kommunikationstheorie behandelt, die in ihrer dem Konstruktivismus verwandten Sichtweise darauf abzielt, dass soziale Systeme durch ihre eigene Kommunikation einen selbsterzeugenden oder „autopoietischen“ Charakter haben (S. 85 f).
Ganz pragmatisch ausgerichtet ist eine empirische Ergänzung zu den ausgebreiteten Kommunikationsmodellen, die Picot und Reichwald aus eigenen Forschungsprojekten vorstellen, in denen das Kommunikationsverhalten von mittleren und höheren Managern untersucht wurde. Es ergab sich dabei, dass dieser Personenkreis annähernd zwei Drittel der Arbeitszeit für Informations- und Kommunikationsaktivitäten aufwendet. Der weitaus größte Teil davon — 84 % — ist mündlicher Art, wobei die Face-to-face – Kontakte im räumlich nächsten Umfeld deutlich überwiegen und, wie zu erwarten, mit der räumlichen Entfernung abnehmen. Der absolute Zeitaufwand für Face-to-face – Kontakte hat sich während einer größeren Entwicklungsperiode der neuen Medien (1973 – 1993/94) allerdings nicht verringert, sondern eher sogar noch leicht erhöht. In jüngsten Untersuchungen fand man nun heraus, dass im oberen Managementbereich bei Vielnutzern der neuen Medien zugleich auch die Reiseaktivtäten, sprich: die Möglichkeit für Face-to-face – Kontakte besonders stark ausgeprägt ist. Dieses Phänomen der gleichzeitigen Entwicklung von Fern- und Nahkommunikation wird mittlerweile als „Kommunikationsparadoxon“ bezeichnet. (S. 92 – 99)

Potentiale der Informations- und Kommunikationstechnik
Im Teil 4 werden die Potentiale der IuK-Techniken für die Entwicklung der Unternehmungen diskutiert. Für zielgerichtetes (effektives) wie wirtschaftliches (effizientes) Informations-management wird (im Anschluss an Wollnik) die Orientierung an einem Drei-Ebenen-Modell vorgeschlagen, in dem die Ebenen in bestimmter Weise verkoppelt sind: Von der konkretesten Ebene des Informationseinsatzes her gibt es Anforderungen an die Ebene der IuK-Systeme, die diese als Unterstützungsleistungen erbringen sollen; entsprechend das Verhältnis zwischen dieser Ebene und der Ebene der Infrastrukturen. In solch einem Rahmen können die IuK-Techniken vor allem folgende für die Unternehmensentwicklung bedeutsamen Effekte haben:
Kapazitätssteigerung, bedingt insbesondere durch die technische Ausweitung der Informations-speicher; Mobilität, bedingt vor allem durch die weitgehende Ortsunabhängigkeit der technischen Systeme; Kooperation, interne wie externe, aus gleichem Grund und auch durch die Extremgeschwindigkeit des Datentransports; Integration, aufgrund der sich entwickelnden Kompatibilität der technischen Systeme; Offenheit, durch Standardisierungstendenzen, die die Aufnahme neuer Elemente leichtmachen; Verteilung, nämlich zu dezentralen Stellen im Rahmen einer Unternehmung, ebenfalls durch Standardisierung wie auch durch die extreme Über-tragungsgeschwindigkeit bedingt, und Globalisierung, bestimmbar als Verteilung nach außen unter den gleichen Bedingungen. (S. 135 – 166)
Diskutiert wird dann auch (S. 187 – 189) die wirkliche oder scheinbare Merkwürdigkeit, dass in einer Hinsicht kein signifikanter Effekt durch den Einsatz der IuK-Techniken zu verzeichnen ist, nämlich hinsichtlich der Produktivität der Arbeit. Es ist das sogenannte Produktivitätsparadox, das empirisch mehrfach eingehend untersucht wurde; es gibt dafür über ein halbes Dutzend verschiedener Erklärungsansätze bis hin zu dem, dass die fraglichen Größen nicht messbar seien.
Zum sogenannten Produktivitätsparadox sei folgendes bemerkt: Paradox sind die Versuche, das „Phänomen“ wegzuerklären, nicht notwendigerweise es selbst. Nur vom Standpunkt der alten, durch die Fabriken repräsentierten Gesellschaftsverhältnisse ist das Nicht-Korrellieren von IuK-Technologie und Arbeitsproduktivität erstaunlich. Denn in jenen Verhältnissen gehörte es zur größten Selbstverständlichkeit, die führende Technologie (die typische Maschinerie der Fabriken) zur Steigerung der Arbeits-produktivität einzusetzen, als wichtigstem und zuverlässigstem Mittel der Erzeugung von Mehrwert. Dass die IuK-Technologie als die führende Technologie der neuen Verhältnisse von Hause aus kein Mittel der Steigerung der Arbeitsproduktivität darstellt, ist ein wesentliches Charakteristikum der von dieser Technologie begleiteten Umwälzung jener alten Verhältnisse. Von Standpunkten aus, die nicht in den altgewohnten Verhältnissen liegen, kann das, was sich mit Hilfe der IuK-Technologie vor unseren Augen abspielt, als etwas durchaus Normales und insofern „Unerstaunliches“ angesehen werden. Es ist historischen Konstellationen vergleichbar, in denen durch ein Gewässer voneinander getrennte Gemeinwesen in die Lage gesetzt sind, durch Schiffsverkehr miteinander Kontakte aufzunehmen. Zwar ist für den Schiffsverkehr ein gewisser Stand der Arbeitsproduktivität vorausgesetzt, aber er selbst ist neutral gegenüber der Produktivität in der Güterherstellung. Gleichwohl können die durch ihn zustande gekommenen Kontakte Enormes hervorrufen, vor allem, wenn die einst isolierten Gemeinwesen alles Erdenkliche voneinander lernen.

Auflösung von Hierarchien
Teil 5 thematisiert die Modularisierung, verstanden als Restrukturierung der Unternehmens-organisation auf Basis relativ kleiner, integrierter und auf Kundennähe bedachter Einheiten (Module). Diese Entwicklung wird in Zusammenhang gebracht mit einer Enthierarchisierung der Unternehmen, mit Begründungen, wonach die überkommenen Hierarchien nicht mehr funktional sind. Damit wird die Auflösung der tayloristischen Arbeitsorganisation angesprochen, mit ihrer typischen personellen Trennung von dispositiver und ausführender Arbeit. (S. 201 – 214)
Die Modularisierung kann unter verschiedensten Gesichtspunkten erfolgen: nach Geschäfts-bereichen bzw. Produkten, nach Kernkompetenzen, nach Einzelmärkten etc. Aus der Perspektive der Property-Rights-Theorie wird Modularisierung als eine Umverteilung von Verfügungsrechten interpetiert, die eine horizontale Tendenz hat. Unter dem Blickwinkel der Transaktionskostentheorie wird hervorgehoben, dass die Transaktionskosten in überschaubaren ‚Modulen‘, wo eine Vertrauensatmosphäre entstehen kann, sinken. Auch aus der Sicht der Principal-Agent-Theorie wird Modularisierung als effizient interpretiert, mit dem Argument, dass Informationsasymmetrien abgebaut werden können. (S. 214 – 239)

Auflösung von Unternehmensgrenzen
Im Teil 6 werden die vielfältigen Auflösungserscheinungen erstmals auf ihre Richtung hin befragt. „Symbiotische Verbindungen mit externen Partnern“ heißt die Lösungsformel (S. 263); in diesem Sinne wird von der Verwischung der ehemals festen Grenzen der Unternehmen gesprochen. Die Kooperationsformen mit externen Partnern werden idealtypisch danach systematisiert, ob die Netzwerkbildungen vertikal, horizontal oder diagonal, d.h.über Branchengrenzen hinweg, erfolgen. Als ein charakteristisches Mischverhältnis wird (nach Sydow) das Beispiel der Firma Benetton diskutiert. Deren Lieferanten werden als rechtlich selbständig und wirtschaftlich abhängig bezeichnet; selbständig, weil sie frei Verträge schließen können und abhängig, weil sie nur Teilprodukte fertigen, für die die Hauptfirma der einzige Abnehmer ist. (S. 293 f)
Durch Netzwerkverbindungen mit externen Partnern, betonen die Autoren, wird nicht nur die Bildung einer Vertrauensatmosphäre relevant, sondern geradezu auch Regeln, innerhalb deren Vertrauen bestehen kann. Solche Regeln, zehn an der Zahl, sind nach dem Vorbild einer Gruppe mittelständischer australischer Firmen aus dem EDV-Service-Sektor aufgelistet (S. 310 f — nach Mathews); unter anderem enthalten sie die Gebote:
— Gegenseitige Nichtausbeutung
— Demokratische Verfassung des Netzwerks (Zusammenhalt nicht durch einen Gesamt- eigenümer o.ä., sondern durch die Geschäftsbeziehungen der einzelnen Teile)
— Zutritt Externer, bei Regelbeachtung, erwünscht
— Uneingeschränkte Austrittsmöglichkeit

Neue Formen der Marktkoordination
„Neue Formen der Marktkoordination“, ist Teil 7 überschrieben. Hier geht es zunächst (S. 316 -332) um die „elektronischen Märkte“; sie können (a) Aufgaben traditioneller Märkte substituierend übernehmen (Bsp. Börsenhandel), (b) traditionelle Märkte durch komplementäre Funktionen ergänzen (Bsp. Reisebüros), (c) neue Anwendungsfelder generieren (Bsp. Tele-shopping in Reinkultur).
Durch solche „Mediatisierung“ der Märkte entstehen bestimmte typische Effekte: der Kommunikationeffekt, bedingt durch weiträumige Verteilung der Informationen bei Senkung der Verteilungskosten, gut wahrnehmbar beim Teleshopping, wo die Angebote schlagartig eine Vielzahl potentieller Kunden erreichen können und umgekehrt die Kunden eine Vielzahl von Angeboten; dann der Integrationseffekt, d.h. die Zusammenführung vorher getrennter Prozesse, zum Beispiel bei unternehmensübergreifenden Buchungen; schließlich der Brokereffekt mit der Möglichkeit, Anbieter und Nachfrager über gemeinsame Datenbasen direkt miteinander zu verbinden, beispielsweise im elektronischen Börsenhandel ohne Benutzung bzw. Bezahlung einer Bank. (S. 332 – 338)

Die Überwindung von Standortgrenzen
Teil 8, Telekooperation und virtuelle Unternehmung. „Anytime, Anyplace“ sind Schlagworte für die zu beobachtenden Standortauflösungen bzw. die Erweiterung organisatorischer Gestaltungsspielräume, bedingt u.a. durch die fallenden Nutzungskosten der Telekom-munikationsnetze. Extremfall dieser Entwicklung ist die virtuelle Organisation, auch „Als-ob-Organisation“ genannt. Charakterisiert wird sie durch die typische Modularität, in der dezentrale Entscheidungskompetenzen ausgeprägt sind, durch Heterogenität, womit ein symbiotisches Beziehungsgeflecht aus sehr unterschiedlichen Kompetenzen gemeint ist, schließlich durch räumliche und zeitliche Verteiltheit, d.h. eines dynamischen Wechsels von Dazugehörigen und Nicht-Dazugehörigen. (S. 402 f)

Die neue Rolle des Faktors Mensch
Der wohl bedeutendste Teil 9 thematisiert die Erweiterung menschlicher Leistungsgrenzen in den neuen Organisationsentwicklungen. Es wird zunächst (S. 436 – 446) ein historischer Abriss davon gegeben, wie man versuchte, den ‚homo oeconomicus‘ des Frederick Taylor mit seinem Bild vom Einkommen-maximierenden Teilarbeiter hinter sich zu lassen und in mehreren Wellen ein würdigeres Bild vom arbeitenden Menschen suchte. Dann wird gefragt, wie sich die Rolle des Managers wandelt. „Die Rolle des Managers wandelt sich zunehmend vom traditionellen Aufgabenzuweiser und Arbeitskontrolleur hin zum Berater und Coach, der die Kreativität seiner Mitarbeiter fördert.“ (S. 460)
Was diese betrifft, wird der Focus auf die Arbeitsmotivation gelegt. Sie wird (nach v. Rosenstiel) bestimmt als die Summe aller durch Anreize aktivierbaren Motive, wobei die Autoren betonen, dass hier auch Motive einfließen, die nicht der Arbeitsorganisation inhärent sind. Doch — glücklicherweise — konzentrieren sie sich auf sie und stellen die Frage nach zeitgemäßen Entlohnungsformen, die Anreize schaffen und leistungsfördernd sind. Das Plädoyer geht hin zum „Prämienlohn“, der sich aus dem Grundlohn (z.B. Tariflohn) und einer Prämie zusammensetzt, die von einer vom Mitarbeiter oder auch vom Team beein-flussbaren Mehrleistung abhängt. Den Arten von Tätigkeiten entsprechend wird (nach Hentze) zwischen Prämien unterschieden, die auf geleisteter Menge, Qualität, Ersparnis und Nutzungs-grad beruhen, wobei natürlich auch Kombinationen angemessen sein können. In einem abschließenden Gedanken wird erwogen, wie Qualifikationen zur Richtlinie für Verdienst oder auch Karriere werden können; allerdings nicht im statischen Sinn einer ‚ein für alle Mal‘ erworbenen Qualifikation, sondern in dem Sinne, dass Erweiterungen von Qualifikationen direkt honoriert werden. (S. 490 – 511)
Ob dem Buch, das den sich auflösenden Grenzen von Unternehmen nachgegangen ist, ein Gegenbuch folgen wird, das neue Grenzen der gewandelten Unternehmen herausarbeitet? Mit der Charakterisierung des modernen Unternehmens als einer Art von Vertrauensgemeinschaft haben Picot, Reichwald und Wigand selbst einen Ansatzpunkt dafür gegeben.

02.10.2001; MF