Die Straße unserer Entwicklung

KI-generiertes Bild (DALL-E 2); Prompt/Input: Michael M. Roth
And we’re not little children
And we know what we want
And the future is certain
Give us time to work it out
Talking Heads, „Road to Nowhere“ (1985)
Unser Leben ist einzigartig. Sogar wenn es hundert oder tausend weitere ähnliche oder andersartige Spezies im Universum gibt, was wir aufgrund der Vielzahl der Sternensysteme und Exoplaneten nicht ausschließen können.
Ein in fünf oder zehn Millionen durch das Universum Reisender wird bei der Begegnung mit unserer Zivilisation und dem Studieren unserer Geschichtsbücher unser heutiges Dasein gerade mal als den Beginn und den Ausgangspunkt unserer Spezies verstehen. Ob es dann noch uns – oder das, was uns geworden sein wird – geben wird oder nicht.
Den Gedankenansatz beim Titel einer Ausstellung am ZKM – Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe von den Kurator:innen Margit Rosen und dem jüngst verstorbenen Peter Weibel, einer Ausstellung mit namhaften internationalen Künstlern und Künstlerinnen, finde ich spannend. Der Titel heißt:
„Writing the History of the Future“
Es klingt wie ein Blick aus der Zukunft zurück in die Vergangenheit.
Während wir Menschen, zumindest große Teile von uns, der festen Überzeugung sind, wir wären heute das Fortgeschrittenste, am weiten Entwickeltste, eine Art „Non-plus-Ultra“ auf dem Planeten Erde, dürfen wir, manche oder viele von uns, gelegentlich ins Grübeln kommen in Bezug auf die Spannweite und die Relativität unserer eigenen Genialität.
Nicht nur, dass es innerhalb der schier unendlichen Weiten des Universums andere Spezies geben mag, die uns in der Entwicklung nicht nur Tausende, vielleicht sogar Millionen von Jahren voraus sind – selbst wenn es jene „anderen“ nicht geben sollte, dann ist unsere derzeitige Existenz auch nur eine Momentaufnahme. Wenn wir Menschen eines Tages Tausend oder Zehntausend Jahre alt werden, was zum derzeitigen Zeitpunkt sehr spekulativ, meines Erachtens allerdings vorstellbar ist, dann könnten gewisse Eigenschaften der Menschen von noch größerer Bedeutung werden.
Stellen wir uns vor, Menschen wie der russische Präsident und sein Regierungssprecher würden Tausend oder Zehntausend Jahre alt werden. Sie gehören zu den größten Diktatoren, größten Kleptokraten, reichsten Menschen, größten Verächtern von Menschenrechten, die der Planet bis dato gesehen hat. Vermutlich würden sie selbst Gesetzesänderungen herbeiführen, die ihnen eine alleinige Macht über mehrere Hundert oder mehrere Tausend Jahre zusicherte. Würde uns das, Menschen in der freien und demokratischen Welt, gefallen? Wie sähe es aus mit Chancen zur Veränderung und Erneuerung?
Wenn wir heute die „Geschichte der Zukunft“, wie Weibel und Co. es philosophisch interessant benannt haben, schreiben wollen, die eines Tages als Keimzelle erachtet wird für eine nachhaltige freie und demokratische Gesellschaft, in der Menschenrechte hochgehalten werden, dann kommt es heute auf uns an, entsprechende Weichen zu stellen.
Meine Philosophie der Ethischen Intelligenz stellt einen globalen Baustein und Denkansatz dar. Hierbei dreht es sich darum, welche Beziehungen der Mensch zu seiner Umwelt haben wird. Im Konkreten geht es um die Beziehungen: Mensch-Mensch, Mensch-Milieu (Umwelt), Mensch-Makrokosmos (Universum, Energiegewinnung, siehe Nikolai Kardaschow [1932- 2019], Mensch-Mikrokosmos (Immunsystem, Heilung von Krankheiten wie Diabetes Typ 1) und Mensch-Maschine. Allein der letzte Punkt ist hierbei absolut spannend. Es geht um die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) und um die Herausforderung „Ethik und KI“ oder „Ethik in der KI“.
Ethik in der KI kann und wird es nur geben, wenn wir Menschen Ethik, Grundregeln und Grundwerte im Umgang mit uns selbst finden. Das ist die Basis; das Nachdenken darf dort aber nicht aufhören, wie in den o.g. Beziehungen schon angeklungen ist.
Aktuell sprechen wir vom 6. Großen Artensterben. Wir sprechen von Klimawandel und den daraus resultierenden Katastrophen wie extremen Hitzetagen und Überschwemmungen, Missernten und Todesopfern. Wir leben in einer absolut spannenden Zeit. Das von mir so benannte #Kognitozän ist eine Art Wunschdenken als die bessere Fortsetzung des von Paul Crutzen (1933-2021) zu Beginn des Jahrtausend beschriebene „menschengemachte Erdzeitalter“, dem Anthropozän.
Es fängt im Kleinen an. Wie wir uns selbst und unsere Mitmenschen wertschätzen. Unabhängig von Geschlecht, von Alter, von Herkunft (Ethnie) oder Glauben. Auf höherer Ebene hört die Herausforderung nicht auf: Der Umgang von Staaten und Nationen miteinander. Der russische Angriffskrieg gegen das ukrainische Volk ist ein verheerendes Beispiel für Missachtung der Prinzipien der Ethischen Intelligenz und natürlich europäischer Grundwerte wie Freiheit und Demokratie.
Chancen und Risiken unserer Existenz, insbesondere für ein gegenseitig faires Existieren, werden vermutlich in den kommenden Dekaden und Jahrhunderten gleichermaßen wachsen. Um so wichtiger ist es, dass wir auf das fokussieren, was für eine breite Mehrheit und die Vielzahl der auf dem Planeten Erde lebenden Existenzen positiv darstellbar und realisierbar ist.
John Rawls (1921-2002, „Schleier des Nichtwissens“) hatte die Idee von einer gerechten Gesellschaft. Peter Singer (geb. 1946) ist bekannt für die Tierethik. Wenn ich von „Soziogenten“ spreche als autark agierende und interagierende Wesen, dann inkludiere ich in der Projektion auch KI-Systeme, die zukünftig eigene, hoffentlich kluge und ethisch reflektierte (wertebasierte) Entscheidungen treffen werden.
Der Ethische-Intelligenz-Test als Weiterentwicklung, vielleicht aber auch eine Art Paradigmenwechsel zum Turing-Test, könnte ein Lackmustest für den wartebasierten Fortgang der Entwicklung der Spezies und ihres Umgangs miteinander auf der Erde sein. Im Unterschied zu Turing untersuche ich beim Ethische-Intelligenz-Test nicht, ob es sich um Mensch oder Computer handelt, sondern ob das befragte System in seinem Denken und Handeln ethische Bezüge hat oder nicht.
Konvergenz-Entwicklungen zwischen Mensch und Maschine sind erkennbar oder absehbar. Aber das ist Stoff für einen weiteren Artikel.
Über den Autor

Michael M. Roth
Der aus Thüringen stammende Autor studierte Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Konstanz. Im Jahre 2011 machte sich Michael M. Roth als Fotograf selbständig.
Seit 2018 versucht der heute in Karlsruhe Lebende den Begriff der Ethischen Intelligenz zu prägen. Dabei geht es im Speziellen um die bedeutungsvolle Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Darüber hinaus soll die Verortung des Menschen innerhalb aller autark agierenden und interagierenden Wesen auf dem Planeten Erde, den sogenannten Soziogenten, hinterfragt und neu gedacht werden.
Seit April 2023 ist Michael M. Roth Mitglied im Fachbeirat der Integrata-Stiftung.
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