Wunderer, Rolf / Dick, Petra: Personalmanagement – Quo vadis? – Analysen und Prognosen zu Entwicklungstrends bis 2010

Wunderer, Rolf / Dick, Petra: Personalmanagement – Quo vadis? Analysen und Prognosen zu Entwicklungstrends bis 2010, Luchterhand Verlag Neuwied 2000. 260 Seiten.

Themen: Human Resource Management, Individualisierung, Wertschöpfungscenter.

Abstract
In einer empirisch gestützten Untersuchung fragen die St. Gallener Autoren nach der Zukunft des Personalwesens.

Inhaltsverzeichnis
1 Konzeption der Studie

2 Umfeld 2010

3 Strategie 2010

4 Programme 2010

5 Personalfunktionen 2010

6 Steuerungsfunktionen 2010

7 Organisation 2010

8 Personalmanager/innen 2010

9 Herausforderungen 2010

10 Personalmanagement — Wohin gehst du?

Bewertung
Ein harter Kampf um „Humanressourcen“ wird erwartet, im Übrigen nur wenige aussagekräftige Ergebnisse.

Inhalt

1
Die Konzeption der Studie besteht darin, dass Personalexperten aus mittleren und großen Unternehmungen in der Schweiz zu verschiedenen Aspekten des Personalwesens Fragen (Fragebögen) vorgelegt wurden, mit denen die Trends in der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts eruiert werden sollen. Eine günstige Bedingung dieser Studie ist, dass die Autoren mit einer früheren, auf das Jahr 1999 hin angelegten Studie einen Vergleichsmaßstab für die Ergebnisse haben.
Diese sind gleichermaßen für Praktiker und Wissenschaftler gedacht. In allen Teilen ist die Absicht, abschätzen zu lassen, wie die Situation im Jahr 2010 sein wird.

2
In Umfeld 2010 ist gefragt, was für einen Arbeitskräftebestand die Unternehmen zu erwarten haben; in den vorgelegten Fragen interessieren insbesondere die Einstellungen und Interessen des zu erwartenden Arbeitskräftepotentials. Als erwartete Rahmenbedingungen hierfür haben die Autoren aus den Antworten der Befragten folgenden Kontext herausgearbeitet: „Einer Zunahme von Wettbewerb, Marktveränderung, Globalisierung und internationalem Know-how-Transfer steht zukünftig ein Rückgang der Konzentrationsprozesse sowie der einseitigen Orientierung am Shareholder Value gegenüber … (S. 12). Die deutlichsten Erwartungen zum Arbeitskräftepotential im Einzelnen:

— Mehr Flexibilität und Eigenverantwortung.
Die Anforderungen an Mobilität und Flexibilität der Arbeitenden werden verstärkt, und zugleich wird die Eigenverantwortung für ihre Arbeitsbedingungen zunehmen.

— Widersprüchliche Erwartung hinsichtlich der Arbeitnehmer-Interessen.
Gut die Hälfte der Befragten erwartet eine Stärkung der Arbeitnehmervertretungen; gut ein Fünftel dagegen eine Schwächung. (S. 21 f)

— „Weniger Karrierestreben, mehr Sinnsuche“ (S. 32).
* Typ „Karriereorientierung“ (Status, Einkommen wichtig): stark abnehmende Tendenz.
* Typ „freizeitorientierte Schonhaltung“: leicht abnehmende Tendenz.
* Typ „alternatives Engagement“ (Engagement bei subjektiver Sinnhaftigkeit): deutlich zunehmende Tendenz.

— Gegenläufige Erwartungen hinsichtlich der Grundhaltung der Unternehmensleitungen.
* Einerseits: „Der Mensch wird Mittelpunkt.“
* Andererseits: „Der Mensch wird Mittel. Punkt“ (S. 36).

3
In Strategie 2010 blicken die Autoren zunächst zurück auf bisherige strategische Konzeptionen; sie nennen:
— Bürokratisierung: Personal habe bis Anfang der 1960er Jahre interessiert als kaufmännische Bestandpflege der „Personalkonten“; Aufgabe der Personalressorts sei gewesen, gesunde und billige Arbeitskräfte ggf. mit konkreten Fertigkeiten zu finden.
— Institutionalisierung: Mitte der 1960er Jahre sei es mit dem Begriff des Personalmanagements dann darum gegangen, das Personal komplexer werdenden Organisationsstrukturen anzupassen.
— Humanisierung: In den 1970ern hätten menschenfreundliche Arbeitsbedingungen und ein gutes Betriebsklima vorübergehend eine beträchtliche Rolle gespielt.
— Ökonomisierung: Seit den 1980ern das dominierende Schlagwort, mit einer auf Flexibilisierung und auf Freisetzung ausgerichteten Unternehmenspolitik.

Eine neue, auf die Ökonomisierung aufbauende Orientierung werde den Erwartungen der Personalexperten zufolge die unternehmerische Orientierung sein, indem das sogenannte innere Unternehmertum entwickelt wird. Aufgabe der Personalmanger werde sein, unternehmerisch qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zu finden und zu fördern. Da man hier von einer Normalverteilung ausgehen müsse (d.h. es gibt nicht beliebig viele ‚Unternehmer‘) habe man differenziert in „Mitunternehmer“, „unternehmerisch motivierte Mitarbeiter“ und „Mitarbeiter mit geringer Mitunternehmerkompetenz“. Nur beim ersten Typ, dabei sowohl bei Führungskräften wie Nichtführungskräften, erwarten die Befragten eine starke Zunahme. (S. 60 – 63)
Gefragt, was die wichtigsten Kriterien für die Gewinnung unternehmerisch kompetenter Personen sind, wurden am häufigsten genannt: Entfaltungsspielraum, Weiterbildung, Aufgabenvielfalt und Innovationskraft. (S. 64)
Als Schlüsselkompetenz für solches Unternehmertum wird von den Befragten mit deutlichem Vorrang „Sozialkompetenz“ genannt. Die Autoren deuten dieses Ergebnis dahingehend, dass im Zuge der Vernetzungen und der Ausprägung von Projekt- und Gruppenarbeit eine derartige Kompetenz für wichtig erachtet wird. (S. 65 f)

4
In Programme 2010 geht der Blick auf die strategische Marschrichtung zur Erreichung der Unterehmensziele, indem nach der Bedeutung verschiedener „Programmfelder“ gefragt wird. Den größten Bedeutungszuwachs hat nach der Befragung das Programmfeld Individualisierung und Flexibilisierung (den geringsten das Programmfeld Zielgruppenorientierung). Individualisierung verweise auf Werte, Ziele und Bedürfnisse von Mitarbeitern und sei primär auf Erhalt und Verbesserung sozialer Effizienz ausgerichtet. Besonders optimistisch wurden hier die Möglichkeiten zur Individualisierung der Arbeitszeit eingeschätzt, nach Meinung der Autoren deshalb, weil sie durch die neuen Medien stark befördert wird; die besten Bedingungen für eine solche Individualisierung werden von den Befragten im Bereich Forschung und Entwicklung sowie im Marketing gesehen, sektoral bei den Dienstleistungen.
Flexibilisierung sei demgegenüber auf die ökonomische Effizienz ausgerichtet. Als wichtigste Möglichkeiten der Flexibilisierung werden die des Personalbestands und des Personaleinsatzes gesehen. (S. 83 – 89)

5
In Personalfunktionen 2010 wird die wachsende Bedeutung des Personalmarketings hervorgehoben, nach Ansicht der Autoren bedingt durch die zu erwartende Verknappung der personalen Ressourcen. „Ergänzend zum Unternehmensprofil stellt das Personalmarketing operative Instrumente zur gezielten Imagebildung und Akquisition von neuen Mitarbeitern am externen Arbeitsmarkt bereit. Dabei spielen immaterielle und v. a. emotionale Aspekte eine entscheidende Rolle.“ (S.115) Als besondere Trends werden aus der Befragung noch die folgenden herausgearbeitet:
— Nach Einschätzung der Befragten bereite die Firmenbindung zunehmend Schwierigkeiten; die Beschäftigten neigten eher dazu, sich mit Aufgaben oder Tätigkeiten zu identifizieren (S. 118).
— Die Potentialbeurteilung gewinne an Bedeutung (S. 122 f).
— Der Trend gehe auch zur Mehrpersonenbeurteilung, wobei unter den Beurteilenden in stark zunehmendem Maße „Kunden“ genannt werden (S.123 f).
— Beim Entgelt werde nach Meinung der Befragten die Leistungsbezogenheit Vorrang haben, wobei bei den Konzepten eine Synthese von Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen angestrebt werde. Das Entgelt bleibe ein wichtiger Faktor der Arbeitsbedingungen; darüber hinaus würden intrinsische Anreize (Spaß und Sinngehalt der Tätigkeit) an Bedeutung gewinnen (S. 126 ff).

6
In Steuerungsfunktionen 2010 werden Trends im Verständnis von Führung aufgezeigt. Deutliche Trends sind:
— Die sogenannten weichen Faktoren struktureller Führung (gemeint sind eine Führungsphilosophie und Führungskultur), vor Jahren noch als unbedeutend angesehen, werden nach Meinung der Befragten zukunftsträchtig.
— Als Führungsrollen für die nahe Zukunft werden vor allem der (inspirierende) Leader und der (teamübergreifende) Networker genannt.
— Als Führungsaufgabe werde zunehmend nicht nur die des Motivierens gesehen, sondern auch die der „Prophylaxe des Demotivationsabbaus“ (zu deutsch: Mitarbeiter bei der Stange halten); mangelnde Anerkennung und schlechte Beziehung zum Vorgesetzten werden als die gewichtigsten Gründe dafür genannt, Vertrauen schaffen als die wichtigste Aufgabe (S. 168 f).
— Mit der Virtualisierung von Arbeitsprozessen werde strukturelle Führung an Bedeutung gewinnen: Klare Strukturen und Regeln, verbindende Werte. „Die zwei größten Problempotentiale liegen in fehlender persönlicher Kommunikation sowie in erschwerter Vertrauensbildung.“ (S. 174)

7
In Organisation 2010 wird nach den organisatorischen Veränderungen gefragt, die das Personalmanagement betreffen. Als wichtigste Bedingung der Veränderungen sehen die Befragten den Einfluss der neuen Kommunikationstechnologien; als hauptsächliche Veränderung wird ein Outsourcing bestimmter Serviceleistungen erwartet (S. 200). Die Erwartungen im Einzelnen:
— Einerseits würden Zentralfunktionen des Personalmanagement der Unternehmensleitung zugeordnet werden (in strategische Aufgaben eingebunden), andererseits den dezentralen Personalabteilungen Aufgaben zuwachsen, besonders in der Personalgewinnung, -auswahl und -entwicklung. Merkwürdig sei, dass die Bedeutung externer Dienstleister für die Personalabteilungen als gleichbleibend erwartet wird, obwohl Outsourcing als wichtigste Veränderung im Personalmanagement erwartet wird (S. 209).
— Standortübergreifende Service-Center für Personaldienstleistungen würden in deutlich zunehmendem Maße erwartet, sowohl hinsichtlich ihrer Bedeutung als auch ihrer Verbreitung; der (von den Autoren als „mittel“ eingestufte) Erwartungshorizont entspricht hier ziemlich genau der von den Befragten erwarteten „Virtualisierung“. (S. 211)
— Gefragt wurde auch nach den Erwartungen für die Organisation des Personalressorts als ein „Wertschöpfungs-Center“ (nach einem maßgeblich von Wunderer entwickelten, in gewisser Weise auch ideelle Werte einschließenden „Wertschöpfungskonzept“). Insgesamt wurden von den Befragten hohe Erwartungen an diese Organisationsform gestellt, in der eine Management-, eine Service-, und eine Business-Dimension unterschieden wird; der ersteren (unternehmenssichernden) Dimension und noch mehr der letzteren (auf Mitunternehmertum zielenden) Dimension wurde eine beträchtliche Zukunftsbedeutung eingeräumt. Auch ergab die Befragung, dass ein zunehmender Teil dieser Wertschöpfungs-Center als rechtlich selbständig dastehend erwartet wird (S. 221 ff).

8
In Personalmanager/innen 2010 werden nun die Personalverantwortlichen thematisiert, jedenfalls unter dem Blickwinkel des Human Resource Management (HRM). Unter diesem Blickwinkel würden sich zwei neue Rollen für Personalmanager abzeichnen: die des strategischen Partners für die Unternehmensleitung und die des Change Agent; zu dessen primären Aufgaben gehöre das frühzeitige Erkennen von Trends und die Entwicklung geeigneter Maßnahmen. Die bisherigen Hauptrollen der Personalmanager würden dann nach unten delegiert werden, wo „Mitarbeiter-Helfer“ in der Doppelfunktion von Motivationssteigerung und Sicherung der Mitarbeiterzufriedenheit zugange sein würden (S. 226).
Die Karriere im Personalressort gewinne an Attraktivität; auch für Quereinsteiger, in höheren Stellen insbesondere aus dem Marketing, sei mit verbesserten Chancen zu rechnen (S. 235).

9
In Herausforderungen 2010 werden fünf genannt:
(1) Der interne und externe Arbeitsmarkt, auf dem mit häufigen Positionswechseln zu rechnen sei. In dem drohenden „War for Talents“ werde man sich nicht auf den externen Arbeitsmarkt verlassen, sondern den Bedarf mehr durch Personalentwicklung decken.
(2) Die moderne Informationstechnologie und die mit ihr verbundene Virtualisierung, die Möglichkeiten biete zur Flexibilisierung des Arbeitsorts und zur Individualisierung der Arbeitszeit.
(3) Das interne Unternehmertum, das neue Steuerungskonzepte verlange, da sich die noch dominierenden Konzepte „Hierarchie“ und „Bürokratie“ zugunsten von „Markt“ und „sozialem Netzwerk“ reduzieren würden.
(4) Die Beeinflussung von Werten, nötig und möglich, weil die einseitige Ausrichtung auf den Beruf generell abnehme; die Beeinflussung könne „strukturell“ stattfinden, insbesondere über die „Unternehmenskultur“ (Slogans, Leitsätze, Rituale, symbolische Handlungen etc.), oder „personell“, durch „inspirierende“, „individualisierte“ und „emotionale“ Ansprache.
(5) Die Reflexion von Spannungsfeldern, zu denen Beruf – Familie/Freizeit, Erwerbstätigkeit – Erwerbslosigkeit und „pluralistische“ bzw. „konfligierende“ Werte gehörten. (S. 241 – 246)

10
Im Schlusskapitel Personalmanagement – Wohin gehst Du?, von Wunderer anscheinend allein geschrieben, wird zunächst darauf verwiesen, dass eine von ihm vor 25 Jahren durchgeführte Untersuchung bereits ähnliche Ergebnisse gebracht habe, nämlich weg von der Personaladministration und hin zum strategischen Personalmanagement. Dieses verlange als die vier wichtigsten Anforderungen an Führungskräfte: „Soziale Intelligenz“, „soziale Verantwortung“, „soziale Sensitivität“ und „soziale Prägungsfähigkeit“ (S. 247).
Dann werden noch zwei Fragen gestellt:
a) Personalmanagement — ‚Was willst Du?‘ Gleich einem Commitment sollten die Personalverantwortlichen „von sich selbst mit höchster Priorität (fordern), dass sie zukünftig unternehmerisch denken und handeln müssen.“ (S. 248)
b) Personalmanagement — ‚Wann handelst Du?‘ Nur das folgende „Erfolgsrezept“ müsse „befolgt“ werden: „gezielt nach Führungskräften und Mitarbeitern mit Umsetzungskompetenz für das Personalmanagement suchen und diese unternehmerische Schlüsselqualifikation insb. bei Auswahl- und Karriereentscheidungen berücksichtigen.“ (S. 250)

19.11.2001; MF