Regulierung braucht das Land

Regulierung braucht das Land

Gelöste und ungelöste Rechtsfragen des Autonomen Fahrens. Ein Gastbeitrag von Nicolas Woltmann

Die Entwicklung neuer Technologien ist ein Balanceakt: Die bestmögliche Realisierung ihres Nutzens muss in einen Ausgleich gebracht werden mit ihren Risiken. Der Weg bis zu ihrer Einführung kann sich anschließend jedoch als noch weitaus steiniger erweisen. Meint der Entwickler ein angemessenes Verhältnis zwischen Positiv- und Negativfolgen hergestellt zu haben, so muss er nun auch genügend Andere hiervon überzeugen. Dabei kann ihm bisweilen heftiger Gegenwind aus deren Richtung entgegenschlagen. Aus dem Stimmengewirr jener Skeptiker und Mahner stechen scheinbar die Juristen, denen diese Eigenschaft gerne als berufsbedingt unterstellt wird, besonders hervor.

Ein anderes Verständnis von Juristerei lässt sich jedoch mittlerweile an zahlreichen fachübergreifenden Forschungskooperationen zum Thema Künstliche Intelligenz beobachten. Unter Beteiligung von Rechtswissenschaftlern (v.a. aus dem universitären Bereich) werden hier die Chancen und Probleme des digitalen Wandels ergebnisoffen diskutiert und zu Handlungsempfehlungen an Entwickler, Hersteller, Politiker und Nutzer zusammengeführt. Eine Vorreiterstellung darf insoweit – aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters von 8 Jahren – der Forschungsstelle RobotRecht zugesprochen werden. In Zusammenarbeit mit sämtlichen der genannten Personengruppen und unter Leitung des Würzburger Lehrstuhlinhabers Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf bemüht sich das Format in einer Vielzahl abwechslungsreicher Projekte um die rechtliche Begleitung der Einführung moderner Maschinen und Software.

Deren zunehmende Autonomie stellt tradierte juristische Konzepte vor teils große Herausforderungen. Beginnend bei ihrer Zulassungsfähigkeit, über Haftung und Verantwortung, bis hin zu Datenschutz und Urheberrecht bringen diese neuen Systeme eine Menge strittiger Detail-, aber auch Grundsatzfragen mit sich. Ihr schnelles Vordringen in sämtliche Lebensbereiche verschärft die Dringlichkeit, beantworten zu müssen, wie wir als Gesellschaft uns mit den neuen Gegebenheiten arrangieren, inwieweit wir diese einer Regulierung unterziehen wollen.

Begutachtung des Einsatzes intelligenter Systeme duldet keinen Aufschub

Industrie, Landwirtschaft, Haushalt, virtuelle Welt: Den Anwendungsmöglichkeiten scheinen keine Grenzen gesetzt. Besonders exemplarisch für einen akuten Handlungsbedarf stehen Fragen der Mobilität. Das autonome Fahren hat in Form von Fahrassistenzsystemen längst Einzug in den Verkehr auf unseren Straßen gehalten und ist als Zukunftsvision vom vollkommen führerlosen KFZ inzwischen in aller Munde. Auch auf der Projektliste der Forschungsstelle RobotRecht nehmen Aktivitäten in diese Richtung daher prominente Plätze ein: Zu nennen sind hier nicht nur Kooperationen mit namhaften Partnern wie Audi, Daimler, BMW und Volkswagen, sondern auch und vor allem die Berufung von Prof. Hilgendorf in die Ethikkommission der Bundesregierung zum automatisierten und vernetzten Fahren im Jahr 2016.

Der Gesetzgeber hat erkannt, dass eine Begutachtung bestimmter Aspekte des Einsatzes intelligenter Systeme im Straßenverkehr schon heute keinen Aufschub mehr duldet. Das Autonome Fahren könnte so durchaus zum Treiber einer Regulierung der Digitalisierung werden. Neben Einberufung besagter Kommission ist ein weiteres Indiz hierfür in der Reformierung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vor einem Jahr zu erblicken. Vier neue Vorschriften sollen eine Rechtsgrundlage für den Betrieb (teil)autonomer Fahrzeuge schaffen, also dessen grundsätzliche Zulässigkeit garantieren.

So erlaubt § 1a Abs. 1 StVG den Betrieb von Kraftfahrzeugen „mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion“, sofern letztere „bestimmungsgemäß verwendet“ wird. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass bestimmte Assistenzsysteme laut Hersteller ausschließlich unter ganz konkreten Voraussetzungen (bspw. nur auf Autobahnen) zur Anwendung gebracht werden dürfen. Der eigentliche Knackpunkt der Neuregelung ist jedoch Abs. 2 der Vorschrift, der festlegt, welche Art von Automation überhaupt unter das Regelungsobjekt des Abs. 1 fällt. Gemäß dessen Nr. 3 muss eine jederzeitige Übersteuerungsmöglichkeit der automatisierten Fahrfunktion durch den menschlichen Fahrer gegeben sein. Andere, d.h. vollkommen autonome Fahrzeuge fallen damit bereits per definitionem nicht unter den rechtlich zulässigen KFZ-Betrieb. Deren Verkehr auf deutschen Straßen bleibt nach heutiger Rechtslage damit vorerst eine Zukunftsvision.

Behält der Mensch eine übergeordnete Stellung gegenüber der Maschine?

Der Mensch behält hiermit also regelungstheoretisch seine der Maschine übergeordnete Stellung. Die damit verbundenen Pflichten des Fahrzeugführers („Führer“ ist neben demjenigen, der das Fahrzeug lenkt und in Bewegung versetzt, auch der, der automatisierte Fahrfunktionen ein- und abschaltet) bestimmt § 1b StVG: Er muss ständig in der Lage sein, die Steuerung zu übernehmen, wenn er durch das System dazu aufgefordert wird oder er einen Defekt am System feststellt. Ausdrücklich erlaubt das Gesetz ihm dabei jedoch, sich partiell vom Verkehrsgeschehen abzuwenden. Es bleibt abzuwarten, wie sich nach Sicht der Gerichte das eine mit dem anderen vereinbaren lässt.

Insbesondere ist hiermit über die Haftung für Straßenverkehrsunfälle nichts Neues gesagt. Dies entsprach aber auch nicht der Intention der Reform, sondern angestrebt wurde eine sog. „Kleine Lösung“ bestimmter einzelner Grundproblemstellungen. Dieser Ansatz verdient zweifelsohne Beifall: angesichts der unvorstellbaren Vielfalt heutiger und zukünftiger autonomer Technologie, wäre es geradezu vermessen gewesen, die Reform als Blaupause für die Beantwortung aller mit der Digitalisierung verbunden Einzelfragen heranzuziehen. Zumal das zivilrechtliche Haftungsregime im Mobilitätssektor auch auf teil- und sogar vollautonome KFZ weitestgehend problemlos anwendbar sein dürfte. Die verschuldensabhängige Haftung des Fahrzeugführers wird neben der verschuldensunabhängigen Halterhaftung insoweit einfach an Bedeutung verlieren. Für den Halter eines KFZ besteht in Deutschland eine Versicherungspflicht, sodass einem finanziellen Schadensausgleich keine Rechtslücken entgegenstehen dürften.

Weitaus schwieriger einzuschätzen ist demgegenüber die strafrechtliche Verantwortung für Verkehrsunfälle. So gut neue Technik funktionieren mag, vollständige Sicherheit wird sich auch durch sie nicht garantieren lassen. Die vieldiskutierten Dilemma-Situationen sind hierfür das klassische Beispiel: welchen Weg soll ein vollautomatisiertes Fahrzeug wählen, wenn alle Alternativen mit der Kollision von Personen und deren schwerer Verletzung oder gar deren Tod verbunden sind? Ergo: Nach welchen Maßstäben muss ein Programmierer den das Auto lenkenden Algorithmus gestalten, um nicht gegen das Recht zu verstoßen?

Nach welchen Maßstäben muss ein autonomes Auto agieren, um nicht gegen Recht zu verstoßen?

Zugegeben: Die Diskussion über derartige Dilemmata nimmt bisweilen bizarre oder gar hysterische Züge an, so etwa wenn in Medien von „Algorithmen des Todes“ gesprochen wird. Ein wesentlicher Vorteil selbstfahrender Automobile dürfte darin bestehen, dass Passagiere schneller und vor allem sicherer an ihr Ziel gelangen. Die Unfallzahlen im Straßenverkehr werden rapide sinken! Auch rechtlich können diese Erwägungen fruchtbar gemacht werden, wenn es darum geht, bestimmte Programmierungen als gesetzeskonform einzustufen.

Das Verlangen der Geschädigten oder deren Hinterbliebenen nach Satisfaktion sollte jedoch keinesfalls unterschätzt werden. Tragische (nicht vollständig vermeidbare) Schicksale mögen wir als Gesellschaft bereit sein, als unerwünschte Nebenfolge eines höheren Ganzen zu akzeptieren. Aus der Perspektive des betroffenen Individuums dürfte dies jedoch kaum gelingen. Der Fall eines Familienvaters aus Aschaffenburg, der die Tötung von Frau und Kind durch ein teilautonomes KFZ im Jahr 2012 mitansehen musste, belegt dies eindrücklich. Der Fahrer des Wagens erlitt einen Schlaganfall, sodass das Fahrzeug unter normalen Umständen, d.h. ohne weitere Lenkbewegungen, von der Fahrbahn abgekommen wäre. Das integrierte Fahrassistenzsystem jedoch hielt den Wagen innerorts bei hoher Geschwindigkeit auf der Straße und erfasste die betreffenden Personen tödlich. Das durch den Ehemann und Vater in der Folge angestrengte Strafverfahren wurde durch die zuständige Staatsanwaltschaft eingestellt; der Hersteller des Spurhalteassistenten habe alle zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Rechtlich ist dieses Ergebnis nicht zu beanstanden. Dem Hinterbliebenen bleiben Fragen, die kein Staatsanwalt, Autobauer oder Politiker ihm beantworten kann.

Sie sind indes nicht die einzigen, die vor dem Hintergrund des automatisierten Fahrens bisher ungelöst bleiben. Es ließe sich noch Vieles sagen über den Datenschutz im vernetzten Straßenverkehr, die Neustrukturierung des Arbeitsmarkts, Umweltschutz und IT-Sicherheit. Wir wollen es mit diesem Beitrag jedoch fürs Erste halten wie der deutsche Gesetzgeber: Eine „Kleine Lösung“, ein Annähern an die Zukunftsvision führerloser Kraftfahrzeuge step-by-step kann zielführender sein als der weite Sprung – die Balance zwischen Nutzen und Risiko hält man so auf jeden Fall wesentlich leichter.

Über den Autor:
Nicolas Woltmann stammt aus Oberbayern und legte nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Würzburg erfolgreich die Erste Juristische Staatsprüfung ab. Zugleich erlangte er den akademischen Grad des „Europajuristen“, den die Universität Absolventen des Begleitstudiums Europarecht verleiht. Seitdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle RobotRecht und des Lehrstuhls von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf in Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen zuvorderst das Straf- und Technikrecht, Rechtsgebiete, die er zugleich zum Inhalt seiner angestrebten Promotion gemacht hat. Untersucht werden hier insb. Haftungsfragen i.R. des Einsatzes selbstlernender Software.

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