Gora, Walter / Bauer, Harald (Hrsg.): Virtuelle Organisationen im Zeitalter von E-Business und E-Government

Gora, Walter / Bauer, Harald (Hrsg.): Virtuelle Organisationen im Zeitalter von E-Business und E-Government, Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York 2001. 489 Seiten.

Themen: Avatar, Mobile Agenten, Telearbeit, Telelernen, Vertrauen, Virtualität.

Abstract
In zahlreichen Beiträgen (hier: eine Auswahl) werden unter verschiedensten Aspekten virtuelle Eigenschaften von Organisationen beleuchtet.

Inhaltsverzeichnis
I Virtuelle Organisationen — S. 1

II Technologien für virtuelle Organisationen — S. 153

III Virtuell reales Geld verdienen — S. 267

IV Die Verwaltung auf dem Weg in die Zukunft — S. 317
Bewertung

Ein sehr informatives, vielseitiges Buch zum Thema.

Inhalt

I Virtuelle Organisationen
1.
„Gedanken zur virtuellen Organisation“ macht sich Lutz Becker. Es komme darauf an, dass Unternehmen ‚Atmen lernen‘, mit dem Markt wachsen und schrumpfen, überhaupt flexibel zu sein. Die technischen Probleme der Virtualisierung von Unternehmungen, sagt der Autor bewusst in leichter Überspitzung, sind eigentlich gelöst. Was fehlt, ist: die soziale und kommunikative Fähigkeit, das technisch Machbare in Wertschöpfung umzusetzen.
Virtualisierung heißt für ihn: „Wissen zum Fließen bringen.“ Dies setze zwei Fähigkeiten voraus. Zum Einen die Fähigkeit, Wissen aufzunehmen und zu verarbeiten, zum Zweiten, eigenes Wissen wieder in den Wertschöpfungsprozess abzugeben. Für alle Bestandteile von Organisationen ist nach Becker ein Perspektivwechsel nötig. Von der ‚Inside-Out‘-Perspektive (’so sehe ich das‘) müsse man zur ‚Outside-In‘-Perspektive (‚das ist meine Rolle‘) gelangen. Vertrauen — ein Schlüsselwort für virtuelle Organisationen; das Problem ist, wie Becker mit Luhmann sagt, dass in einer vernetzten Welt Vertrauen mit Unbekannten geteilt werden muss. Dies kann, so Becker, nur gelingen, wenn Organisationen als solche — selbst wenn deren Personen nicht greifbar sind — Vertrauenswürdigkeit erlangen.

2.
Über „Organisation auf dem Weg zur Virtualität“ reflektieren Walter Gora und Eva Maria Scheid. Die traditionellen Erfolgsfaktoren, vor allem wenn sie auf Ursache-Wirkung-Strategien aufgebaut sind, haben nach Ansicht der Autoren in virtuellen Organisationen ausgedient. Charakteristisch für sie sei, dass man sich „in einem Meer von individuell geprägten ‚Sichten'“ bewegt; darin komme es darauf an, und dies sei der Erfolgsfaktor der Zukunft, Anforderungen „holographisch“ wahrzunehmen und entsprechend umzusetzen.
Im Unterschied zu herkömmlichen sind virtuelle Unternehmen den Autoren zufolge primär „missions- und nicht organisationsgetrieben“; wenn der beabsichtigte Zweck erreicht ist, kann das Unternehmen aufgelöst werden. „Der Erfolg eines virtuellen Unternehmens hängt maßgeblich vom laufenden Informations- und Wissensaustausch zwischen den Verant-wortlichen und Beteiligten sowie von der Qualität und Verfügbarkeit relevanter Daten und Informationen ab.“ (S. 17)
Gutes Wissensmanagement ist demnach erfolgsbestimmend. Hierzu stellen die Autoren heraus, dass sich Wissensmanagement sich in einem Kreislauf folgender Funktionen bewegt:
(1) Erwerb von Wissen, (2) Entwicklung von neuem Wisssen, (3) Speicherung des Wissens, (4) Pflege des Wissens, (5) Nutzung des verfügbaren Wissens, (6) seine Verteilung und Diffusion. (S. 21)

3.
„Virtualität als neue Dimension“ lautet das Thema von Harald Bauer. Dabei ist der Autor vornehmlich damit beschäftigt, wie man den virtuellen Charakter eines Unternehmens überhaupt definieren oder wenigstens kennzeichnen kann. Er stellt (nach Konradt) die folgenden „Kriterien für die Bestimmung des Grades der Virtualität“ auf; danach besteht hohe Virtualität, wenn vorliegt:
— ein Netzwerk selbständiger Unternehmen
— ein temporärer Kooperationscharakter
— Vertrauen (Vertragserfüllung unter verschiedensten Aspekten)
— Minimale Zentralisation
— Optimierung der Wertkette (u.a. durch ’schlanke‘ Partnerunternehmen, durch signifikante Nutzenstiftung)
— Virtuelle Leistungserstellung (zeit- und standortunabhängig)
— Integration von Kunden, Lieferanten und Partnern (in den Leistungserstellungsprozess)
— Elektronische Netzwerkintegration
(S. 33 – 35)

4.
Eine „gesellschafts- und kartellrechtliche Betrachtung“ bietet Dagmar Gesmann-Nuissl: Durch die sogenannten virtuellen Unternehmen, d.h. Netzwerke gestaltende selbständige Unter-nehmen, entstehen schnell wechselnde, oft grenzüberschreitende Kooperationen, die das bestehende Recht vor neue Herausforderungen stellt. Was die Vertragsgestaltung angeht, ist wichtig, mit Rahmenverträgen zu arbeiten, die ausfüllbar sind. Vom Kartellrecht her gesehen bestehen die Schwierigkeiten (a) im Nachweis von Wettbewerbsbeschränkungen und (b) in der Flüchtigkeit von virtuellen Unternehmen.

5.
Den „Einfluss von E-Business auf die Unternehmensorganisation“ behandelt Oliver Berndt.: In einer kurzfristigen Prognose (für das Jahr 2002) wird erwartet, dass Deutschland im europäischen Rahmen über das größte E-Commerce-Potenzial verfügen wird, deutlich vor Großbritannien und Frankreich (S. 89). Chance und Risiko liegen im E-Commerce in der Bildung neuer Wertschöpfungsketten. Wo sie entstehen, ist nach Berndt die Auflösung fester Kundenbindungen charakteristisch. Da der Handel mit elektronischen Medien tendenziell die Organisationen durchdringt, solle man lieber von „E-Business“ sprechen. Als ein besonderer Vorteil von Unternehmen im E-Business wird hervorgehoben: bereits etablierte Marktplätze zu nutzen.

6.
„Virtuelle Wertschöpfungsketten“ bespricht Fritjof Karnani: Als Grundmodell einer Wert-schöpfungskette wird (nach Porter 1989) eines dargestellt, in dem die tragenden Aktivitäten sind: Eingangslogistik — Operation — Marketing und Vertrieb — Ausgangslogistik — Kundendienst. Kennzeichnend für die neue Entwicklung ist für Karnani, dass Branchen-grenzen verschwimmen; dementsprechend liegen in branchenübergreifenden Konzepten die größten Chancen.
Unterschieden wird zwischen virtuellem Wettbewerb erster und zweiter Ordnung. Bei Ersterem bleibt die Bindung an ein materielles Produkt bestehen, die Virtualität besteht in der Gestaltung von Wettbewerbsvorteilen eines reale Unternehmen übergreifenden Unternehmens. Bei Zweiterem besteht das Produkt nur noch aus Information, womit als Freiheitsgrad die völlige räumliche Unabhängigkeit hinzukommt.

7.
„Soziale Kontexte virtueller Organisationen“ ist der Beitrag von Järisch/Preissler/Roehl betitelt. Als grundlegende Dimensionen virtueller Organisationen werden unterschieden die räumliche Dimension (typisch: die räumlich verteilte Arbeit), die zeitliche Dimension (typisch: Entkoppelung von Echtzeitkommunikation) und die institutionelle Dimension. Letztere macht sich nach Ansicht der Autoren in virtuellen Organisationen dadurch geltend, dass „der Bezugs-punkt für die Leistungserstellung nicht mehr der hierarchisch Vorgesetzte, sondern der Kunde“ ist (S. 106). Allerdings könne eine zu starke Kundenorientierung für die Organisation gefährlich werden, weil sie Zirkularschlüsse erzeugen kann, die zu konfusem Handeln führen. In der Kundenbeziehung von virtuellen Organisationen sehen die Autoren eine Paradoxie: Einerseits trete der face-to-face-Kundenkontakt zurück, andererseits sollen es die Kunden sein, die gestaltend in die Produktherstellung miteingreifen.
Vertrauen wird als „Treibstoff“ virtueller Organisationen angesehen: „Unter Vertrauen ist die Erwartung zu verstehen, dass kooperatives Handeln nicht ausgebeutet wird. Auf individueller Ebene muss sich Vertrauen in konkreten Interaktionen realisieren und verstärkt sich mit positiven Erfahrungen aus vorangegangenen Zusammenarbeit. Auf Organisationsebene ist Vertrauen in der Organisationskultur und im wirtschaftlichen Erfolg einer Organisation verankert. … Vertrauen baut sich langsam auf und ist schnell zerstört.“ (S. 110)
Nachhaltig, betonen die Autoren am Schluss, können virtuelle Organisationen nur sein, wo es gelingt, die neuen Kommunikationsstrukturen mit den Grundbedürfnissen nach Nähe und direkter Kommunikation in Einklang zu bringen.

8.
„Ein Szenario über unser Privatleben im Jahr 2010“ hat Horst Geschka ausgearbeitet; hier in Stichworten: Die meisten Erwerbstätigen mit Computer-Arbeitsplatz, ein Drittel der mit Bürotätigkeiten Beschäftigten arbeiten auch zu Hause; die persönliche Versorgung weitgehend an Dienstleister abgegeben, Abwicklung über das Netz; Freizeitaktivitäten hochgradig differenziert; Geräte zur Überwachung des eigenen Gesundheitszustands tragen zur Selbstverantwortlichkeit bei; behördliche Vorgänge leicht über das Netz abwickelbar; „E-Demokratie“ durch Online-Plebiszite, Online-Wahlkämpfe und -Wahlen sowie kontroversen Diskussionen über das Internet.
Zu den wichtigsten Einflussfaktoren zählt Geschka die Entwicklung des Internets, die zunächst noch (Anfangsstadium) exponentiell verläuft, bevor sie in ein degressives Wachstum übergeht.

9.
„Zehn Thesen zur praktischen Virtualisierung“ formulieren Johannes Ehrhardt und Walter Gora, hier wiederum in sehr knapper Form:
(1) Virtualisierung eröffnet neue Möglichkeiten kooperativen Handelns; dieses ist technisch ermöglicht, aber selbst nicht technisch.
(2) Virtualisierung wird dort Einzug halten, wo Transaktionskosten eine große Rolle spielen.
(3) Die Unternehmen der New Economy sind netzwerkbasiert und werden von den Finanzmärkten kontrolliert.
(4) Ökonomisches Handeln in der New Economy heißt Kernkompetenzen von Leistungsträgern zusammenzuführen.
(5) Die Wertbildung wird dadurch bestimmt, dass schlummerndes Potential von Wissen und Know-how zusammengebunden wird; das WIE ist die entscheidende Frage künftigen Managements.
(6) Bindemittel des virtuellen Unternehmens sind Wissen, innovative Kompetenz und Lern-fähigkeit.
(7) „Ich telefoniere nicht besser, indem ich schnell rede, sondern indem ich warte, was der Andere zu sagen hat.“ (S. 150)
(8) Die Arbeit in virtuellen Bezügen ist spannungsreich, weil es nötig ist, auf Andere ein-zugehen und auf Eigenem zu bestehen.
(9) Die Identität eines virtuellen Unternehmens liegt in der Markenqualität; dieser Kern ist immer an Qualitäten bestimmter Personen gebunden.
(10) Mit Netzwerkwelten entstehen unendliche Kontaktmöglichkeiten; in diesem Kontext ist es die wichtigste Aufgabe des Managements, den Kern der kulturellen und personellen Identität des Unternehmens zu sichern.

II Technologien für virtuelle Organisationen
10.
„Die Virtualisierung der Netzinfrastruktur“ heißt der Beitrag von Mathias Hein. Es geht dabei um technische Probleme der Verlängerung von Unternehmensnetzen über das Internet. Dies geschieht mit den sogenannten VPNs (virtuelle private Netze), zu denen unterschiedliche Lösungen angeboten wurden, mit der Folge von Problemen der Inkompatibilität. Über ein Diskussionsforum im Internet versucht die Internetgemeinde, die Probleme zu lösen.

11.
Den „Einsatz mobiler intelligenter Agenten“ für die Unterstützung von virtuellen Unternehmen beschreiben Ouzounis und Tschammer. Ausgehend von einer Bestimmung der virtuellen Organisation als einem Netz unterschiedlicher Geschäftsbereiche zur Bereitstellung von Mehrwertdiensten unterscheiden sie die statische und die dynamische Art solcher Or-ganisationen. Während im statischen Fall die Partner des virtuellen Unternehmens fest miteinander verbunden sind, werden sie im dynamischen Fall auf Anforderung des Kunden hin ausgewählt, zusammengestellt, miteinander verbunden; dies geschieht mit Hilfe sogenannter virtueller Marktplätze, auf denen Ressourcen, Dienstleistungen u.ä. zu haben sind.
Für eine solche Umgebung wurden in jüngster Zeit mobile Agenten entwickelt für folgende Funktionalitäten:
— Service Type Agent (STA); zur Verwaltung von Diensttypen, inclusive Hinzufügung neuer Dienste.
— Service Offer Agent (SOA); zur Verwaltung von Dienstangeboten, inclusive Registrierung und Veränderung von Angeboten.
— Service Offer Retrieval Agent (SOR); zum Auffinden von Angeboten mit definierten Eigen- schaften.
Über „Call Center in virtuellen Organisationsstrukturen“ spricht Jörg Kühnapfel. Call Centers, nach Kühnapfels Bestimmung eine fabrikartige Einrichtung, können Bestandteil einer virtuellen Organisation sein, sofern der feste Ort, an dem die (typischerweise weiblichen) Beschäftigten beisammen sind, aufgelöst ist.
Als Trend erwartet der Autor, dass Call Center-Prozesse im Internet abgebildet und mit Telefondiensten kombiniert werden.

12.
„Telearbeit — ein Vorgeschmack auf die Zukunft der Arbeit“, ist der Beitrag von Norbert Kordey und Werner Korte überschrieben. Nach ihrer Schätzung hat die Zahl der Telearbeiter in Europa im Jahr 2000 die 10-Millionen-Marke erreicht, wobei hierin die sogenannten supplementären Telearbeiter (gelegentliche häusliche Telearbeit) mitgerechnet sind. (S. 226 f)
Im Ländervergleich zeigt sich, dass während der jüngsten Jahre Telearbeit in Deutschland stark zugenommen hat, während die Zunahme etwa in Großbritannien — vor einem Jahrzehnt in Sachen Telearbeit noch Vorreiter — besonders langsam verlief.
Unter bestimmten Annahmen wie der, dass die Betriebe ihre expliziten Planungen bis dahin realisiert haben, prognostizieren Kordey/Korte die Ausbreitung von Telearbeit im Jahr 2005, gerechnet in Anteilen an der Erwerbsbevölkerung. Danach wird sich dieser Anteil in Deutsch-land gegenüber 1999 mit 6,0 auf 12,6 mehr als verdoppelt haben. Deutschland, bisher noch Durchschnitt in Europa, wird dann signifikant über dem Durchschnitt liegen; charakteristisch bleibt nach der Prognose das starke Nord-Süd-Gefälle in Europa (S. 237 nach der Quelle Gareis/Kordey 2000).
Ausblickend sprechen die Autoren von ihrer „festen Überzeugung, dass in fünf Jahren kaum noch jemand den Begriff ‚Telearbeit‘ verwenden wird. Es wird dann völlig normal sein, so zu arbeiten. Und für Normalität braucht man keine eigenen Worte.“ (S. 238)

13.
Vom „Telelernen“ im Hinblick auf „virtuelle Personalentwicklung“ handelt ein Projektbericht von Stefan Kreher. Er verweist zunächst auf den inflationären Gebrauch des Worts „virtuell“ und weist darauf hin, dass es im Englischen (seit der frühen Neuzeit) das Eigentliche einer Sache bezeichnet, ihren ‚Wesenskern‘. Im gegenwärtigen Sprachgebrauch verstehe man unter virtuell im Allgemeinen etwas, das mit Hilfe von Kommunikationsmedien simuliert wird. „Es handelt sich um eine Konfiguration von Zeichen, die im Kommunikationsprozess entstehen und dann häufig die Stelle von etwas einnehmen, das bisher mit materiellen Komponenten konfiguriert wurde.“ (S. 241)
Telelernen stellt nach Kreher eine interessante Möglichkeit der Weiterbildung dar in Betrieben, wo Kosten der Personalentwicklung gespart werden sollen. Besonders im Vorfeld eines Seminars mache Telelernen Sinn; denn in der Regel könne dadurch der unterschiedliche Wissensstand der Teilnehmer ausgeglichen werden, so dass die eigentliche Seminararbeit mit dem Trainer genutzt werden kann.
Nach Diskussion der unterschiedlichen Komponenten von Telelernsystemen (Teletutoring, Videokonferenzen etc.) und ihrem Einsatz in Betrieben stellt Kreher fest: „Insgesamt ist die Euphorie über die Einsatzmöglichkeiten unterschiedlicher Komponenten bei den Unternehmen ohne Erfahrung mit Telelernen größer als bei den Unternehmen, die bereits über Erfahrungen verfügen.“ (S. 246) Als Hauptvorteile des Telelernens in Betrieben sieht der Autor die Zeit- und Ortsunabhängigkeit, und mit Relativierung auch die Effektivität; mit ihr könne man nur rechnen, wo die Bedingungen des Lerngewinns klar sind.

14.
„Der Avatar“ heißt eine — cum kilo salis wahre — Geschichte von Robert Pestel, Rudi Roth und Theo Schlickmann. Es ist, um es gleich vorweg zu sagen, eine Parodie auf einen Intelligent Agent namens YETI, dessen Vater und Erfinder Meingott Walter heißt. Geboren aus dem Profilabgleichsalgorithmus guglhupf macht er bald schon prächtige Telelernfortschritte, durch die er sich auf dem ihm eigenen Scanner das Buch „Virtuelle Organisationen in der Praxis“ zuführt. In einer ersten Gefühlsäußerung b e d a u e r t er, dass er selbiges Buch nicht ‚in die Hände‘ bekommen kann und beschließt, als wolle er diesen Frust überspielen, selbst eine virtuelle Organisation aufzubauen. Seine großartigsten Erfolge hat er im Ausklamüsern von Phänotypen zusätzlicher Sinneswahrnehmungen: der Tast- und Wärmeempfinder, die Geruchs-kanone, die virtuelle Zunge; auf den Sprung dazu brachte ihn ein Tiefendialog mit der westfälischen Linguistik-Schmiede Learnwhat, Then Are You What. Tragisch, weil er immer der Bool’schen Logik vertraute, wird es für YETI den Intelligent Agent, als er sich in eine Europaparlamentarierin verliebt. Da nämlich merkt er, dass ihm ein Körper wohl anstünde; und so erhält er, weil dieser Kandidat sich ohnehin aufs Netzteil zurückziehen will, den Körper von Rednose Reindeer. Nun geht es vollends bergab: mit Zahnschmerzen, für die ihn die Angebetete nicht einmal bedauert … (und was das Schlimmste wird, erfährt man in der Fortsetzungsgeschichte des bereits genannten Meingott Walter).

III Virtuell reales Geld verdienen
15.
Zur „Theorie und Praxis der Virtualisierung am Beispiel der ‚materialboerse.de‘ äußern sich Johannes Ehrhardt und Falk Neubert. Sie berichten zunächst, dass das Wörtchen ‚virtuell‘, bevor es in die englische Wirtschaftssprache eingegangen war, im Französischen gebräuchlich war und ‚möglich‘ im Sinne von wirkungsfähig bedeutete. Heute seien mit ‚virtuell‘ jederzeit aktivierbare Handlungsmöglichkeiten angesprochen.
Virtualisierung, sagen die Autoren, ist das grundlegende Charakteristikum der New Economy. Durch das ökonomische, politische und kulturelle Phänomen der Globalisierung, d.h. praktisch der weltweite Ausbau von Interdependenzen zumindest zwischen Finanz-, Produktions-, Verkehrs-, Informations-, Logistiksystemen werde die Gestaltung der Interdependenzen herausgefordert; dadurch würden die Grade der Virtualisierung erhöht. Die Gesamtentwicklung charakterisieren die Autoren folgendermaßen:
1. Die Globalisierung ist irreversibel.
2. Die Eigendynamiken der Prozesse schließen eine Gesamtsteuerung aus.
3. Nicht Kontrollieren, sondern breitangelegtes Lernen ist zukunftsversprechend.
4. Die hochgradige Abstraktheit der Globalisierungsmechanismen macht Vertrauensbildung (hier verweisen die Autoren auf den Früherkenner W. Staehle) zu einer zentralen Aufgabe der Zukunftssicherung.
Das Beispiel materialbörse.de: Die Geschäftsidee war, Anbieter und Nachfrager über das Internet zu vermitteln, und zwar über eine Plattform, die es verarbeitenden Betrieben ermöglicht, Rest- und Überbestände von elektronischen Bauelementen und Ähnlichem wirtschaftlich zu verwerten. Im Fall materialbörse.de konnten Stufen der Virtualisierung nach-gezeichnet werden, so eine (hohe) Stufe, auf der Kundenvorschläge direkt in die Gestaltung der Börse eingegangen sind. Das Fallbeispiel, resümieren die Autoren, hat gezeigt, dass Vertrauen in die am System Beteiligten um so wichtiger wurde, je weiter dessen Virtualisierung entwickelt wurde.

16.
In „guideguide“ stellt Michael Schwartz eine junge Firma vor, mediaconsult, ausgerichtet auf Webauftritte von Unternehmen. 1999 wurde es zur guideguide AG mit der Idee, Internet-auftritte zu standardisieren: fertig programmierte Homepages werden nach Branchen geordnet in sogenannten Guides sortiert, mit dem Vorteil, dass sie sehr leicht gefunden werden können.
Herzstück des Guide-Systems ist die Guidebox, in der Interessierte alles zugesandt erhalten, was sie für die Gestaltung ihrer Homepage brauchen (Einwegkamera inclusive). Mit dieser Guidebox kann jeder Teilnehmer die E-Publishing Software von guideguide nutzen, die im Internet bereitliegt.

IV Die Verwaltung auf dem Weg in die Zukunft
17.
Von der „Verwaltungsmodernisierung mit IT“ handelt der Beitrag von Klaus Grimmer. Die öffentlichen Verwaltungen in Deutschland, legt er dar, befinden sich im Umbruch. Vorbild für die Reformstrategie sind dabei niederländische Kommunen (insb. Tilburg). „Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Selbststeuerung hat Vorrang vor staatlicher Steuerung, staatliche Steuerung erfolgt partizipativ im Kontext mit gesellschaftlichen Mitgestaltungen.“ (S. 334)
Eine durchweg zu beobachtende Tendenz sei, „Verwaltungsprodukte“ von Dritten, insbe-sondere Privaten, erstellen zu lassen. Dabei kommen die IuK-Techniken zum Tragen. Typisch für die ‚langsamen Mühlen‘ des Staats ist, dass zuerst einmal das Gegebene technifiziert wird, bevor partizipative Strukturen Platz greifen.

18.
„Electronic Government als neue Regierungsform?“ Diese Frage stellen Günther Theis und Lutz Wessner. Ein Verschlankungsprozess in der Wirtschaft hat stattgefunden, Entsprechendes steht den staatlichen Behörden bevor; so die Grundthese der Autoren. In diesem Prozess werde die Arbeitsteilung zwischen öffentlichem und privatrechtlichem Sektor, auch die Konkurrenz zwischen beiden, vorangetrieben werden. Desweiteren stehe die Reduktion des bürokratischen Aufwands und der Regeldichte (z.B. Zahl der Gesetze) an.
Die Verwaltungsinformatik, die in der Wirtschaft beispielsweise durch Workflow-Managementsysteme der Effizienz dient, werde auch für staatliche Behörden bedeutungsvoll; und in diesem Sinne sprechen die Autoren vom „E-Government“. Zu modellieren sei es als „Performance Management Prozess“; zu dessen Elementen gehören: eine effiziente Möglichkeit zur Datensammlung, eine graphische Anzeige des Systemverhaltens bei üblichen An-wendungen, eine Möglichkeit zur Performance-Analyse u.a.m.
Zusammenfassend wird gesagt: Unabhängig von modernster Technologie kann Service-bereitschaft und -fähigkeit nicht von selbst erreicht werden. Dazu bedarf es der Einrichtung eines intelligenten System- und Performance-Managements.“ (S. 379)

19.
„Elektronische Demokratie“ thematisiert Günter von Ameln. Die Gedanken dazu kommen aus der Unterarbeitsgruppe „Digitale Demokratie“ einer von der IBM Deutschland (mit) angeregten Initiative, der Initiative D21; die Arbeitsgruppe knüpfte dabei an Internetprojekte an, die Mitte der 90er Jahre aus dem amerikanischen Raum kamen. In einem ersten Brainstorming der Gruppe kristallisierten sich vier Ansatzpunkte heraus, hier von 1. – 4. in aufsteigender Linie nach dem Intensitätsgrad der Bürgerbeteiligung dargestellt:
1. „Ohr am Bürger“, eine einseitige Ausrichtung;
2. „Bürger-Gespräche“; zweiseitig und interaktiv, ohne Entscheidungskompetenz;
3. „Bürger-Beteiligung“; zweiseitig, partizipativ, ohne Entscheidungskompetenz;
4. „Bürger-Entscheidung“; zweiseitig, mit Entscheidungskompetenz.
Die Arbeitsgruppe hat dann einen mehrstufigen Plan aufgestellt, der bis zu einer Online-Briefwahl bei einer Landtags- oder Bundestagswahl führen soll. Der Autor reflektiert dann noch, in welcher Umwelt solches stattfindet. In zwei Sätzen beschreibt er sie folgendermaßen: „Um weltweit 50 Millionen Nutzer zu erreichen, hat das Radio 38 Jahre benötigt, der PC 16 Jahre und das Fernsehen 13 Jahre. Das Internet benötigte gerade einmal 4 Jahre dazu.“ (S. 388)

20.
„Die virtuelle staatliche Universität“ ist das Thema von Uwe Schneidewind und Hendrik Holtmann, abgehandelt an dem 1999 gebildeten „Campus Virtuell“ in Oldenburg.
Unterschieden wird zwischen Virtualisierung in der Lehre, der Forschung und der Administration, wobei der (schwache) Intensitätsgrad der Virtualisierung mit „Internet als Service-Station“ beschrieben wird (im Unterschied etwa zu reinen Online-Universitäten, zu denen mittlerweile auch die 1969 gegründete britische „Open University“ gehört).
Entstanden ist die Oldenburger Plattform Campus Virtuell Mitte 1999 im wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Fachbereich unter Bedingungen beschränkter Finanzmittel, einer hinsichtlich der neuen Medien sehr unterschiedlichen Motivationslage an den einzelnen Lehrstühlen und einer ausgeprägten Passivität der Studierenden bezüglich der Mitgestaltung bei Lehrinhalten.
Die Grundüberlegung war, eine Plattform mit einem Höchstmaß an interaktiven Funktionali-täten zu schaffen und dem Benutzer auf einfachste Weise — über HTTP-Upload — eine Veröffentlichung auf der betreffenden Webseite zu ermöglichen (bei möglichst automatischer Wartung der Seite), wobei die Veröffentlichungen auch Freizeitaktivitäten etc. betreffen.
Organisatorisch eingebettet ist die Plattform in hochschulbetriebene Workgroup-Plattformen anderer Universitäten, in kommerzielle Unterstützungsplattformen (wozu auch Themenbörsen gehören) und Wissensmanagementsysteme. Von Haus aus hat die Plattform einen studentischen Charakter, wobei allerdings eine hohe Akzeptanz bei den Lehrenden angestrebt ist.

02.10.2001; MF