Ethikkommission zum autonomen Fahren: Ein erster, kleiner Schritt

Ethikkommission zum autonomen Fahren: Ein erster, kleiner Schritt

Sicher wäre es unrealistisch, nach neun Monaten bereits konkrete und anwendbare Richtlinien zu erwarten. Dennoch stellt der Bericht der Ethik-Kommission zum automatisierten und vernetzten Fahren eine massive Enttäuschung dar.

Von Georg Ludwig Verhoeven

Die 20 „Ethischen Regeln“, die dem Bericht vorangestellt werden, formulieren Selbstverständlichkeiten, zumindest aber berechtigte Erwartungen an verantwortungsvolles politisches und technisches Handeln. Auffällig ist, dass sich die Kommission sehr stark auf eine reine Autoverkehrssituation konzentriert – andere werden als „schwächere Verkehrsteilnehmer / Vulnerable Road Users“ am Rande erwähnt, spielen aber ansonsten in der Betrachtung kaum eine Rolle. Dabei nimmt deren Anteil am Straßenverkehr kontinuierlich zu.

Die Betrachtung beschäftigt sich intensiv mit dramatischen, „dilemmatischen“ Situationen, in dem das automatisierte System sich zum Beispiel zwischen mehreren Alternativen entscheiden muss, die beide Menschenleben kosten können. Hier wird dargestellt, was das System NICHT tun darf: Eine zentrale Regel lautet zum Beispiel: „Eine Aufrechnung von Opfern ist untersagt.“ Gleichzeitig aber kann „eine Minderung der Zahl von Personenschäden vertretbar sein“ – wie soll das ohne „Aufrechnung“ gehen?

Noch weiter geht die Kommission mit der Aussage, dass gewisse Situationen „nicht eindeutig normierbar und auch nicht ethisch zweifelsfrei programmierbar“ sind. Darf man Entscheidungen in solchen Situationen dann automatischen Systemen überlassen? Hängt das Leben der Betroffenen von der Tagesform des Entwicklers ab?

Wo bleibt die Betrachtung der Alltagssituationen?

Weitgehend außer acht bleiben Alltagssituationen, in denen heute Verkehrsteilnehmer im Sinne eines zügigen Vorwärtskommens regelmäßig gegen die StVO verstoßen – hohe Geschwindigkeiten in Ortschaften, enges Überholen von Radfahrern, Blockierung von Kreuzungen und vieles mehr. Eine Minimalforderung an autonome Fahrzeuge muss sein, dass sie die StVO einhalten, z. B. den §3 „Geschwindigkeit“. Schon bei Einhaltung dieses Paragrafen sind viele der „dilemmatischen“ Situationen gar nicht möglich, denn man kann ja „innerhalb der übersehbaren Strecke“ halten. Allerdings würde es dann deutlich langsamer zugehen auf den Straßen.

Im Absatz „Overruling“ wird schließlich ein Hintertürchen geöffnet, das die Dimension eines Scheunentors hat: „Ausdruck der Autonomie des Menschen ist es (…) objektiv unvernünftige Entscheidungen zu treffen (…)“: Weiter schreibt die Kommission: „Es besteht keine ethische Regel, die Sicherheit immer vor Freiheit setzt.“ Das klingt gewaltig nach „freie Fahrt für freie Bürger“.

Welche Aspekte haben auf der Straße Priorität?

Wenn die „Richtlinien“, von denen hier die Rede ist, genauso systematisch und konsequent umgesetzt und geprüft werden wie in der Vergangenheit die Abgase von Dieselmotoren, dann werden die autonomen und intelligenten Systeme sehr schnell merken, dass sie gerade auf dem Prüfstand stehen und „brav“ sein müssen. Auf der Straße haben dann andere Aspekte Priorität.

Vielleicht hilft der Bericht dem Philosophen, dem Juristen, dem Politiker; den für die Entwicklung der Systeme Verantwortlichen hilft er sicher nicht. Wie soll der Systemarchitekt die Entscheidungslogik aufbauen, wie soll der Systementwickler sie implementieren?

Ohne Zweifel spricht der Bericht wichtige theoretische Aspekte der Problematik an, wenn auch in einer für Laien oft schwer verständlichen Sprache. Aber auf dem Weg zu einer praxistauglichen Umsetzung ist er nur ein allererster, kleiner Schritt, dem noch viel konkrete Detailarbeit in Philosophie / Theologie, Politik, Rechtswesen, vor allem aber in der Technologie, folgen muss.