Denning, P. J. / Metcalfe, R. M. (Hrsg.): BEYOND CALCULATION – The next fifty years of computing

Denning, P. J. / Metcalfe, R. M. (Hrsg.): BEYOND CALCULATION – The next fifty years of computing, Copernicus im Springer Verlag, New York 1998. 310 Seiten.

Themen: Agenten, Innovation, Internet, Interoperabilität, Lernen, Simulation, Wissen.

Abstract
Der langjährige Leiter des MIT-Instituts für Informatik, einer Kernzelle des Internet, reflektiert über die Zukunft der Computerwelt.

Inhaltsverzeichnis
Teil I: Die Zukunft gestalten
1 Vision
2 Die Revolution entwickelt sich
3 Mensch und Maschine treffen sich
4 Neue Werkzeuge

Teil II: Wie sich unser Alltag verändert
5 Alltagsleben
6 Unterhaltung
7 Gesundheit
8 Lernen
9 Geschäftsleben und Organisation
10 Regierung

Teil III: Versöhnung von Technik und Humanität
11 Der Wert von Information
12 Elektronische Bulldozer
13 Elektronische Nähe
14 Ewig gleiche Menschen

Anhang: Die fünf Säulen des Informationszeitalters

Bewertung

Ein profundes, glänzend geschriebenes Werk, von humanitärem Geist durchdrungen.

Inhalt

Teil I Die Zukunft gestalten
1
Dertouzos teilt eine Vision mit, die er im Jahr 1980 von einem künftigen Informationsmarkt hatte: alle hätten einen Computer, und diese seien untereinander verbunden. Er fügt hinzu, dass er, der in Athen aufgewachsen ist, dabei an einen Informationsmarkt dachte, der ähnlich strukturiert sei wie der ihm vertraute Athener Flohmarkt; statt Nippes würden Informationen gekauft, verkauft und getauscht werden, und in beiden Fällen würde der Markt nicht von einer zentralen Autorität dirigiert werden, sondern sich ’naturwüchsig‘ entwickeln (S. 12). Ob er sich gut entwickelt, sei allerdings entscheidend davon abhängig, inwieweit sich in dem Infor-mationsmarkt eine Infrastruktur herausbildet, die (a) eine umfassende Verfügbarkeit der Informationen und (b) die Möglichkeit zahlreicher voneinander unabhängiger Aktivitäten gewährleistet (S. 22 f). Vorgeschwebt habe ihm, berichtet Dertouzos weiter, eine Infor-mationelle Revolution, in der ähnlich wie in der Industriellen Revolution eine neue Technologie hervorgebracht wird, die sich von der früheren Technologie jedoch wesentlich dadurch unterscheidet, dass nicht Muskelkraft, sondern Geisteskraft auf die Maschinen abgewälzt wird.

Beobachter aus der Informatikszene sehen in jenen Zukunftsvorstellungen Dertouzos‘ aus den frühen ’80-er Jahren eine Vorhersage des Internet, wie es sich dann eineinhalb Jahrzehnte später nach der Erfindung des WWW durch Tim Berners-Lee — er trat 1994 in das MIT-Institut für Informatik ein und wurde Direktor des damals gegründeten Internet-Konsortiums — explosions- artig entwickelte.

2
Die Wurzeln der Informationellen Revolution liegen für Dertouzos in den späten 1960-er Jahren, als (auf Initiative der Informatiker am MIT) sich erste Gemeinschaften herausbildeten, die über miteinander verbundene Computer Informationen austauschten. Ein weiterer Meilen-stein war in den frühen 80-ern das Aufkommen der PCs, wesentlich gefördert durch die von Intel entwickelten Mikroprozessoren. Und dann, gegen Mitte der 90-er Jahre, die bahn-brechende Arbeit von Berners-Lee, der sich das World Wide Web als ein übermenschliches Gehirn vorgestellt hatte, gebildet durch Zusammenfügung des Wissens Vieler; wichtig in seinen Überlegungen war eine adressengestützte Vernetzung und die Ausarbeitung eines Hypertexts, durch den Links gebildet werden konnten. Das Grundbestreben war, diese Infrastruktur so einfach wie möglich zu halten (S. 58). In den späteren 90-ern wurde, wie Dertouzos sagt, „der Krieg der Spinnen“ virulent, in dem die großen Konkurrenten auf dem Informationmarkt die Kontolle über Telefon-, Kabel-, Satelliten- und neuerdings auch Mikrozellensysteme suchen. Dertouzos erwartet, dass jedes dieser Systeme zu seinem Recht kommen wird und dass die großen Betreiber sich dem Bedürfnis nach allgemeiner Verfügbarkeit der Informationen zu fügen haben werden (S. 63 – 70).

3
Als besonders bedeutende Forschungsrichtung im Bereich des Mensch-Maschine-Interface sieht Dertouzos die Arbeit an Spracherkennungssystemen. Solche Systeme gelten da als relativ erfolgreich, wo der Wortschatz nicht zu groß und klar definiert ist, wie beim dem von Victor Zue am MIT entwickelten Flugbuchungssystem Pegasus (2500 Wörter). Es funktioniert in einer hochkomplexen Weise: Ein an ein Mikrofon gegebenes Signal wird 16 000 mal pro Sekunde auf seine Tonfrequenz und Tonstärke hin abgetastet; die Werte werden dann zu Strukturen gebündelt, die mögliche Phoneme darstellen. Nach ihrer Speicherung werden sie mit der vorhandenen Sammlung von Phonemen abgeglichen, und die unwahrscheinlichen Phonem-kombinationen werden ausgeschlossen. Man hat nun eine Reihe von vermutlich gesprochenen Sätzen, die jetzt auf ihre grammatische und linguistische Konstruktion hin überprüft werden, wieder mit der Ausschließung unwahrscheinlicher Kombinationen. Weiter kommt die Prosodie (Silbenmessungslehre) ins Spiel, durch die mit einer Prüfung der Betonung weitere Kombinationen ausgeschlossen werden. Die letzte künstliche Prüfungsinstanz ist eine Art Ohr, das wie das menschliche Ohr auf dem Hintergrund einer Geräuschkulisse jenes vermutlich Gesagte zu identifizieren sucht. Das Ergebnis wird als der vermeintlich gesagte Satz dem Sprecher des Satzes auf dem Bildschirm vorgelegt; im Fall eines Fehlers kann dann noch korrigiert werden (S. 84 – 87).
Als ‚ultimatives‘ Mensch-Maschine-Interface schwebt manchen Forschern eine direkte An-zapfung des menschlichen Gehirns vor. Dertouzos spricht sich gegen diesen Weg aus mit dem Argument, dass eine gewisse Isolation der Menschen nötig sei, um nicht mit Informationen überschwemmt zu werden. Für ihn liegt das ultimative Interface darin, einen gesprochenen Begriff vom Menschen auf die Maschine richtig zu übertragen.

4
Bislang ist es nach Dertouzos im Prinzip nur möglich, über Apparaturen Mitteilungen auszutauschen (eine Leistung, die der Telegraph vor hundert Jahren schon erbracht hat). Auf der nächsten Stufe der Technologie-Entwicklung gehe es darum, Automatisierungswerkzeuge für die Abwälzung geistiger Arbeit zu schaffen (S. 121). Gebraucht werden hierfür Middleware-Module zur Konvertierung unterschiedlicher Softwaretypen. Als wichtige Felder, auf denen entsprechende Forschungen bereits im Gang sind, nennt Dertouzos Module für die Gruppentelearbeit, relevant etwa für chirurgische Eingriffe, für Verbrechensbekämpfung und für Industriedesign (wobei jeweils Kooperation mit nicht vor Ort anwesenden Experten stattfindet — S. 134 f). Eine andere Art solcher neuer Werkzeuge sind Leitungsmanager. Ihre Funktion ist der Informationstransport über die Infrastrukturen, bedeutsam etwa für ein automatisiertes Weiterleiten von Röntgenaufnahmen im Netz (S.137 -140). Eine weitere Art sind Hyperorganisatoren wie ATM (Authoring Tool for Meetings): ein Modul, mit dessen Hilfe Aussagen zu Einzelthemen aus einer Konferenz herausgefiltert werden sollen. Als Anforderung an diese Art von Werkzeugen, die Suchprobleme zu bewältigen haben, stellt Dertouzos, dass sie nicht etwa vorgeordnete, sondern ungeordnete Texte finden sollen (S. 140 -143).

Im Zusammenhang mit solchen neuen Werkzeugen werden auch neuartige Zahlungsprozeduren angesprochen. Ein neues Prinzip sei ein elektronischer Scheck, der im Prinzip dadurch gesichert wird, dass er über die digitale Unterschrift mit einem privaten Schlüssel codiert wird und beim Empfänger mit einem (allgemein zugänglichen) öffentlichen Schlüssel des Senders in Klartext umgesetzt wird. Im Fall der Zahlung mit elektronischem Bargeld wird dem Sender eine (Konto-) Nummer zugeteilt für die Einzahlung von Gebühren; vor dem Übermitteln einer Zahlungsanweisung wird diese codiert. Experimentiert wird auch mit den sogenannten Mikro-zahlungen; sie erscheinen sinnvoll bei der Bezahlung von Leistungen, bei denen so gut wie keine Nebenkosten anfallen: etwa wenn ein Lied aus dem Netz heruntergeladen wird. Die Mikrozahlungen summieren sich dann beim Empfänger. Schließlich kann auch mit Chipkarten bezahlt werden, bei denen wie bei den heute schon üblichen eine Geldsumme ‚aufgeladen‘ ist; als Neuerung erprobt Siemens private Chipkarten, bei denen durch eine Daumen-Berührung die Identität des Senders klargestellt wird (S. 152 – 154).

Teil II Wie sich unser Alltag verändert
5
Im Alltagsleben werden, wie Dertouzos es skizziert, eine Reihe von Neuerungen auf uns zu-kommen: Musikstücke aus dem Internet, die zu bestimmten Zeiten — zum Beispiel beim Wecken — automatisch hörbar werden; medizinische Ratgeber im Fitnessgerät, welche die Einhaltung eines Trainingplans automatisch prüfen; automatische Köche, die aus bestimmten Vorräten schöpfen, sie bearbeiten und Speisen zubereiten; automatische Verleger, die Nachrichten zu gewünschten Themen aus den allgemeinen Nachrichten herausfiltern, u.a.m.
Dertouzos spricht hier auch von der paradoxen Tendenz zur „massenhaften Individualisierung“. Sie wird befördert durch die sogenannte umgekehrte Werbung, bei der ein Individuum einen genau bezeichneten Spezialwunsch ins Internet setzt, um Angebote für dessen Erfüllung zu erhalten. Sobald bestimmte Webseiten hierfür vorgesehen sind, kann solches massenhaft geschehen.

6
Die Unterhaltung wird gekennzeichnet sein durch
— Video on Demand, mit einer Auswahl aus Tausenden von Filmen aus dem Internet
— musikalische Spezialwünsche der Art: ‚bitte Bachs Cellosuiten von allen Interpreten‘
— Dienste für besondere Sexualerlebnisse, z.B. vom Zuschauer beeinflussbarer Tele-Striptease
— Eingriffe in digitale Fotos und bewegte Bilder.
In der Kunst wird es geben können: (Mit Helm und Handschuhen ausgestattet) das virtuelle Nacherleben der Qualen des Prometheus durch den mitfühlenden Zuschauer; das virtuelle Mitspielen einer berühmten Klavierinterpretation durch einen mit Klavierspieler, der mit computergesteuerten Aktoren und Sensoren behaftete Handschuhe trägt; Ausstellungen im Netz, wobei Exponatspräsentationen vielfach verbilligt werden.

Eine Lieblingsidee des Griechen Dertouzos skizziert er folgendermaßen: Sein Heimatland stellt seine kulturellen Schätze im Internet in der Weise vor, dass man entweder virtuell durch die entsprechenden Landschaften fahren bzw. gleiten kann oder dass man Zeitreisen durch ver-schiedene Epochen unternehmen kann. Mit besonderen Farben wären dabei politische Ereignisse, Katastrophen, Schriften, Skulpturen, Töpferwaren, Musik, Rituale, Kleidermoden darstellbar. Es wäre dies eine Abbildung von Bildern, die erfahrene Historiker im Kopf haben (S. 229).

7
Was die Gesundheit angeht, berichtet Dertouzos von Entwicklungen hin zu einem Modul mit ‚Schutzengel-Funktion‘ (Guardian Angel). Mit seiner Hilfe werden von Geburt an generelle Daten eines Menschen gespeichert, sowie seine Krankengeschichte und Anordnungen bzw. Verschreibungen von Ärzten. Auf einer höheren Stufe der Entwicklung wäre es denkbar, dass der ‚Schutzengel‘ subtile Zusammenhänge zwischen der Lebensweise und dem Stoffwechsel eines Menschen aufspürt und so eine Funktion als Gesundheitsberater einnehmen wird. Der medizinische Informationsmarkt ist nach Dertouzos allein schon deshalb zukunftsträchtig, weil man die Kostenexplosionen in der Medizin in den Griff bekommen muss. Kostensparend kann sein, wenn bei schwierigen Diagnosen verschiedene Ärzte auch aus der Distanz mitberaten können. Ferner, wenn per Leitungsmanager Röntgen- oder Ultraschallaufnahmen, Tomo-graphien etc. sofort an den Bestellort kommen können. Größere Sicherheit und mehr Effizienz verspricht auch eine (Halb-) Automatisierung des Zyklus‘ der medizinischen Informations-verarbeitung: sie betrifft die Aufnahme, Überweisung, Auswertung, Archivierung und das Abrufen medizinischer Daten (S. 242 – 249).

8
Lernen
Dertouzos stellt hier die Frage, ob die informationellen Neuerungen das Lernen wirklich leichter oder effektiver machen; und er kommt nach der Betrachtung einschlägiger Beispiele zu dem Schluss, dass diese Frage nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahrzehnte noch nicht zu beantworten ist. Sein Ratschlag ist: in der pädagogischen Praxis nur solche Lernprogramme an-wenden, deren Nutzen wir kennen.
Als zumindest teilweise erfolgversprechende Entwicklungen sieht er:
— Wissens-Softwarewerkzeuge, mit denen man Informationen erhalten und sie organisieren kann; ein an sie gerichteter Befehl könnte etwa lauten: ‚alles zu Columbus.‘
— Simulatoren, in denen beispielsweise ein Cockpit virtuell nachgebildet ist. Sie seien ideal zum Trainieren von Bewegungsabläufen und zum Reagieren auf äußere Einflüsse. Von der Simulation menschlicher Verhaltensweisen, etwa im Sinne von Krisenbewältigung, sei man allerdings weit entfernt. Vorläufig seien hierfür Simulationen in Form von Rollenspielen unübertroffen.
— Automatisierte Tutoren. Für bestimmte eng definierte Funktionen hält Dertouzos sie für geeignet, z.B. zum Lesen lernen für Analphabeten (S. 258 – 272).
Eine ganz ungewöhnliche, für die Wissenschaft vielleicht sehr relevante Forschungsrichtung, bei der Papert/Minsky vom MIT und auch Alan Kay zu den Pionieren gehören, sieht Dertouzos in Versuchen zur Codierung und Beschreibung komplexer Vorgänge mit Computersprachen, die sich von gewohnten Wissenschaftssprachen und von natürlichen Sprachen abheben; möglicherweise könnten damit in Zukunft meteorologische Prozesse, die Dynamik einer Flamme oder biologisches Wachstum instruktiv beschrieben werden (S. 173 f).

9
Unter den Stichworten Geschäftsleben und Organisation behandelt Dertouzos zunächst den Umfang des Informationsmarkts. Heute schon sei etwa die Hälfte aller geschäftlichen Tätig-keiten in den Industrieländern von diesem Markt beeinflusst (in den USA 60% — S. 281); zu unterscheiden ist hier:
— der indirekte elektronische Handel, der die Informationen zu physischen Gütern betrifft
— der direkte elektronische Handel, bei dem die Güter selbst Informationen sind.
Als starken und nachhaltigen Trend erachtet Dertouzos die individuelle Bestellung („umgekehrte Werbung“), denen gegenüber sich entsprechende Dienstleistungen entwickeln.
Für IT-Teams von morgen prognostiziert er, dass sie sich auf die „Herstellung und Bereit-stellung von IT-Werkzeugen“ konzentrieren werden; und er gibt den generellen Rat, solche Teams aus den Betrieben nicht auszulagern, sondern sie als integralen Bestandteil zu betrachten (S. 307 f).

10
In der vielfach prognostizierten Entwicklung, dass politische Entscheidungen künftig in hohem Maße von Umfragen abhängen werden (Tele-Voting), sieht Dertouzos eine Gefahr: dass nämlich die politischen Verantwortlichen dann wenig Anlass haben, ihre Vorhaben richtig zu durchdenken (S. 317).
Er stellt hier auch die Frage, wie es in Zukunft mit Kriegen bestellt sein wird. Seine Vorstellung geht dahin, dass eines Tages (auf jeder Seite) „Robot-Soldaten“ kämpfen werden und dass das Kriegsziel darin bestehen wird, Hardware zu zerstören (S. 321).

Teil III Versöhnung von Humanität und Technik
11
Im Schlussteil des Buchs, eingeleitet mit dem Kapitel „Der Wert von Information“, geht es um die Auswirkungen der Informationstechnologie auf die Menschen im Allgemeinen. Zunächst wendet sich Dertouzos gegen den, wie er es nennt, „Mythos der billigen Kopien“. Er bestreitet dabei nicht dieses Phänomen als solches, wohl aber die (oft gehörte) Implikation, dass wegen der Billigkeit kopierter Information Informationsarbeit wenig Wert hat oder haben wird. Nur ein Teil der Informationsarbeit, argumentiert der Informatiker, gehe in solche Produkte ein, die billig auf den Markt geschleudert werden; ein anderer Teil betreffe von Menschen oder Maschinen oder Menschen und Maschinen bewerkstelligte Dienstleistungen, die individuelle Bedürfnisse befriedigen. Insgesamt kommt Dertouzos zu folgendem Schluss: „Es besteht kein grundsätzlicher ökonomischer Unterschied zwischen dem Wert der Informations-arbeit und dem Wert der physischen Arbeit.“ (S. 338)

Die These an sich scheint mir richtig zu sein; allerdings ist sie unzureichend be- gründet — und Dertouzos selbst weist auf das Fehlen einer ökonomischen Theo- rie der Information(sarbeit) hin, die von Shannons rein informatischer Theorie der Information nicht ableitbar sei. (S. 344)
In Dertouzos‘ Ansatz wird die Frage gewissermassen vom ‚Output‘ her ange- gangen, von der Seite nämlich, in was für Preisen der Wert von Informations- arbeit realisiert wird. Ebenso könnte man von der ‚Input-Seite‘ herangehen und fragen, was in den Wert der Informationsarbeit eingeht. Generell lässt sich hier- zu sagen, dass der gesellschaftlich notwendige Aufwand zur Erzeugung gegebe- ner Informationsarbeit (Ausbildungskosten eingeschlossen) in diesen Wert ein- geht, wobei dieser Wert durch die Verausgabung von Arbeit auf das Informa- tionsprodukt übertragen wird.

Für einen weiteren Mythos hält Dertouzos die (verbreitete) Meinung, dass die neue Welt der In-formation die Menschen einander näher bringt und daher Vermittler tendenziell überflüssig werden. Auch hier versucht Dertouzos zu differenzieren: Zum Teil, sagt er, fallen Vermittler in tatsächlich weg (im Fall der E-Mail z.B. die Postboten); zu einem andern Teil aber, betont er, werden neue Vermittler gebraucht, insbesondere solche, die nach Informationen fahnden, sie sammeln und sie bewerten. (S. 350)

12
Computer, so Dertouzos, sind vor allem dafür geeignet, Menschen bei der geistigen Arbeit zu unterstützen. Allerdings werden beim Einsatz dieser Unterstützer eine Reihe von typischen Fehlern gemacht:
— Zu hoher Lernaufwand bei Software-Handbüchern. Braucht man, fragt der Gelehrte spöttelnd, etwa auch ein 850-Seiten-Handbuch, um zu lernen, wie man einen Kugelschreiber bedient?
— Überfrachtete Programme
— Unangebrachte Perfektion (speziell bei äußerer Gestaltung)
— Intelligenzzuschreibung, wo es an ihr mangelt
— der Maschine die Kontrolle zu überlassen
— übermäßige Kompliziertheit
(S. 372 – 380 mit Beispielen)

Die Hilfsfunktionen des Computers, und mit ihm der Informationstechnologie schlechthin, klassifiziert Dertouzos in diese drei: Automatisierung, indem menschliche Arbeit an den Computer abgegeben wird, Verstärkung, indem bestimmte vom Computer besser zu bewältigende Aufgaben ihm übertragen werden, Vermittlung, indem mit Hilfe des Computers der Informationsaustausch zwischen Menschen gefördert wird. (S. 394)
Diskutiert wird dann das Produktivitäts-Paradox. Es besteht darin, dass in den letzten Jahrzehnten eine sprunghafte Entwicklung der Computerbranche zu verzeichnen ist (mit enormen Leistungssteigerungen ihrer Maschinen), gleichzeitig aber in den Haupteinsatz-bereichen der Computer, in den Büros, keine deutliche Steigerung der Produktivität der Arbeit gemessen werden konnte. Eigentlich müsste jedoch, wie auch Dertouzos denkt, eine neue Technologie eine Produktivkraft darstellen. Diese Ungereimtheit bringt er mit den Fehlern in Zusammenhang (s. vorige Seite), die jedenfalls in der Anfangsphase der neuen Technologie gemacht wurden und werden; da er erwartet, dass man aus diesen Fehlern manches wird lernen können, erwartet er auch, dass die Produktivitätssteigerung der Arbeit in den Haupt-einsatzbereichen der Computer sich auf längere Sicht bemerkbar machen wird. Bestätigt fühlt sich Dertouzos in dieser seiner Ansicht durch eine empirische Untersuchung von Paul Strassmann, der herausfand, dass die stärkere oder geringere Produktivitätssteigerung in den jeweiligen Büros entscheidend von der Führungsqualität der jeweiligen Manager abhängt. (S. 396 – 398)
Wird, wenn man von einer langfristigen Steigerung der Produktivität aufgrund der neuen Technologie ausgeht, die Entwicklung auf eine arbeitsfreie Gesellschaft zulaufen? Dertouzos ist nicht dieser Ansicht; seine hauptsächliche Begründung: es reizt die Menschen zu arbeiten, selbst wenn sie es nicht müssen. (S. 400 f)

13
Das Phänomen der „elektronischen Nähe“ münde in eine ambivalente Grundsituation des Menschen, in die des „urbanen Dörflers“. Dertouzos meint damit, dass sich einerseits alle möglichen wechselnden Kontakte in die weite Welt eröffnen, dass andererseits am Wohnort wenige gleichbleibende Kontakte vorherrschend bleiben werden (S. 410)
Wird sich im Zeitalter der Informationstechnologie eine universelle Kultur entwickeln? — auch zu dieser Frage nimmt der griechische Amerikaner Stellung. In einer Vision stellt er sich vor, dass er über alle Ressourcen des Informationsmarktes verfügen würde: dann würde er — per Telepräsenz — an einem Gottesdienst in Athen teilnehmen, er würde in das Knossos-Museum auf Kreta ‚gehen‘, er würde sich mit seinen Klassenkameraden austauschen …
In hundert Jahren, so glaubt er, werde man die Griechen (von denen gegenwärtig die Hälfte im Ausland lebt) nicht so sehr mit der geographischen Nation Griechenland assoziieren, wohl aber damit, was die Griechen unter ihrem Begriff des Ethnos verstehen, nämlich das Netzwerk der Griechen. In solcher Weise also könne die elektronische Nähe das Bewusstsein der Volkszugehörigkeit fördern. Gleichzeitig sei zu erwarten, dass aufgrund des globalen Umgangs mit der Informationstechnologie quasi ein „kulturelles Furnier“ geschaffen wird, durch das interkulturelle Erfahrungen geteilt werden können. (S. 411 – 413)

14
„Ewig gleiche Menschen“ ist das letzte Kapitel überschrieben, in dem anthropologische Probleme besprochen werden.
Ein erstes ist das der Überlastung. Von Natur aus, sagt Dertouzos, sind wir mit einer begrenz-ten Anzahl von „Speicherplätzen für Bekanntschaften“ ausgestattet. Durch den Informations-markt können durch dessen Speicherung vieler potentieller Bekanntschaften jene „Speicherplätze“ zwar virtuell erweitert werden, aber sie können nur begrenzt genutzt werden. Deshalb hält Dertouzos Erwartungen an sogenannte elektronische Rathäuser, wo Tausende miteinander debattieren könnten, für illusionär; denn wegen der eingeschränkten „Speicherplätze für Bekanntschaften“ würden auch in zukünftigen politischen Debatten immer wieder Vermittler bzw. Repräsentanten notwendig sein, es sei denn, man evoziere Überlastungen. Grundsätzlich sei diese Gefahr der Überlastung keine andere als die, die wir aus der Anbindung an das Telefonnetz kennen. (S. 432 – 435)
Ein zweites Problem ist die scheinbare Unvereinbarkeit unseres Verständnisses von Technik und Humanität. Die Kluft zwischen beidem habe sich in der Renaissance aufgetan und in den folgenden Jahrhunderten weiter vertieft, so dass sie uns heute wie selbstverständlich erscheint, etwa in der Spielart von Materialismus vs. Spirtualismus.
Allerdings ist Dertouzos zuversichtlich, dass die Spaltung überwunden werden kann. Und so endet sein Buch mit einem Plädoyer — in der Tat mit einem manifestartigen Gedicht — zur Versöhnung der „Technos“ und der „Humanos“. (S. 454 – 463)

Anhang
Dort hat Dertouzos (auf den Seiten 465 – 482) die „fünf Säulen des Informationszeitalters“ dar-gestellt, ein Essay zu den Grundbegriffen der Informationstechnologie:

1. Informationen werden durch Zahlen dargestellt.
Alle Impulse, die ein Computer erhält, werden in eine Zahlenfolge umgewandelt. So wird etwa ein Satellitenbild in 200 mal 200 Pixel (Bildelemente) zergliedert, wobei jedes Pixel durch drei Zahlen (für die Grundfarben Rot, Grün, Blau, woraus sich der Farbton ergibt) dargestellt wird. Auch sich ändernde physikalische Größen, die durch einen Sensor gemessen werden, z.B. die Öltemperatur im Auto, werden in Zahlen ausgedrückt.

2. Solche Zahlen werden ausschließlich aus den Ziffern 1 und 0 gebildet.
Die kleinste Einheit der Information im technischen Sinne ist ein Bit (aus: binary digit), wobei ein Bit für eine Wahlentscheidung steht, beispielswese ‚aus‘ – ‚ein‘. Dieses Zweier-System ist für den Transport von Impulsen in Transistoren geeignet, die nach dem Schaltkreisprinzip arbeiten und die kleinsten Bauteilchen eines Computers sind. Millionen von Transistoren können in ein Chip geätzt werden, ein (heute) fingernagelgroßes Siliziumplättchen, auf dem die Programmabläufe stattfinden. Sobald durch irgendwelche Eingabegeräte Zahlen in den Computer gelangen, werden sie in diejenigen Chips abgelegt, die als Speicher dienen; und zwar werden sie in Gruppen zu je 8 Bits abgelegt, d.h. in Bytes, denen die praktische Eigenschaft zukommt, dass sie 256 (Binär-) Zahlenwerte annehmen können, so dass in einem Byte jedes Zeichen einer gängigen Tastatur quantitativ ausgedrückt werden kann.
Wie man im menschlichen Gehirn ein Kurzzeit- und ein Langzeitgedächtnis unterscheidet, so im Computer einen Primärspeicher oder RAM ( Random Access Memory) und einen Sekundär-speicher, im Allgemeinen die Festplatte, wo die Daten auch nach dem Abschalten des Computers erhalten bleiben. (Für hochgradig sichere, umfangreiche Speicherungen sind CD-ROMs — Read-Only Memory — besonders geeignet.)

3. Im Computer werden Rechenoperationen an (Binär-) Zahlen durchgeführt.
Die Grundoperationen werden beim Programmieren der Software festgelegt. Damit sie wirksam werden können, benötigt ein Computer als Hauptbestandteil der Hardware einen (schnell arbeitenden) Prozessor, durch den die Datenverarbeitung gesteuert wird; dabei können Bits verändert und neu abgelegt werden, oder sie können auf ihre Wertigkeit geprüft werden, oder es können an ihnen gruppenweise (als Bytes) Rechenoperationen vollzogen werden.

4. Informationen werden durch Kommunikationssysteme an andere Orte übertragen.
Solche Systeme bestehen aus herkömmlichen elektrischen Leitungen, aus (hocheffizienten) Glasfaserleitungen, aus Funkwellen bzw. einer Kombination dieser Möglichkeiten.

5. Computer und Kommunikationssysteme bilden Netze, welche die technologische Basis des Informationsmarkts ausmachen.
Bei kleineren Netzen, etwa innerhalb eines Bürogebäudes, spricht man von LANs (Local Area Network), im Unterschied zu WANs (Wide Area Network). Um interne Daten vor Zugriffen von außen zu schützen, wird ein sogenannter Firewall installiert, der ungewollte Durchlässig-keit bis zu einem gewissen Grad verhindern kann. Essentiell für sinnvolle Bewegungen im Gesamtnetz, dem Internet, sind Adressen von Sendern und Empfängern; diese Adressen sind gegenwärtig nach dem Standort von Computern festgelegt, könnten in Zukunft aber auch mit dem Aufenthaltsort der sendenden und empfangenden Personen variieren. Das World Wide Web, auch WWW oder Web, wird von Dertouzos als eine bestimmte Methode beschrieben, um Informationen an Adressen zu übertragen. Dafür werden technische Standards gebraucht, Protokolle genannt. Hierzu gehört ein einheitliches Format der Web-Seiten, das mit der Programmiersprache HTML (Hypertext Markup Language) erstellt wird. Ein weiteres Protokoll, genannt http (hypertext transport protocol), sorgt für die problemlose Übertragung von Informationen über beliebige Entfernungen.

02.10.2001; MF