Alfred Herrhausen Gesellschaft (Hrsg.): Der Kapitalismus im 21. Jahrhundert

Alfred Herrhausen Gesellschaft (Hrsg.): Der Kapitalismus im 21. Jahrhundert, Piper Verlag München 199, 311 Seiten.

Themen: Arbeitslosigkeit, Common Rights, Globalisierung, Nachhaltigkeit, Property Rights, wissensbasierte Produkte.

Abstract
Die Schrift ist ein Abdruck des Jahreskolloqiums der (von der Deutschen Bank gegründeten) Alfred Herrhausen Gesellschaft für internationalen Dialog.

Inhaltsverzeichnis
(1) Der Kapitalismus im 21. Jahrhundert (Breuer) – S. 9

(2) Freiheit der Märkte — wo bleiben Gleichheit und Brüderlichkeit? (Sen) – S. 19

(3) Der globalisierte Kapitalismus (Schrempp) – S. 65

(4) Nichts kann den globalen Kapitalismus aufhalten (Eaton) – S. 81

(5) Der Kapitalismus hat gesiegt — was bleibt für die Politik? (Schröder) – S. 129

(6) Kapitalismus und ökologisch vertretbares Wachstum (Töpfer) – S. 175

(7) „Buy now — pay later“ (Bode) – S. 187

(8) Gibt es einen Fußballkapitalismus? (Braun) – S. 221

(9) Der Fußball wird bleiben, wie er war (Niebaum) – S. 237

(10) Fußballkapitalismus als Schutz gegen Monopole (Dornemann) – S. 249 – 290

Bewertung
Am Bedeutendsten: der Hauptvortrag von Amartya Sen.

Inhalt

(1)
Einleitend spricht Rolf BREUER (Sprecher des Vorstands der Deutschen Bank) vom 20. Jahrhundert als dem Jahrhundert des Kapitalismus. Am erfolgreichsten seien die Länder gewesen, die auf die Kräfte des Markts gesetzt haben, während die auf den Sozialismus setzenden Länder Jahrzehnte zurückgeblieben sind. Als Ursachen für den Aufschwung im 20. Jahrhundert sieht Breuer die Globalisierung der Märkte und die Verbreitung neuer Technologien.
Im 21. Jahrhundert werde der umfassende und rasche Zugang zu Informationen die Basis sein für Wissen und Bildung, den zukünftigen Schlüsselfaktoren für Wachstum. An der Schwelle zu diesem Jahrhundert gäbe es auch erhebliche Kritik am Kapitalismus. Ziel des Jahres-kolloquiums der Alfred Herrhausen Gesellschaft sei es diesmal, Antworten auf die Frage zu finden, ob und gegebenenfalls wie der Kapitalismus sich wandeln muss. (S. 11 – 18)

(2)
Im Hauptvortrag des Kolloquiums gibt Amartya SEN (Nobelpreisträger 1998 für Wirtschaftswissenschaften) eine kritische Betrachtung der Kräfte des Marktes unter ethischen Gesichtspunkten. Ausgangspunkt ist für ihn die Freiheit, Transaktionen (materieller und immaterieller Art) zu tätigen. Dies sei die umfassende Freiheit, von der die Institution der Marktfreiheit nur ein Teil ist; denn diese hat nach Sen nur einen beschränkten Wert, wenn etwa die Freiheit zum Abschluss von Arbeitsverträgen gegeben ist, sie aber (wie in vielen Ländern Asiens und Afrikas) unter Zwangsbedingungen zustande kommt. Wenn Bedingungen der Freiheit entwickelt werden sollen, müsse die Einrichtung der Marktfreiheit durch nicht-marktorientierte (insbesondere soziale) Einrichtungen ergänzt werden.
Eine Besonderheit des Sen’schen Ansatzes besteht darin, dass er Freiheit und Gleichheit nicht gegensätzlich, sondern in Verbindung stehend denkt. Wirtschaftliche Effizienz aufgrund eines freien Markts, so die weitere Argumentation, sagt nichts aus über die Gleichheit der Verteilung von substantiellen Freiheiten. So kann zum Beispiel unter freien Marktverhältnissen eine bestimmte Ungleichheit der Einkommen existieren; aber die Unterschiede, vorhandenes Einkommen in substantielle Freiheiten (wie etwa Freiheit zum Schulbesuch) zu verwandeln, können noch gravierender sein. Marktmechanismen könnten hieran nichts ändern, wohl aber auf Solidarität — „einer Art von Brüderlichkeit“ — gegründete Maßnahmen. Dies gelte auch für öffentliche Güter, d.h. solche, die nicht individuell sondern nur gemeinsam ‚konsumiert‘ werden können, beispielsweise eine malariafreie Umwelt. Die Kräfte des Markts seien hier irrelevant, weil der Einzelne sich eine solche Umwelt nicht kaufen, aber doch zu ihr beitragen bzw. einen Beitrag geben kann.
Einen eigenen Abschnitt widmet Sen dem Problem der Arbeitslosigkeit, von der er feststellt, dass sie im Verlauf der vergangenen Generation in Nordamerika einigermaßen konstant auf einem mittleren Niveau gelegen hat, während sie in Europa von einem eher niedrigen auf ein hohes Niveau angewachsen ist. Als einen Hauptgrund dafür sieht der indische Volks-wirtschaftler, dass in Europa durch die relativ stark ausgebauten Sozialversicherungssysteme bei der Arbeitslosigkeit das Augenmerk auf die Kompensation von Einkommens-Verlusten gelegt wird. Würde man hier die ideelle Seite des Problems genügend sehen, dass nämlich mit Arbeitslosigkeit für die betroffenen Einzelnen gesellschaftliche Anerkennungsverluste einher-gehen, könne man der Problematik wohl besser begegnen.
Abschließend betont Sen: Wirkliche Marktfreiheit (die nicht durch Monopole eingeschränkt ist) ermutigt die Ausbildung weiterer Freiheiten, doch ist sie keine Gewähr dafür, dass die Gleichheit solcher Freiheiten nicht weit auseinanderfallen; zur Bewältigung dieses letzteren Problems sind auf Solidarität gegründete Einrichtungen notwendig. (S. 19 – 40)
In der Diskussion wird, das Thema Arbeitslosigkeit betreffend, durch Carl Christian von Weizsäcker die Frage aufgeworfen, ob nicht in Europa (in Relation zu den USA) die Freiheit des Arbeitskontrakts beschränkt ist, und zwar durch gewerkschaftliche Solidarität unter den Arbeitsbesitzern. Amartya Sen antwortet, ein Teil des Problems sei, dass bei den (durch technischen Fortschritt) am meisten betroffenen Ungelernten das Lohnniveau in Europa sich nicht gleichermaßen nach unten bewegt hat wie in den USA. Weiter spricht Amartya Sen von einer Art Schizophrenie in der Arbeitslosigkeitsdiskussion: Obwohl die Menschen tendenziell länger leben und gesund bleiben, behandelt man die Frage des Rentenalters restriktiv mit dem Argument, den Jungen würden sonst (noch mehr) Arbeitsplätze weggenommen. Tatsächlich aber hänge die Arbeitslosigkeit nicht von der absoluten Zahl der Beschäftigten ab; möglicherweise gäbe es durch verlängerte Lebensarbeitszeiten sogar positive Effekte auf die Arbeitsbedingungen der Jüngeren.
Von Harald Müller kommt die Bitte, den Begriff ‚Gleichheit‘ in Sen’s Konzept näher zu bestimmen. Im Kern, sagt dieser, geht es nicht darum, Gleichheit auf alles zu beziehen; ihm gehe es darum, dass wesentliche Freiheiten gleich sind, zum Beispiel die Freiheit, ein anständiges Leben zu führen oder ein hohes Alter zu erreichen.

(3)
Ein Plädoyer für die Globalisierung und für globale Unternehmen gibt Jürgen SCHREMPP in zehn Punkten.
1. Globalisierung: Nicht nur Wettbewerb um Märkte, sondern auch Werte;
Dies wird besonders auf die freiheitlich-demokratischen Werte bezogen.
2. Globalisierung: Schlüssel zum Frieden;
Denn sie wirke sicherheits- und stabilitätsfördernd.
3. Globalisierung: Aufbau von weltweitem Wohlstand;
Zur Begründung wird angeführt, dass seit 1970 die Beschäftigung in den OECD-Ländern um mehr als ein Drittel zugenommen hat.
4. Globalisierung: heißt Transparenz, unternehmerische Effizienz und demokratische Kontrolle; Institutionelle Anleger seien zu bestimmenden Akteuren an den Kapitalmärkten geworden.
5. Der unbegrenzte Vorrat an Wissen wird entscheidende Ressource auf den globalen Märkten; mit Bill Gates erstmalig ein Kopfarbeiter der reichste Mann der Welt. Wenn Märkte größer werden, müssten auch Unterehmen größer werden, daher die Fusionierungen.
6. Globalisierung schafft neue Formen der Verbindung;
Ausdruck davon: der Verkehr im Internet verdoppelt sich alle 100 Tage; durch das Internet werden neue Absatzwege und -märkte eröffnet.
7. Globales unternehmerisches Handeln stärkt regionale Verankerung;
nur auf Basis spezifischer Traditionen werde langfristig Erfolg möglich sein.
8. Globalisierung bietet neue Spielräume für eigenes Handeln;
Firmenwechsel wird typisch. Um Mitarbeiter zu halten, setze DaimlerChrysler — auch zu deren Gunsten — auf Weiterbildung.
9. Globalisierung führt zu neuer Partnerschaft von Wirtschaft und Politik;
im Unterschied zu früheren Zeiten würden die Politiker nun in internationale Konkurrenz zueinander treten. Dadurch werde das wechselseitige Angewiesensein von Wirtschaft und Politik deutlicher.
10. Künftiger Wohlstand durch weitere Öffnung der Märkte;
die beiden großen Aufgaben dabei: Schaffung eines transatlantischen Markts und Ost-erweiterung der EU. Globale Unternehmen könnten ihren Beitrag dazu leisten. (S. 67 – 80)

(4)
„Nichts kann den globalen Kapitalismus aufhalten“, überschreibt Robert EATON (Chrysler Corporation) seinen Beitrag, in Erinnerung auch an die vor einem Jahrzehnt geschehene Ermor-dung von Alfred Herrhausen. Sowohl durch die digitale Revolution als auch den Untergang des Kommunismus habe der Kapitalismus eine neue Dynamik erhalten. Ein Zeichen dafür sei, dass der internationale Handel doppelt so schnell wächst wie die Weltproduktion und die Auslandsinvestitionen doppelt so schnell wie dieser Handel. Treibende Kraft seien die USA gewesen: in den vergangenen 30 Jahren 50 Millionen neue Jobs in der privaten Wirtschaft, wie er betont. Wichtig für die Zukunft sei, Wachstum zu fördern, vor allem durch Schaffung von Innovationsanreizen, eines transparenten Finanzsystems, durch Freihandel und Reduktion der staatlichen Maßnahmen auf das Notwendigste.
Solches Wachstum habe allerdings seinen Preis. Dazu gehöre der Abbau ineffizienter Arbeits-plätze; auch der Mangel an Fairness, der herrsche; auch bittere Armut, die neben großem Reich-tum existiere. Doch habe der Kapitalismus nicht ohne Grund überlebt. (S. 83 – 91)
In der Diskussion bemerkt Friedrich Merz, dass im Westen Deutschlands nur die Hälfte der Bevölkerung hinter der gegebenen Wirtschaftsordnung steht, im Osten Deutschlands sogar nur ein Viertel. Schrempp meint hierzu, dies sei nur ein deutsches Problem.
Hans Tietmeyer wirft die Frage eines von Jürgen Schrempp angesprochenen „globalen Ordnungsrahmens“ an, wegen Konkretisierung. Schrempp: Ein konkretes Beispiel seien Zulassungsvorschriften für Automobile in Europa und den USA; sie würden bilateral angegangen werden; wenn so eine Harmonisierung gelingt, könnten 15 – 20 % Ent-wicklungskosten eingespart werden. Umweltstandards nennt Schrempp als zweiten Fall; hier müssten Länder mit hohen Standards vorangehen, den übrigen müsse genügend Zeit zum Aufholen gegeben werden. Dritter Fall die Frage nach einer Weltkartellbehörde; nach Schrempps Ansicht sollten sich die nationalen Kartellbehörden nach und nach ver-zahnen.
Vor Hybris an der Schwelle zum 21. Jahrhundert warnt Roland Berger angesichts der — vor allem von amerikanischer Seite vorgetragenen — Zukunftseuphorie. Auch an der Schwelle zum 20. Jahrhundert habe eine solche Euphorie bestanden und man habe damals ein glorreiches ‚deutsches‘ Jahrhundert vorausgesagt …

(5)
Gerhard SCHRÖDER spricht über die Rolle von Politik nach dem ‚Sieg des Kapi-talismus‘ — wofür er den Begriff der sozialen Marktwirtschaft vorziehen würde; ihr Charakteristikum sei, dass in ihr beständig Informationen und noch wichtiger Innovationen produziert werden; sozial sei sie — im Sinne Erhards — dadurch, dass wirtschaftlicher Erfolg allen zugute kommt. Schröder zitiert in diesem Zusammenhang einen englischen Historiker, der einmal gesagt hat, dass der Kapitalismus immer dann besonders erfolgreich gewesen ist, wenn er nicht ausschließlich kapitalistisch war; dies könne man ganz wörtlich nehmen, indem die Menschen von der Teilhabe nicht ausgeschlossen sein dürften.
Im 21. Jahrhundert werde Wissen das wichtigste Kapital sein, und damit einhergehend müsse Eigenverantwortung besonders betont werden. Da die Produkte der Zukunft wissensbasierte Produkte sind, würde der Zugang zur Bildung das Hauptkriterium für die ökonomischen Chancen.
Die wesentliche Art der Arbeit werde auch in Zukunft Erwerbsarbeit sein; allerdings, und hier müssten von der Politik die Möglichkeiten unterstützt werden, gehe die Entwicklung in der Bundesrepublik dahin, ein größeres Inlandsprodukt mit einem Weniger an Vollzeit-arbeitsplätzen zu schaffen. Ein besonderes Problem sei das der „Ungleichzeitigkeit“, dass nämlich der Verlust an Arbeitsplätzen nicht zur gleichen Zeit durch neue Arbeitsplätze kompensiert wird; dieses Problem sei durch Möglichkeiten zur Qualifizierung der Betroffenen und durch Strukturpolitik angehbar.
Die Frage, was für ein Organisationsmodell der Gesellschaft das beste ist, wolle er nicht sozial-ethisch begründen, sondern danach, was am besten funktioniert. An einem einzelnen Unternehmen sei dies diskutierbar. Am besten funktioniere es offenbar, wenn alle Beschäftigten Höchstleistungen erbringen. Dies gelinge jedoch weder durch Druck noch durch Bevor-mundung. Der beste Weg sei, die Beschäftigten am Erfolg des Unternehmens zu interessieren. Wenn dies für ein Subsystem der Gesellschaft richtig ist, sei es auch für die ganze Gesellschaft das Richtige. (S. 131 – 147)
In der Diskussion bittet Norbert Walter den Co-Autor des „Schröder-Blair-Papiers“ um eine Interpretation dieser programmatischen Schrift. Schröder erklärt den Begriff Teilhabe als zentrale Kategorie darin, wobei Teilhabe nicht mißverstanden werden dürfte als Festhalten an Besitzständen; es bedeute auch Teilhabe an den Risiken von Ver-änderung. Was dies in der Steuerpolitik, Sozialpolitik, Familienpolitik bedeutet, sei in dem Papier dargelegt.
Von Markus Kerber wird eingewandt, der Bundeskanzler habe einerseits anklingen lassen, dass Interessenverbände in zukünftiger Politik ihre Bedeutung verlieren würden, andererseits aber erklärt, er wolle am Bündnis für Arbeit festhalten. Schröder recht-fertigt dieses Bündnis, weil es in einer als Dialog verstandenen Politik Handlungs-möglichkeiten biete, die anderweitig nicht verfolgt werden könnten.

(6)
Vom Kapitalismus und ökologisch vertretbarem Wachstum handelt der Beitrag von Klaus TÖPFER (Exekutivdirektor der UNEP). Zunächst stellt er United Nations Environment Programme vor: 1972 aus der Taufe gehoben, stellt es sich wiederkehrend als internationale Konferenz dar, die um die Artenvielfalt, die Wälder, die Böden, die Atmosphäre Sorge trägt; die Arbeit ist auf die Entwicklung eines Umweltprogramms gerichtet.
Eine zentrale Frage ist laut Töpfer die Frage, wo common rights (global commons und regional commons) enden und wo property rights beginnen. Eine Tendenz sei, dass Dinge, die früher ganz selbstverständlich zu den commons gerechnet wurden, zu property rights, also privaten Gütern werden, zum Beispiel Sicherheit (gegen Kriminalität), die man heute in vielen Großstädten gegen Bezahlung bekommen kann. Die eigentliche Schwierigkeit ist, so Töpfer weiter, dass bei schmutzigen Stoffen (Abfall, Gifte etc.), die privat entsorgt werden, diese Entsorgung zu Lasten anderer gehen kann, beispielsweise, wenn eine Mülldeponie an einer kommunalen Grenze angelegt wird oder wenn man Abfall flussabwärts wegspülen lässt.
Um solche Probleme bewältigen zu können, brauche man eine Art von Kultur der Solidarität. Praktisch heiße dies, dass Abwälzungskosten analysiert und bestimmt werden müssen und dann entschieden werden muss, welche Solidargemeinschaft solche Kosten trägt. Noch anspruchsvoller allerdings sei das Ziel, Entwicklungen (etwa in afrikanischen Regionen mit starkem Bevölkerungswachstum) so zu stimulieren, dass Abwälzungsvorgänge verunmöglicht werden. (S. 177 – 185)

(7)
Die Grenzen kapitalistischen Wachstums thematisiert Thilo BODE (Geschäftsführender Direktor von Green Peace International). Zu den größten Umweltproblemen gehören nach Bode die Vernichtung der Primärwälder (80 % sind bereits abgeholzt), die Übernutzung (Überfischung) der Ozeane und das exzessive Verbrennen fossiler Brennstoffe mit der Folge globaler Erwärmung und dem Ansteigen des Meerwasserspiegels.
Demgegenüber gäbe es auch einige Erfolge des Umwelschutzes, besonders der Gewässer-schutz in Deutschland und bis zu einem gewissen Grad das Abkommen zum Schutz der Ozonschicht, Erfolge allerdings, die den Zerstörungen hinterherlaufen würden.
Der Kapitalismus, definiert als System von auf privatwirtschaftlichem Profit basierenden Märkten, sei höchst effizient in der Bewirtschaftung von knappen Gütern. Dies könne zum Teil auch für den Umweltschutz genutzt werden, zum Beispiel durch Kauf und Verkauf von Emmissionsrechten für Kohlendioxid-Emmittenten; dadurch fließt Kapital in Länder bzw. Sektoren, wo sich mit geringstem finanziellen Aufwand größte CO2- Reduktionen erreichen lassen. Ein solcher Markt sei allerdings keiner, der sich ‚von alleine‘ bildet, sondern muss durch politische Vorgaben geschaffen werden. Bei Gütern, wo die Preise (wegen „externer Effekte“) die Kosten nicht wiederspiegeln und ebenso bei (öffentlichen) Gütern, die keine Preise haben, könne der Marktmechanismus grundsätzlich nicht greifen. Hier könne nur politisch gehandelt werden durch Institutionen, die dem Prinzip „Verantwortung auf Dauer“ — anstatt Macht auf Zeit — verpflichtet sind. Das Wachstum, um das es in Zukunft geht, sei eines, das weitgehend durch Zunahme menschlichen Wissens entsteht und dadurch qualitativen Charakter habe. (S. 189 – 198)
In der Diskussion knüpft Heinz Riesenhuber an Bodes Überlegungen an, indem er auf die Wichtigkeit des „Wachstums aus Intelligenz“ verweist. Die ursprünglichen Prognosen des Club of Rome seien wesentlich daran gescheitert, dass es die vom Energie-Aufwand (für Rohstoffverbrauch) abgekoppelten Innovationen, wie sie mit der Entwicklung der Informationstechnologie und der Dienstleistungen gegeben sind, nicht gesehen hat. Riesenhuber fordert Bode und seine Organisation auf, sich an die Spitze einer Entwicklung zu stellen, die alle ’sanften‘ Techniken, Gentechnologie und Kernenergie eingeschlossen, fördert. Thilo Bode antwortet, er sei durchaus für die neuen Technologien, wenn sie nur im Sinne der Nachhaltigkeit wirksam sind.

(8)
In den letzten drei Beiträgen wird die Kapitalismusdiskussion auf ein anderes Feld verlagert, das Fußballfeld. Den Anfang macht Egidius BRAUN (Präsident des Deutschen Fußballverband), der nach der Existenz eines „Fußballkapitalismus“ fragt. Als reines Spiel, sagt er, hat der Fußball nichts mit Kapitalismus zu tun. Aber dieses Spiel spiele in einer Gesellschaft, in der die wirtschaftliche Profitorientierung eine Rolle spielt, und der Fußball sei „elementarer Bestandteil einer Freizeitkultur mit ungeheuren Wachstumsraten“. Anders als im Mutterland England habe sich beim Fußball in Deutschland das Profitum behutsam (über den Lizenzspieler) entwickelt. 1998 ist dann auch das Vereinswesen erheblich davon berührt worden, indem die Möglichkeit gegeben wurde, einen Verein als Kapitalgesellschaft zu führen; dadurch könnten die Vereine, statt von fremden Geldgebern abhängig zu sein, mit Eigenkapital arbeiten.
Die Werte, die der Fußballsport repräsentiert, sieht Braun in Solidarität, Fairness, Engagement und Chancengleicheit. Wenn diese Werte vom Profitinteresse überlagert werden würden, könne man von „Fußballkapitalismus“ reden; er allerdings werde immer gegen eine solche Überlagerung kämpfen. (S. 223 – 236)

(9)
Gerd NIEBAUM (Präsident der Borussia Dortmund) betont bereits in der Überschrift, dass der Fußball bleiben wird, was er war — als Spiel allerdings nur: Denn seit die Grund-regeln 1849 in Eton festgelegt wurden, hätte sich das Spiel im Kern nicht geändert, und es werde sich auch in Deutschland nicht ändern, wenn der Deutsche Fußballbund weiterhin seine vornehmste Hoheitsaufgabe, die über das Regelwerk, erfüllt. Aber: Auf Dauer werde man nicht daran vorbeikommen, dass die Vereine als Wirtschaftsunternehmen die ganze Hoheit über ihre Erlöse erhalten. Desweiteren werde sich als neue Tendenz eine Art Outsoucing durchsetzen, indem bestimmte Aufgaben von speziellen Dienstleistern wahrgenommen werden. (S. 239 – 247)

(0)
Auch Michael DORNEMANN (Vorstand bei der Bertelsmann AG) propagiert den Sport „im Mittelpunkt“. Dies, obwohl oder weil der Profifußball in Deutschland Hochkonjunkur hat: — in den 90er Jahren Zunahme der Zuschauerzahlen in den Stadien um 50%
— Verdreifachung der Programmfläche für Fußball im Free TV im gleichen Zeitraum
— Explosion der Preise für Fernsehübertragungsrechte.
Statt vom Fußballkapitalismus wolle er lieber von einer „sportlichen Marktwirtschaft“ sprechen, für die der Wettbewerb essentiell ist. Dies gelte auch für die aufkommenden Agenturen, z.B. UFA Sports, die als externer Dienstleister Fernsehrechte vermarktet, Sponsoren und Ausrüster sucht, VIP-Plätze verkauft, das Merchandising organisiert, Internet-Auftritte plant. Diese Entwicklungen seien ein überfälliger Schritt zur Professionalisierung in einer (wegen des Massenpublikums) umsatzstarken Branche. Wo der Sport da bleibe? Im Mittelpunkt.

Kontrovers wird (auch hier) diskutiert, ob durch die Vermarktungsinteressen großer Vereine die Struktur des Deutschen Fußballverbands (als Klammer von Amateur- und Profifußball) in Gefahr ist oder nicht. Konsens ist unter den Diskutanden, dass die ‚Kapitalisierung‘ des Fußballsports schlecht ist, wenn sie dem Spiel seine Eigenart nimmt, und gut, wenn sie diese fördert.

Kommentar zur Gesamtveranstaltung:
Eine Schwierigkeit war offenkundig, dass unter ‚Kapitalismus‘ recht Unterschiedliches verstanden wurde. Zum Teil diente die Kategorie als Kampfbegriff gegenüber Sozialismus bzw. Kommunismus mit der Implikation, dass der Kapitalismus ‚gewonnen‘ hat; teilweise wurde diese Kategorie auch mit Marktwirtschaft, im Unterschied zu Planwirtschaft, gleichgesetzt; auch diente die Profitorientierung — und enger noch: Profitorientierung innerhalb der Privatwirtschaft — als Definitionskriterium; desweiteren wurde ‚Kapitalismus‘ als Wettbewerbswirtschaft verstanden; und einige, nicht zuletzt der Hauptredner, haben die vorgegebene Begrifflichkeit umgangen. Von daher war die Leitfrage der Tagung, „ob und gegebenfalls wie“ der Kapitalismus sich im 21. Jahrhundert verändern könnte — oder ob es gar Anzeichen für die Auflösung dieses Produktionsverhältnisses gibt — verbindlich nicht zu beantworten.

13.11.2001; MF