Buckingham, Marcus / Coffman, Curt: Erfolgreiche Führung gegen alle Regeln

Buckingham, Marcus / Coffman, Curt: Erfolgreiche Führung gegen alle Regeln, Campus Verlag Frankfurt/M, New York 2001 (US Original:
First, Break all the Rules 1999). 287 Seiten.

Themen: Führungsperson, Manager, Mitarbeiter, Topmanager.

Abstract
In einer empirisch gestützten Untersuchung fragen die Autoren nach besten Methoden der Behandlung von Mitarbeitern.

Inhaltsverzeichnis
1. Der Maßstab — S. 13
2. Das Gravitationsfeld großer Manager — S. 47
3. Talentsuche — S. 64
4. Auf die richtigen Ziele kommt es an — S. 107
5. Auf die Stärken kommt es an — S. 140
6. Auf die richtige Abstimmung kommt es an — S. 180
7. Eine praktische Anleitung — S. 222 – 252

Bewertung
Ein radikal aussehender Angriff auf konventionelle Führungsmethoden, der auf das Problem zusteuert, wie man aus Mitarbeitern zugleich Leistung auspressen und sie taktvoll behandeln kann.

Inhalt

1.
Am Besten, beginnen die Autoren etwas salopp, man vergisst all die übermäßig vielen Management-Regeln und macht es wie die besten Manager der Welt: sich um solche Regeln nicht zu kümmern. Dies sei aber, warnen die Autoren sogleich, keine Aufforderung, irgendeinen der „besten Manager der Welt“ zu kopieren; nur an ihrem jeweils eigenen Führungsstil könne eine Führungkraft arbeiten und ihn verbessern. Gleichwohl lohnt es sich, versprechen Buckingham und Coffman, zu erforschen, was die Arbeitsweise der „besten“ unter den Managern ausmacht. Und hierzu wurden im Rahmen des Gallup-Instituts mehrere Zigtausende aus verschiedensten Branchen und Ländern befragt; es waren Führungskräfte sämtlicher Führungsebenen, von denen man im Kern wissen wollte: wie finden fähige Manager talentierte Mitarbeiter, wie bekommen sie Bestes von ihnen, wie halten (behalten) sie solche Mitarbeiter.
Man hatte sich bei Gallup für eine solche Befragung entschieden, weil zur Frage, wie talentierte Mitarbeiter gewonnen und gehalten werden können, nur wenige Parameter existierten (die benötigte Zeit, um eine offene Stelle zu besetzen; die Fluktuation in einem Unternehmen) und diese unter dem Gesichtspunkt des Managerverhaltens als viel zu ungenau erschienen. Doch es war eine wichtige Frage offen geblieben: Was könnte ein geeigneter Maßstab dafür sein, erfolgreiches Managerverhalten im Hinblick auf Gewinnen und Halten von Mitarbeitern zu beurteilen? Ein Höchstmaß an Objektivität schien den Untersuchenden dadurch gegeben, dass (auf allen Führungsebenen) nicht etwa die wirklich oder vorgeblich besten Manager über sich selbst befragt wurden, sondern deren Mitarbeiter; insofern wurden also Mitarbeiter als die hier beurteilungsfähigsten Experten angesehen. Sie sollten bestimmen, was ein „starkes Arbeitsumfeld“ ausmacht, denn um dessen Kernelemente in puncto Führungsverhalten ging es. Aus der Fülle der gewonnenen Daten wurden nun (per Faktorenanalyse) solche Fragen ausgewählt, mit denen „Stärke des Arbeitsumfelds“ am Eindeutigsten bestimmt bzw. gemessen werden konnten. Ein Katalog von zwölf Fragen blieb am Ende übrig. Wo auf diese zwölf Fragen von Mitarbeitern Bestnoten verteilt wurden, da konnte man damit rechnen, dass in der Nähe der betreffenden Mitarbeiter höchst befähigte Manager zugange waren.
Und die Gallup-Forscher taten ein Weiteres: Mit statistischen Korrelationsuntersuchungen prüften sie, inwieweit Bestnoten auf jene zwölf Fragen mit gängigen betrieblichen Leistungsgrößen (insb. Kundenzufriedenheit, Rentabilität und Produktivität) einhergingen. Auf diese Weise konnten sechs jener zwölf Fragen als besonders wichtige herausgefiltert werden. Sie sind in der auf der nächsten Seite folgenden Zusammenstellung unterstrichen. Zu beachten ist auch die Einteilung der Fragen in Blöcke, die verschiedene Komplexe repräsentieren, welche aus der Sicht der Befragten (Mitarbeiter) unterschieden werden können.

1. Weiß ich, was bei der Arbeit von mir erwartet wird?
2. Habe ich die Materialien und Arbeitsmittel, um meine Arbeit richtig zu machen?

3. Habe ich bei der Arbeit jeden Tag die Gelegenheit, das zu tun, was ich am besten kann?
4. Habe ich in den letzten sieben Tagen für gute Arbeit Anerkennung und Lob bekommen?
5. Interessiert sich mein/e Vorgesetzte/r oder eine andere Person bei der Arbeit für mich als Mensch?
6. Gibt es bei der Arbeit jemanden, der mich in meiner Entwicklung unterstützt und fördert?

7. Habe ich den Eindruck, dass bei der Arbeit meine Meinungen und Vorstellungen zählen?
8. Geben mir die Ziele und die Unternehmensphilosophie meiner Firma das Gefühl, dass meine Arbeit wichtig ist?
9. Sind meine Kollegen bestrebt, Arbeit von hoher Qualität zu leisten?
10. Habe ich innerhalb der Firma einen sehr guten Freund?

11. Hat in den letzten sechs Monaten jemand in der Firma mit mir über meine Fortschritte gesprochen?
12. Hatte ich bei der Arbeit bisher die Gelegenheit, Neues zu lernen und mich weiterzuentwickeln? (S. 21 und 28)

Nach Gallup-Interpretation betrifft der vierte Block (Fragen 11, 12) den Komplex ‚gemeinsame Zukunft‘, der dritte (Fragen 7 – 10) den Komplex ‚Zugehörigkeit‘; der zweite Block (Fragen 3 – 6) wird unter ‚Geben‘ gefasst, der erste (Fragen 1, 2) unter ‚Bekommen‘ (Anhang, S. 277). — Bemerkenswert ist noch, dass in den herauskristallisierten Kernfragen solche nach Gehalt oder Zusatzleistungen nicht erscheinen; wie immer man sonst über deren Bedeutung urteile, bemerken die Autoren dazu, als Kriterien für die Qualität von Managerverhalten seien sie schlichtweg „Nieten“. (S. 21)
In der Essenz kann bislang also gesagt werden: Wo im Umfeld eines Managers, gleichgültig auf welcher Stufe, bei den oben unterstrichenen Fragen Bestnoten verteilt werden, hat man es wahrscheinlich mit einem der besten aus dieser Gattung von Führungspersonen zu tun.

2.
Nachdem ein Weg zur Sondierung guter oder gar bester Führungskräfte gefunden war, machte ein Wechsel der Perspektive Sinn. Jetzt interessierten nicht mehr die Ansichten der Mitarbeiter über die sie Führenden, sondern diese selbst, und zwar unter dem Gesichtspunkt, wie sich das Verhalten der als Besten herausgefundenen von dem der übrigen unterscheidet. Dies geschah auf der Basis einer Fülle von offenen Interviews (120 000 Bandstunden!) Hinsichtlich Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Erscheinungsbild haben die Forscher nach eigenem Bekunden unter den sondierten („guten“) Managern keine bemerkenswerten Besonderheiten finden können, wohl aber in ihrem Verhalten gegenüber den Mitarbeitern. Folgendermaßen fassen es die Autoren zusammen: Vorzügliche Manager gehen davon aus, dass jeder Mensch „seine eigene Motivationsstruktur besitzt, seine eigene Denkweise, seinen eigenen Umgangsstil“, Unterschiede, die sie „nicht abschleifen“, sondern „nutzen“. (S. 49 f) Solche Manager wirken als „Katalysatoren“, deren Rolle darin besteht, „Zugang zum Mitarbeiter zu finden und dessen ganz speziellen Fähigkeiten zur Anwendung zu verhelfen, also Potenziale freisetzen.“ (S. 52) Für Topmanager, schränken die Autoren ein, träfe diese Rollenbeschreibung jedoch nur bedingt zu.

Mit dem Begriff des Katalysators beschreiben Buckingham und Coffman, was ein trefflicher Manager tut. Wie er es tut, dazu arbeiten sie einen Bund von vier Schlüsseln heraus; deren Stichworte, die in den folgenden vier Kapiteln thematisiert werden, lauten: (a) Talente, (b) Ziele, (c) Stärken, (d) Abstimmung.

3.
Talentsuche ist für Buckingham/Coffman nicht die Suche nach etwas höchst Seltenem. Vielmehr arbeiten sie mit einem Begriff des Talents oder der Begabung, der relativ breit ist und von dem sie zu wissen glauben, dass gute Manager ihn instinktiv anwenden: ein „wiederkehrendes Denk- Gefühls- oder Verhaltensmuster, das sich produktiv einsetzen lässt.“ (S. 64) Jeder Mensch, führen sie aus, tut bestimmte Dinge gerne und deshalb auch häufig, und dies hänge von seinem spezifischen „Wahrnehmungssieb“ ab, mit dem er die Welt durchkämmt. Dieses Sieb entwickle sich nach den jüngsten Erkenntnissen der Gehirnforschung wie folgt.
Bei der Geburt enthält das menschliche Gehirn etwa 100 Milliarden Hirnzellen (nach der Anzahl seiner Elemente entspricht dieser neuronale Mikrokosmos dem Makrokosmos der Milchstraße); bei allem Wechsel des Zuwachsens und Absterbens bleibt diese Zahl weitgehend konstant. Entscheidend für die Ausprägung des Talents sind nun die Synapsenbildungen, die Verbindungen zwischen den Hirnzellen, und dies vor allem während der Jahre bis zur Pubertät. Nach den ersten drei Jahren können bis zu 15 000 synaptische Verschaltungen für jede der 100 Milliarden Neuronen entstehen. In den weiteren Jahren bis zur Pubertät erfolgt dann eine für den Gebrauch dieses Riesennetzwerks unabdingbare Binnendifferenzierung; gleichsam werden dabei die viel befahrenen Wege ausgebaut, die wenig befahrenen vernachlässigt. Die Basisstruktur, in der sich Grundbegabungen festgelegt haben, ist damit fertig. (S. 75 – 78)
Wie die Grundbegabungen aussehen, gehört mit zu den empirischen Forschungsgegenständen des Gallup-Instituts. An den verschiedensten Tätigkeiten wurde untersucht, welche wieder-kehrenden oder nachhaltigen Fähigkeiten dabei die Hauptrolle spielen. Im Ergebnis sind es drei Arten: die motivationalen Begabungen, verantwortlich für die Beweggründe eines Menschen; die kognitiven, wichtig für das Entscheidungsverhalten; und die relationalen , die den Umgang mit anderen bestimmen. (S. 81 f)
Der besondere ‚Begabungs-Mix‘ eines Menschen, oder welche Arten von Begabungen mehr bzw. weniger ausgeprägt sind, ist jenen Untersuchungen zufolge also im Wesentlichen vor dem Erwachsenenalter ausgebildet. Dann kommt es darauf an, ihn zu nutzen. Und dies gilt nach Buckingham/Coffman auch für das Geschäft des Managers, der bei der Talentsuche erfolgreich sein kann, wenn er er die verschiedenartigen Begabungen kennt. „Talente“ — wie ein berühmter amerikanischer Trainer formuliert hat — „sind zwar noch keine Sieggarantie; doch ohne Talente gibt es keine Siegchance.“ (S. 106)

4.
„Die richtigen Ziele“ heißt der nächste Schlüssel. Manager können, heben die Autoren hervor, konkret eigentlich gar nichts tun. Sie können im Grunde nur, in einer Art Fernlenkung in Bezug auf den Mitarbeiter, positiv oder negativ Einfluss nehmen. Im guten Fall mit erreichbaren Zielen. Als eine effiziente Formel wird diese angesehen: „Gib die richtigen Ziele vor, doch überlasse den Weg dorthin dem Mitarbeiter.“ (S. 108)
Natürlich stellt sich die Frage, welches „richtige“ Ziele sind. Die Autoren erläutern es an einem Beispiel, das sie auf das Management-Geschehen für übertragbar halten, dem Beispiel des wohl leistungsbezogensten Vertrags, den es in der amerikanischen Basketballgeschichte gab. Ihn hatte ein Spieler erhalten, der wegen spezifischer Fähigkeiten (der individuellen von ‚Rebounds‘ und der mannschaftsdienlichen von ‚Assists‘) für seine University unschätzbar war, ihr aber wegen der vielen Sperren, die er für sein berüchtigtes Foul-Spiel erhielt, viel zu selten zur Verfügung stand. Er erhielt in einem neuen Vertrag ein millionenschweres Grundsalär und darüber hinaus eine noch höhere Summe zugesagt, wenn er eine Saison lang ohne Sperre durchspielen würde. Es funktionierte. — Ein Beispiel für ein ‚richtiges‘ Ziel, und zudem in einem höheren Sinne auch Beispiel für einen Weg bzw. eine Methodik, in welchem die Autoren große Zukunftschancen sehen: „der Weg vom Spieler zum Spiel“. (S. 138 f)

5.
„Auf die Stärken kommt es an“, ist dieses Kapitel überschrieben. Sein Inhalt lässt sich beinahe in einem einzigen Satz zusammenfassen, den die Autoren in ihren Interviews als wichtigen Ratschlag bester Manager herausgehört haben: „Konzentrieren Sie sich ganz auf die Stärken des jeweiligen Mitarbeiters und versuchen Sie, seine Schwächen elegant zu umschiffen.“ (S. 140)
Sind die Schwächen allerdings derart weitreichend, dass andauerndes Herumschiffen allzu aufwendig ist, so empfehlen die Experten die Suche nach einem „komplementären Partner“, der die vorhandene Schwäche ausgleichen kann.

6.
Schließlich als letzter Schlüssel: die richtige Abstimmung. Gemeint ist damit das Zusammenpassen der Rolle eines Mitarbeiter und seines Talents, oder wiederum in einer Empfehlung ausgesprochen: einem Mitarbeiter (wo nötig) zu helfen, für sich die optimale Anforderung zu finden. Die Autoren sprechen hier ganz im Sinne des Peter-Prinzips (nach Laurence Peter 1969), in dem die Unsinnigkeit aufgedeckt ist, nach jeder höheren Stufe eine noch höhere erreichen zu wollen; denn dies führe fast unweigerlich dazu, dass man letztlich in einer Rolle landet, die durch das Talent nicht abgedeckt ist.
Es wird (S. 188 f) aus einer Studie von Benjamin Bloom berichtet, wo gefragt wurde, wie lange es gewöhnlich dauert, bis jemand — Pianisten, Schachspieler, Schwimmer, Neuro-logen — ihr/sein Spitzenniveau erreicht; vom Gebiet weitgehend unabhängig kann man mit 10 – 18 Jahren rechnen. Oder, wie mit Hippokrates gesagt wird: das Leben ist kurz, die Kunst ist lang.

7.
Das Buch klingt rekapitulierend aus, wobei eine Reihe praktischer Tipps gegeben werden, wie man mit den genannten vier Schlüsseln umgehen kann.
— Mitarbeiterrekrutierung: Empfohlen wird ein eigenständiges Talentinterview zum Prüfen, ob die Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster des Kandidaten zum angestrebten Job passen; ein paar offene Fragen stellen, im Übrigen zuhören.
— Talentindikatoren: Rasches Lernen ist den Autoren zufolge ein solcher Indikator, ein ebenso wichtiger, welche Art von Tätigkeit den Betreffenden besonders befriedigt; kann direkt erfragt werden.
— Rechtes Fragen: nicht nur die Antwortmöglichkeiten sollten dabei ins Auge gefasst werden, sondern auch deren Bedeutung; mittelmässige Pädagogen zum Beispiel würden auf das Anmelden von Zweifeln erfahrungsgemäß negativ reagieren, hochtalentierten Pädagogen dagegen seien sie willkommen.
Im letzten Gedanken des Buchs heißt es: „Die Zusammenführung dieser beiden Kräfte — das Streben der Unternehmen nach Mehrwert und die Suche des Individuums nach Identität — wird die Unternehmenslandschaft grundlegend verändern.“ (S. 252)

14.11.2001; MF