Winkler, Gabriele: Flexible Arbeit in der Informationsgesellschaft – neue Chancen für weibliche Lebensentwürfe
Winkler, Gabriele: Flexible Arbeit in der Informationsgesellschaft – neue Chancen für weibliche Lebensentwürfe, in: Bath, Corinna/Kleinen, Barbara (Hg.): Frauen in der Informationsgesellschaft. Fliegen oder Spinnen im Netz? Mössingen 1997 (Schriftenreihe NUT – Frauen in Naturwissenschaft und Technik e.V., Bd. 4), S. 89-107. 120 S. ISBN 3-89376-071.
Themen: Alternierende Telearbeit, Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitszeit/Gestaltung, Autonomie und Souveränität, Erwerbsformen, Flexibilisierung/Rationalisierung, geschlechtliche Arbeitsteilung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Zeitsouveränität.
Abstract
Der Text untersucht die Tendenzen zur Flexibilisierung von Arbeitsprozessen und weibliche Lebensstile und unterbreitet konkrete Handlungsvorschläge zur Verbesserung der Lebensqualität von Frauen wie Männern.
Inhaltsverzeichnis
1. Neue Wachstumseuphorie und alte Geschlechterhierarchie
2. Informationsgesellschaft und Normalarbeitsverhältnis
3. Chancen für weibliche Lebensentwüfe in der Informationsgesellschaft
4. Verbesserung der Lebensqualität für Frauen und Männer
Bewertung
Diese realpolitisch orientierte feministische Position diskutiert die Veränderung der Arbeitsprozesse als Ausgangspunkt für mögliche Veränderungen im Geschlechterverhältnis. Es wird versucht, das Gesetz des Handelns in der Frage des Abbaus der Geschlechterhierarchie wieder zu gewinnen. Schließlich werden konkrete Gestaltungsperspektiven formuliert.
Inhalt
1. Neue Wachstumseuphorie und alte Geschlechterhierarchie
Winker kritisiert, daß sowohl in den euphorischen Diskursen über die kommende Informationsgesellschaft als auch im politischen Kontext die patriarchale Diskriminierung keinen Raum einnimmt. Auch in diesem Zusammenhang wird Frauen die Zuständigkeit für die Familie, für Kindererziehung und Reproduktionsaufgaben und damit die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit als individuell zu lösende Aufgabe zugewiesen.
2. Informationsgesellschaft und Normalarbeitsverhältnis
Die Informationsgesellschaft ist geprägt von starken Produktivitätsfortschritten im Erwerbsarbeitsbereich (auf der Grundlage neuer Technologien) und einer raum-zeitlichen Entkoppelung von Erwerbsarbeitsprozessen im globalen Sinn. Winker hält eine Skepsis gegenüber Beschäftigungsprognosen auf der Grundlage neuer technologischer Entwicklungen generell für angebracht. Dabei zeichnet sich für sie eine Verminderung des Erwerbsarbeitsvolumens deutlich ab. Eine Folge davon ist die Segregation auf dem Arbeitsmarkt (Überschäftigung und Unterbeschäftigung). Ausgehend von drei Flexibilisierungstendenzen (Erwerbsarbeitsmenge, Erwerbsarbeitszeit, Erwerbsarbeitsort: Telearbeit) beschreibt Winker die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses. Diese Entwicklung geht mit existentiellen Verunsicherungen einher. Insbesondere männliche Facharbeiter halten nun verstärkt am traditionellen Leitbild fest. Daher lassen sich Veränderungen für weibliche Lebensentwürfe nur mit einem grundsätzlichen politischen Eingreifen bewerkstelligen.
3. Chancen für weibliche Lebensentwüfe in der Informationsgesellschaft
Aufgrund des Wankens des Normalarbeitsverhältnisses wird allerdings die eingefahrene Geschlechterhierarchie brüchig. Winker fordert die generelle Begrenzung der Erwerbsarbeitszeit, die erst eine partnerschaftliche häusliche Arbeitsteilung möglich macht. Zur sozialen Abfederung einer solchen Arbeitszeitbegrenzung bedarf es allerdings einer Reihe flankierender Maßnahmen im Tarif-, Arbeits-, Steuer und Rentenrecht. Winker fordert darüber hinaus eine individuelle Zeitsouveränität (Arbeitszeitsautonomie) und stellt der Arbeitszeitverkürzung die Arbeitszeitflexibilisierung gegenüber, da letztere zu verschärften Abstimmungsproblemen zwischen Produktions- und Reproduktiossphäre führt, die insbesondere Frauen betrifft. Winker geht davon aus, daß es kollektivrechtlicher Regelungen bedarf, die „die Zeitsouveränität der Beschäftigten stärken, ohne betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten zu ignorieren“ (S.104). Im Zusammenhang der zunehmenden räumlichen Entkoppelung von Arbeitsprozessen besteht die Gefahr, daß Frauen schlechter bezahlte Tätigkeiten mit geringer Autonomie übertragen werden. Ausgehend von „weiblichen Lebensstilen“ (Integration verschiedenster Lebensinteressen) plädiert sie in Abgrenzung von der Teleheimarbeit mit der Gefahr der Scheinselbständigkeit für das Modell der alternierenden Telearbeit, da hier die Vorteile des zentralisierten sozialen Zusammenarbeitens im Team mit den Vorteilen der örtlichen Flexibiltät für bestimmte Situationen und Tage verknüpft werden kann. Alternierende Telearbeit eignet sich vor allem für qualifizierte Tätigkeiten. Außerdem ist wichtig, daß die kollektivrechtlichen Regelungen, das heißt z.B. der Angestelltenstatus, erhalten bleiben.
4. Verbesserung der Lebensqualität für Frauen und Männer
Vor dem Hintergrund der weiblichen Arbeits- und Lebensbedingungen schlägt die Autorin folgende konkreten Handlungmöglichkeiten vor:
a.) Generelle Begrenzung der Erwerbsarbeitszeit mittelfristig auf 30, längerfristig auf 25 Wochenarbeitsstunden,
b.) möglichst weitgehende individuelle Zeitsouveränität,
c.) räumliche Flexibilität durch alternierende Telearbeit als Angebot.
Winker sieht in diesem Vorgehen nicht eine Angleichung an das männliche Modell, sondern einen Ausgangspunkt einer Modernisierung der Arbeitsverhältnisse für alle. Sie begreift ihre Vorschläge im Rahmen einer (notwendigen) feministischen Gestaltungsoffensive und längerfristigen Perspektive, da die Redefinition des Stellenwertes von Erwerbsarbeit ein kultureller Prozeß ist.
21.03.2001; KS