Künstliche Intelligenz und das menschliche Gedächtnis

Künstliche Intelligenz und das menschliche Gedächtnis
Erfahren Sie von unserem Gastautor, Prof. Dr. Eduard Heindl, Professor an der Hochschule Furtwangen und Vorstand der Integrata Stiftung, wie das menschliche Gedächtnis funktioniert und wie es durch Künstliche Intelligenz beeinflusst werden kann. Welche positiven, welche negativen Folgen kann das mit sich bringen?

Künstliche Intelligenz und das menschliche Gedächtnis

Autor: Eduard Heind1

Menschen können sich an vergangene Ereignisse lebendig erinnern. Diese Fähigkeit hat die Menschheit sehr weit entwickelt und kann durch unterschiedliche Techniken unterstützt werden. Das Gedächtnis nutzt dabei in sehr hohem Maß die Assoziation. Als Startimpuls für die Assoziation können verschiedene Sinneseindrücke wirken und die Erinnerung lebendig machen. Klassisch ist die Wahrnehmung eines Geruchs, der uns weit in die Kindheit zurückversetzen kann, sei es das Bohnerwachs im Treppenhaus oder der Kartoffelkeller.
Die häufigsten Impulse kommen aber vom Auge, das uns dabei besonders unterstützt, wenn wir navigieren müssen, denn wir erinnern schnell Orte und Objekte, die diesen Orten zugeordnet sind. Analog ist unser Gehörsinn, der ein einmal gehörtes Geräusch, aber auch eine Melodie hervorragend wiedererkennen kann.

Technisch können wir heute Bilder und Töne in hoher Qualität und Menge digital aufzeichnen. Damit bietet der Computer, aber auch das Fotoalbum oder die Schallplatte, Impulse für unsere Assoziation mit vergangenen Ereignissen.
Wohin kann uns die Künstliche Intelligenz auf diesem Pfad führen, was kann sie Positives aber auch Negatives bieten?

Künstliche Intelligenz

Mit der wachsenden Leitungsfähigkeit der Computer sind auch die Fähigkeiten von künstlichen neuronalen Netzen gewachsen. Seit etwa zehn Jahren können diese Systeme Bilder erkennen und den Inhalt häufig richtig interpretieren. Damit gelingt es, etwa in Suchmaschinen wie Google, Bilder von Objekten durch Eingabe von Keywords zu finden. Es sei darauf hingewiesen, dass nicht Menschen, sondern in diesem Fall Systeme der künstlichen Intelligenz die Fähigkeit haben, den Inhalt von Bildern so weit zu analysieren, dass die Maschine selbstständig Stichworten zu den Bildern ablegt. Eine Fähigkeit, die praktisch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts völlig fehlte.

Erfassung von Bildern

Mit dieser Fähigkeit kann der Nutzer von Suchmaschinen wesentlich schneller geeignete Bilder finden. Besonders interessant wird es aber, wenn der Nutzer die Bilder seines Lebens, von den Smartphone-Bildern bis zu den Fotoalben, alle auf einen Server legt, der in der Lage ist, die Bilder automatisch zu annotieren. Damit können zunächst Personen auf den Bildern zugeordnet werden, das erfordert allerdings aktuell noch das manuell Eingreifen des Nutzers, er muss selbstständig Tante Erna als solche, zumindest einmal, als diese markieren. Wir können uns vorstellen, dass es ein leichtes wäre, die Information aus der Datenbank der digitalen Personalausweise abzugleichen, aber das ist zumindest vom Datenschutz in Deutschland nicht erwünscht. In der USA liegen dem Unternehmen Kairos2 weltweit die zugeordneten Gesichter von über drei Milliarden Menschen vor. Als Quelle dienen dazu natürlich die Daten, die Nutzer verschiedener Systeme eingegeben haben.

Wiederfinden

Nachdem das Leben in Form der Bilder in einer Datenbank liegt, können die Bilder problemlos wieder gefunden werden, das Stichwort “Picknick mit Tante Erna” führt dann tatsächlich auf ein Ereignis vor 52 Jahren, das wir so nicht mehr genau in Erinnerung hatten. Durch unsere Assoziationen mit dem Bild sehen wir aber nicht nur die Pixel, sondern erinnern uns auch, wie damals der Kaffee verschüttet wurde und ein lauter Schrei uns erschreckt hat, was natürlich auf dem Bild fehlt. So können wir durch unser Leben navigieren, nicht viel anders als wir es auch mit einem normalen Fotoalbum erleben, der Unterschied liegt in der unglaublich schnellen Auffindbarkeit der Information, sofern man eben seine Bilder hochgeladen hat.

Komplexe Analysen

Mit zunehmender Aufzeichnung unseres Lebens, wir knipsen nicht nur Fotos, wir filmen, nehmen gegebenenfalls Töne auf und all das wird mit den GPS Koordinaten verknüpft. Aber auch E-Mail und alle anderen Aktivitäten hinterlassen eine lange Datenspur im Smartphone, das mit den zentralen Datenbanken der IT Giganten wie Google oder Apple verbunden ist. Diese Datenberge sind das ideale Futter für KI Systeme, die aus Big Data vieles folgern können. So wie uns die Buch- oder Produktempfehlung aus dem Onlineshopping bekannt ist, könnte ein KI-System wesentlich weitergehende Folgerungen finden.

  •  Warum wandern Sie nicht mit Horst Ahnungslos durch die Wälder?
  • Das Auto, das Sie vor 3 Jahren überholte, ist Schrot und der Fahrer schwer verletzt.

  • In diesem Hotelzimmer hat schon Ihr Vater übernachtet, sie erraten nicht mit wem.

Jeder kann selbst seine Phantasie spielen lassen, wenn man die Daten aller Menschen hat, kann man Erinnerungen ungewöhnlicher Art hervorrufen. Triangulation ermöglicht es, dass aus Datenpunkten Verknüpfungen entstehen, die überraschend sind. Kennen die KI Systeme typische Abläufe, die wir scheinbar so individuelle Menschen durchleben, können die Maschinen parallelen ziehen. Wer von A nach B läuft, kommt sicher an C vorbei und sieht dort dies oder jenes.Ein Beispiel, wie Computer unser Verhalten analysieren, findet sich in einer Arbeit über das Navigationsverhalten von Menschen3. In dieser Arbeit wurden über 500.000 Besorgungsgänge von Menschen anonym ausgewertet, um zu verstehen, nach welchem Konzept wir uns durch die Welt bewegen. Wir wählen, nebenbei bemerkt, nicht den kürzesten Weg, sondern den Weg, der jeweils in der direktesten Richtung zum Ziel hat.

In diesem Fall haben uns die Wissenschaftler in ihre Arbeit einen Blick gewährt, es ist aber nicht schwer, sich vorzustellen, dass vergleichbare Analysen bei den IT-Konzernen wesentlich tiefgehendere Erkenntnisse zutage fördern.

Erinnern mit Hilfsmittel

Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der wir heute Bilder von früher betrachten, werden zukünftige Systeme uns die persönlichen Geschichten aus der Vergangen wieder erzählen.
Sicherlich werden wir oft überrascht sein, weil wir so manches Ereignis etwas anders in Erinnerung haben, unser Gedächtnis ist nämlich keine annähernd objektive Filmkamera, sondern ein Assoziationssystem, das uns ein gutes, manchmal auch schlechtes, Gefühl über die Vergangenheit erzählt.
Die Hilfsmittel für die objektivere Erzählung bestehen aus Aufzeichnungssystemen, wie das Smartphone, die zentral unser Leben erfassen und mit KI Unterstützung die Lücken füllen. Für mich persönlich erscheint das sehr interessant, aber sicherlich enthält die Spur des persönlichen Lebens auch Orte, die in Vergessenheit geraten sollten.

Gesellschaften kennen ihre eigene Geschichte oft aus der Perspektive der Sieger, so lehrt uns zumindest die Geschichte, ob wir unsere eigene Geschichte aus der Perspektive der KI sehen wollen, bleibt dahingestellt.

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1 Dr. Eduard Heindl ist an der Hochschule Furtwangen seit 2003 als Professor tätig. Er ist seit 2020 im Vorstand der Integrata Stiftung. hed@hs-furtwangen.de
2 https://www.kairos.com/
3 https://www.nature.com/articles/s43588-021-00130-y

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