Van Haaren, Kurt / Schwemmle, Michael: Digitalisierung der Arbeitswelt

Van Haaren, Kurt / Schwemmle, Michael: Digitalisierung der Arbeitswelt, in: Dengel, Andreas / Schröter, Welf (Hg.): Flexibilisierung der Arbeitskultur. Infrastrukturen der Arbeit im 21. Jahrhundert. Mössingen 1997 (sammlung kritisches Wissen, Bd. 25), S. 98-109. ISBN 3-89376-072-5. 44,00 DM.

Themen: Arbeitmarkt, Arbeitskraftunternehmer (neue Selbständigkeit), Informatisierung, Interessensvertretung, Scheinselbständigkeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Virtualisierung.

Abstract
Ausgehend von vier großen, miteinander verwobenen und sich wechselseitig beeinflussenden Trends (Rationalisierung, Globalisierung, Zersplitterung und Flexibilisierung von Arbeit), fordern die Autoren ein umfassendes politisches Projekt zur Zukunft der Arbeit in der Informationsgesellschaft.

Inhaltsverzeichnis
1. Rationalisierung – Informationsgesellschaft ohne Arbeit?
2. Globalisierung – weltweite Arbeitsmärkte ohne Regulierung?
3. Zersplitterung – Auszug der Arbeit aus den Betrieben?
4. Flexibilisierung – was bleibt vom Normalarbeitsverhältnis?
5. Für ein politisches Projekt „Zukunft der Arbeit in der Informationsgesellschaft“

Bewertung
Der Text versucht die sich abzeichnenden Konsequenzen des strukturellen Wandels von Arbeit mit dem traditionellen Forderungskatalog der Gewerkschaften zu verknüpfen.

Inhalt

1. Rationalisierung – Informationsgesellschaft ohne Arbeit?
Die Autoren sehen in der neuen IuK-Technik klassische „enabling technologies“, die die bereits im Gang befindliche sozioökonomische Entwicklung ermöglichte, verstärkte oder beschleunigte und mittels denen dieselbe „zum Teil erst real wirksam“ (S.99) wurde. Sie zählen drei unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Beschäftigungsbilanz von Multimedia und Datenautobahnen auf: Ratlosigkeit (ifo institut), Plus-Minus-Null verhaltender Optimismus (A.D. Little) und bedrückende Szenarien vom Ende der Arbeit (Jeremy Rifkin, Ulrich Beck u. Martin/Schuman). Van Haaren/Schwemmle bilanzieren, daß sich die nüchterne Erkenntnis breit macht, daß IuK mehr Arbeitsplätze vernichte als generiere. Daher fordern sie beschäftigungspolitische Initiativen (Arbeitszeitverkürzung, arbeitsplatzfördernde Innovations- und Investitionsprojekte, Einführung beschäftigungsfreundlicher und gesellschaftlich sinnvoller IuK-Anwendungen).

2. Globalisierung – weltweite Arbeitsmärkte ohne Regulierung?
Die weltweite Globalisierung der Arbeitsmärkte geht nicht mit riesigen Wanderungsbewegungen einher. Damit verbunden ist die Einführung von 1,2 Milliarden Arbeitern der Dritten Welt (d.h., räumliche Ausdehnung und Erhöhung des beschäftigungspolitischen Problemdrucks), die Auflösung von Qualifikationsvorsprüngen und technologischen Barrieren der Ersten Welt sowie die Gefahr der Unterregulierung vieler nationaler Arbeitsmärkte samt Lohn- und Sozialdumping. Sie schlagen zur „Humanisierung der Globalisierung“ die Durchsetzung wirksamer, sanktionsbewehrter internationaler Mindeststandards im Rahmen der WTO vor. Außerdem bedürften die Gewerkschaften der Fähigkeit zur Moderierung und Begrenzung von Konkurrenz. Das impliziert eine Stärkung der Gewerkschaftsbewegung der Dritten Welt und eine neue Qualität internationaler Gewerkschaftsarbeit.

3. Zersplitterung – Auszug der Arbeit aus den Betrieben?
Durch die Zersplitterung der Arbeitswelt, die sich räumlich dekonzentriert und sozial fragmentiert, besteht die Gefahr des Abbröckelns der traditionellen Plattform für rechtliche Regulierung, soziale Erfahrung, kollektive Identitätsbildung, Kooperation, Konfliktaustragung und -moderation in der Arbeitswelt. Die Folge ist die Unterminierung aller Regulierungsmechanismen, „die sich am Begriff und an der sozialen Realität des Betriebes festmachen“. Aufgrund der „Entbetrieblichung der Arbeitswelt“ (S.105) droht das Ende der herkömmlichen betrieblichen Mitbestimmung und die Entsolidarisierung. Für die Gewerkschaften bedeutet das die Notwendigkeit, neue Möglichkeiten der Kommunikation, der Information und Solidarisierung erschließen zu müssen. Wenn Arbeitnehmer nicht mehr im Betrieb sind, müssen Gewerkschaften zu ihnen gehen, das meint eine fortschreitende Virtualisierung und (Wieder-) Herstellung von wohnortnahen Anlaufstellen.

4. Flexibilisierung – was bleibt vom Normalarbeitsverhältnis?
Flexibilisierung und Deregulierung entspringen nicht zu allererst der Logik der Digitalisierung, sondern sind interessengeleitete unternehmerische und politische Strategien. Sie bekommen aber aufgrund des technischen Potentials ihre Dynamik und Durchschlagskraft. Die Flexibilisierung (Arbeitszeit, Entgelt, Normalarbeitsverhältnis) macht Mischformen zur Regel und bedingt die Destabilisierung von Erwerbsarbeit. Sowohl die sozialen Sicherungssysteme als auch das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgebern und abhängig Beschäftigten werden davon erheblich beeinträchtigt. Insbesondere durch die Wandlung vom Arbeitnehmer zum Unternehmer ergibt sich ein gestiegenes Maß an Unsicherheit und eine neue Situation, die nun unter Berücksichtigung der Flexibilisierungsinteressen von ArbeitnehmerInnen neu reguliert werden muß. Um des Problems der Scheinselbständigkeit Herr zu werden, muß die Reichweite der überkommenen Regulierungsmechanismen vergrößert und der Arbeitnehmerbegriff neu definiert werden.
Für die Gewerkschaften bedeutet das auch ein Umdenken ihres Organisationsanspruches über den klassischen Typus des Arbeitnehmers hinaus, hin zu neuen Varianten abhängiger Beschäftigung. Die Autoren geben zu bedenken, daß die Selbständigkeit nicht immer Zwang, sondern auch dem Entschluß entspringen kann, die Teilung in Beruf, Familie, Arbeit und Freizeit zu überwinden. Neue Wege der Interessensvertretung sind daher notwendig.

5. Für ein politisches Projekt „Zukunft der Arbeit in der Informationsgesellschaft“
Van Haaren/Schwemmle fordern ein politisches Projekt zur „Zukunft der Arbeit in der Informationsgesellschaft“, das die großen Risiken einer „allein markt- und technikgetriebenen Entwicklung“ thematisiert und minimiert.

08.03.2001; KS