Die Macht der Informationstechnologie – Teil 2: Chancen und Risiken

Die Macht der Informationstechnologie – Teil 2: Chancen und Risiken

Von Stephan Wawrzinek

Der erste Blogeintrag zu diesem Thema betrachtete die Gründe und Mechanismen für die große Bedeutung, die die Informations- und Kommunikationstechnologie hat. Hier soll es darum gehen, welche Chancen und Risiken sich prinzipiell hinter den einzelnen Mechanismen verbergen.

Verbesserte Verfügbarkeit von Wissen

Verbesserte Verfügbarkeit von Wissen bedeutet zum einen, dass man schneller und effizienter an Informationen gelangen kann – der Einzelne kann mehr wissen, da ihm mehr Zeit zum Aufnehmen der schneller gefundenen Informationen bleibt, und kann es sich leisten, Themenbereiche und Spezialfälle zu betrachten, bei denen der Aufwand für die Suche früher den Wert der Information deutlich überstiegen hätte. Das bringt eine enorme Vereinfachung für jene mit sich, deren Arbeitsgebiet das Wissen an sich ist – gut durchsuchbare Datenbanken sowie schnellere und einfachere Kommunikation durch die IKT haben z.B. den Alltag vieler Wissenschaftler deutlich erleichtert und dadurch zu schnellerem wissenschaftlichem Fortschritt beigetragen. Der Begründer des WWW arbeitete nicht zufällig für eine Forschungsorganisation (das CERN) – das Ziel des WWW war ursprünglich ein universeller Standard, über den Wissenschaftler sich austauschen können sollten. Aber auch im Alltag des einfachen Bürgers stehen für Entscheidungen mehr Informationen schneller zur Verfügung – ich kann besser entscheiden, welches die für meine Zwecke beste Kamera ist und welches Buch besonders gute Informationen zu einem Thema liefert. Eine weitere Art von Wissen, die schneller verfügbar ist, sind Gedanken oder Informationen, die von einem Menschen zum anderen weitergegeben werden müssen – die Weitergabe erfolgt teilweise um ein Vielfaches schneller, was zu einem „globalen Dorf“ führen kann.

Der potentielle Nachteil ist, dass Informationen auch flüchtiger werden – sie können leichter zu jemandem gelangen, zu dem sie nicht gelangen sollen. Die Bedrohung unserer Privatsphäre durch das Sammeln und Auswerten online verfügbarer (und freiwillig hinterlassener!) Daten ist sattsam bekannt, aber nicht das einzige Problem. Diebstahl und illegitime Verbreitung sensibler Daten – Bank- und Gesundheitsdaten über den einzelnen Bürger, vertrauliche Informationen aus Firmen und Verwaltungen – wird um ein Vielfaches leichter, wenn Daten über Computer anstatt über Akten zugänglich sind und daher einfacher und schneller kopiert werden können. Daten auf einem ans Internet angeschlossenen Rechner können von fast jedem Ort der Erde aus gestohlen werden. Auch der Computer, auf dem sich die Daten befinden, ist wesentlich leichter zu stehlen aus ein Aktenschrank: Im Zeitraum von Anfang 2005 bis Anfang 2008 sind laut Bundesinnenministerium aus deutschen Behörden etwa 500 Rechner verschwunden – alle zwei Tage ein Rechner, auf dem sich sensible Daten befinden können. Denn sensible Daten werden bei weitem nicht immer streng bewacht: 1990 wurde laut „Spiegel“ einem britischen Luftwaffenoffizier sogar ein Laptop mit dem kompletten Invasionsplan für das damals vom Irak besetzte Kuwait gestohlen – aus seinem Auto.

Informationsverarbeitung

Wenn Computer in der Lage sind, Informationen zu erfassen, zu analysieren und auf sie zu reagieren, sind sie in der Lage Aufgaben auszuführen und Funktionen zu übernehmen, die früher Menschen vorbehalten waren. Teilweise werden solche Aufgaben dadurch erst durchführbar – wie beispielsweise beim sogenannten Data Mining, bei dem teilweise riesige Datenberge automatisiert nach Mustern durchsucht werden, was eine nicht zu finanzierende Menge an menschlicher Arbeitszeit benötigen würde. In Kombination mit Input durch Sensoren kann Software Roboter steuern, die den Menschen weiter von Routinearbeit entlasten und ihm somit mehr Zeit für Muße, Kreativität und den Umgang mit anderen Menschen kann. Und diese Fähigkeit, eigenständig auf die Umgebung zu reagieren, ermöglicht technische Anwendungen, die das Leben körperlich eingeschränkter Menschen deutlich erleichtern und in nicht allzu ferner Zukunft auch körperliche Behinderungen wettmachen können. Bereits vorhandene Beispiele sind die technisch machbare Steuerung eines elektrischen Rollstuhls durch nichtintrusive Mimikanalyse oder der Sprachcomputer, mit dem sich praktisch vollständig gelähmte Menschen wie z.B. der Astrophysiker Stephen Hawking sich verständlich machen können.

Die Kehrseite der Informationsverarbeitung ist, dass sie eben auch genutzt werden kann, um zu viele Informationen zu erlangen: Das Analysieren leicht zugänglicher Daten mag nicht ganz so wirksam sein wie Spionage, ist aber oft wirksam genug und unter Umständen deutlich weniger aufwändig. Aus dem Surfverhalten eines Benutzers lässt sich viel über seine Interessen, Ansichten und auch Schwächen erfahren, ohne dass man ihn physisch beobachten muss. Überwachungskameras können nicht nur bei der Aufklärung von Verbrechen behilflich sein, mit einer leistungsfähigen Gesichtserkennungssoftware lassen sich die Aufenthaltsorte tausender Personen ausfindig machen und Bewegungsprofile erstellen, Verhaltenserkennung. Durch hinreichend gute Informationsverarbeitung kann ein Computer mit einer Überwachungskamera Auge und Ohr eines Menschen vollständig ersetzen – ohne Ermüdungserscheinungen oder Unaufmerksamkeit. Mit der wachsende Anzahl an Überwachungskameras (in Großbritannien sind es Schätzungen zufolge deutlich mehr als 4 Millionen), kombiniert mit Software zur Gesichtserkennung, Spracherkennung und -auswertung und zur Verhaltensanalyse ließe sich ein Überwachungsstaat bauen, der Orwells Dystopie an Effizienz mühelos übertrifft.

Selbst die Möglichkeit, menschliche Arbeitskraft bei zunehmend komplexen Fertigungsprozessen durch Roboter zu ersetzen, ist zweischneidig: Einerseits ermöglicht es den Menschen prinzipiell, mehr Zeit für Selbstentfaltung, soziale Kontakte und soziales Engagement aufzubringen, andererseits sinkt dadurch der Bedarf an Arbeitskräften für die Produktion von Gütern – problematisch in einer Gesellschaft, in der Wohlstand und Wohlbefinden eng mit Erwerbsarbeit verknüpft sind. Ein Fortschreiten dieses Prozesses wird unsere Gesellschaft vor größere Herausforderungen stellen, als es ohnehin schon der Fall ist.

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