Beck, Ulrich: Schöne neue Arbeitswelt

Beck, Ulrich: Schöne neue Arbeitswelt, Campus Verlag Frankfurt/M. 1999. 255 Seiten.

Themen: Bürgerarbeit, Bürgergeld, Gemeinwohlunternehmer, Risikogemeinschaft.

Abstract
Der Münchner Soziologe fügt in dem Band zwei unterschiedlich akzentuierte Zukunftsvisionen zusammen.

Inhaltsverzeichnis
Inhalt (Auszug):
— Zukunftsvision I
— Zukunftsvision II

Bewertung
Echte Visionen, mit Mängeln in der begrifflichen Schärfe.

Inhalt

Beck verweist auf einige Linien des Übergangs von der „1. Moderne zur 2. Moderne“, oder in anderen Worten, vom Zeitalters der Großen Industrie in ein neues, unbekanntes und doch in manchen Zügen erahnbares Zeitalter:
— kollektive Lebensmuster individualisieren sich
— der Nationalstaat und seine sozialstaatliche Organisation überleben sich
— partielle Märkte werden zu einem Ganzen (Globalisierung)
— die Geschlechterrollen wandeln sich tiefgreifend
— die wie eine Sklavin missachtete Natur wird als schutzbedürftig erachtet
— die Erwerbsarbeit hat rückläufige Tendenz
(oder müsste man nicht genauer sagen: die Lohnarbeit geht zurück,
was sich auf die Erwerbsarbeitszahlen auswirkt?/MF)
Aus all dem stellt Beck fest, dass am Ende des 20. Jahrhunderts die Conditio humana durch äußerst ambivalente Aussichten, durch Unsicherheiten, Paradoxien und große Risiken gekennzeichnet ist. Um Orientierung zu gewinnen, hält er es für notwendig, Zukunftsvisionen zu entwerfen.

Zukunftsvision I: Das Europa der Bürgerarbeit
Es ist charakteristisch für Ulrich Beck, dass er von akuten Problemen ausgeht und in ihnen nach Bedingungen für eine Wendung zum Besseren sucht; so geht er in seinen Vorstellungen zur Bürgerarbeit von einem bei uns in zahlreichen Ausprägungen vorhandenen Typus aus, der durch Arbeitslosigkeit geplagt ist und zugleich Zeit hat, sich für gesellschaftliche Angelegenheiten zu engagieren. Dieses Engagement, so der Soziologe Beck in seinem Ansatzpunkt, sollte belohnt werden, indem die Tätigkeit der Engagierten in bezahlte Arbeit verwandelt wird, die als „Bürgerarbeit“ eine soziale Wertschätzung erfahren kann. Beck legt Wert darauf, hier von Belohnung statt Entlohnung (wie bei einem Lohnarbeiter) zu sprechen, weil mit der Bürgerarbeit eine bisher noch nicht ausgeprägte Art des Arbeitens geschaffen werden soll. Wichtig ist ihm weiter, dass die Bürgerarbeit freiwillig und selbstorganisiert ist und von keiner der herkömmlichen Organisationen verwaltet wird, aber auch nicht von einem neu zu schaffenden ‚Amt für Bürgerarbeit‘. Als eigentlichen Promoter der ihm vorschwebenden Art der Arbeit sieht Beck eine gleichfalls neue Gestalt, die er „Gemeinwohlunternehmer“ nennt.
Natürlich stellt sich die Frage, woher das Geld kommen könnte, um die Bürgerarbeiter zu bezahlen. Grundsätzlich ist Beck der Meinung, dass es besser ist, die „öffentlichen Transfergelder“ (landläufig: ‚Stütze‘) für gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten als für ‚Nichtstun‘ zu verwenden. Darüber hinaus denkt er an „Drittmittel des betrieblichen Sozialsponsoring“ (meint er damit Abfindungen u.ä.?), an „kommunale Eigenfinanzierungen“ — bedeutet: wo die Kommunen Nutzen von der Bürgerarbeit haben, sollen sie dafür zahlen — und an „in der Bürgerarbeit selbst erwirtschaftete Beträge“, d.h. wohl aus Gemeinwohlunternehmen erwirtschaftete Erträge. Dies zu den Quellen des „Bürgergelds“.
Mit dem Bürgergeld könnten drei Ziele verfolgt werden:
(1) Schaffung eines Niedriglohnsektors (! — „um Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen“)
(2) Ermöglichung von Auszeiten u.a. für Weiterbildung
(3) Abbau der „Armutsbürokratie“
In diesen Zusammenhängen werden Erfahrungen aus Nachbarländern erwähnt. Holland: Abbau der Arbeitslosigkeit durch Teilzeitarbeit; Voraussetzung dafür sei (a) eine von der „Erwerbsarbeit“ abgekoppelte Alterssicherung und (b) Übernahme „aller Beschäftigungs-verhältnisse“ in die Pflichtversicherung — d.h. auch der Billig- und Minijobs, womit unsere Regierung im Jahr der Veröffentlichung des Buchs keine guten Erfahrungen gemacht hat!/MF
Dänemark: Auszeitgesetz, d.h. bis zu einem Jahr kann eine Person für jedweden Zweck Auszeit nehmen: er/sie erhält Lohnersatz und anschließend wieder den Arbeitsplatz.
Für Becks Konzept der Bürgerarbeit ist wichtig, dass die Individuen zwischen Bürgerarbeit und sonstiger Arbeit wechseln können und dass solches Wechseln nicht bloß Ausnahmefall ist, sondern zum Normalfall werden kann. (Wiederum ist Becks Begrifflichkeit dabei problematisch: er spricht vom Wechsel zwischen „Bürger- und Erwerbsarbeit“, als ob die Bürgerarbeit erwerbsuntauglich sei./MF)
Nun sieht Beck das nationalstaatliche Gefüge als ungeeignet an, eine solche Perspektive umzusetzen, und deshalb glaubt er einer höheren Ebene zustreben zu müssen, Europa. Ob diese Ebene für die Lösung der angeschnittenen Probleme tauglich ist oder nicht: die Gedanken als solche sind interessant. Beck hält ein Europa, das sich eine Verfassung gibt, für eine Chance zur Weiterentwicklung der Demokratie. Vor allem denkt er dabei an eine Formulierung von Bürgerrechten, die etwa über das Deutsche Grundgesetz hinausgehen. Kern müsste eine Neubestimmung des Rechts auf Arbeit sein, nun ansteuerbar als ein Recht auf Bürgerarbeit.
In diesem Sinne fasst Beck seine Zukunftsvision in dem Satz zusammen: „Die europäische Demokratie gewinnt ihre Seele mit und durch Bürgerarbeit.“ (S. 137)

Zukunftsvision II: Die postnationale Bürgergesellschaft
Hier ergänzt er das bisher Gesagte um weitere Dimensionen. Ausgangspunkt ist wiederum ein deutlich umrissenes Phänomen der Gegenwart, die Tatsache, dass es neuartige Gemeinschaften gibt, die sich um akute Umweltprobleme herum gebildet haben; auch hier denkt Beck primär an übernationale Gemeinschaften, an eine etwa, die sich bildet, wenn um ein verseuchtes Gewässer herum verantwortungsbewusste Bürger aus den Anrainerstaaten Kontakt miteinander aufnehmen. Dies seien Gemeinschaften, die weder familiäre noch nachbarschaftliche noch nationale Bande zusammenhalten würden; ein bestimmtes (Umwelt-) Risiko habe den Zusammenhang zwischen den betreffenden Individuen gestiftet, daher die Bezeichnung „Risikogemeinschaften“. Als eine der Bedingungen für ihr Entstehen nennt Beck die „Enträumlichung des Sozialen“; er will damit sagen, dass gegenwärtig ein Prozess im Gang ist, der soziale Nähe von geographischer Nähe entbindet, möglich durch das ubiquitäre Auftreten der neuen Medien. Zugleich würde das politische Handeln räumlicher Grenzen entledigt, und so endet die zweite Zukunftsvision im Himmel der weltpolitischen Möglichkeiten („Weltbürger aller Länder … ).

Noch zwei Bemerkungen: 1. Der Nationalstaat als Raum des Politischen ist zweifellos dabei, an Bedeutung zu verlieren. Doch gibt er sie nicht nur ab an supranationale Gebilde, sondern auch an subnationale wie Regionalorganisationen und Kommunen. Gerade die letzteren scheinen mir der geeignetste Raum zu sein, für den das Konzept der Bürgerarbeit sich zu formulieren lohnte, wo es ausprobiert und ggf. revidiert oder verbessert werden kann, wo es überhaupt sich bewähren kann. Hic Rhodos, hic salta! — 2. Das Konzept der Bürgerarbeit bietet sich an zum Vergleich mit dem Drei-Schichten-Modell der Arbeit, wie es Giarini und Liedtke für den Club of Rome skizziert haben (vgl. den Kurzbericht dazu). Es gibt Ähnlichkeiten und deutliche Unterschiede. Ähnlich ist die Überzeugung, dass ein garantiertes Basiseinkommen geschaffen werden muss, auf das Menschen in schwierigen Arbeitsverhältnissen zurückgreifen können. G./L. wollen dies durch Steuermittel erreichen, die für diesen Zweck reserviert werden; B. will es durch ein aus vielen Kanälen zusammenkommendes Bürgergeld erreichen. Dabei möchte letzterer bisher freiwillig geleistete Arbeit in bezahlte Arbeit verwandeln, während die ersteren freiwillige Arbeit, die nicht bezahlt wird, als konstituierendes Element eines zukunftsorientierten Arbeitsbegriffs ansehen.

14.11.2001; MF