Johnson, Steven: Interface Culture – Wie neue Technologien Kreativität und Kommunikation verändern

Johnson, Steven: Interface Culture – Wie neue Technologien Kreativität und Kommunikation verändern, Klett-Cotta Verlag Stuttgart 1999. 300 Seiten.

Themen: Agents, Bitmapping, Interface Design, Links, Windows.

Abstract
Steven Johnson, ein 30-jähriger Literat aus New York, legt Highlights aus den vergangenen 30 Jahren Informationstechnologie dar.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort: Elektrische Geschwindigkeit

1 Bitmapping: Die Visualisierung digitaler Muster

2 Desktop: Die visuelle Metapher der Benutzeroberfläche

3 Windows: Fenster zum Informationsraum

4 Links: Verweise und Verknüpfungen

5 Text: Verarbeitung und Gebrauch von Worten

6 Agents: Spione und Assistenten

Ausblick: Eine Vorstellung von der Unendlichkeit

Bewertung
Eine schöne, bisweilen ins Schwärmerische gehende romanartige Schrift, in der die neuen Technologien als Kunstwerke betrachtet werden.

Inhalt

Im Vorwort schreibt Johnson, dass wir von der vergangenen Ära her gewohnt sind, Kunst und (industrielle) Technik als Gegensätze zu sehen. Zwar habe es in jener Ära der ‚harten Technologie‘ ausnahmsweise Menschen gegeben, welche die Technik als Kunstwerk bestaunt haben (Marx, Balsac u.a.); doch erst in dieser unseren Zeit sei es generell möglich, den Entwicklungsprozess der Technik als Kunstwerk zu begreifen. Als Grund hierfür nennt Johnson die enorme Geschwindigkeit, in der die elektronische Technologie alles wandelt, so dass man selbst im Laufe einer Generation schon komplexe Metamorphosen wahrnehmen kann.
Das Verschmelzen von Kunst und Technik in der Wahrnehmung ist, wie Johnson sagt, sein Zentralthema; und er macht es daran fest, was er „Interface Design“ nennt: die Gestaltung der ‚Schnittstellen‘ von Mensch und Computer.

1 Bitmapping: Die Visualisierung digitaler Muster
1968, im Geburtsjahr Johnsons, hat Dough Engelbart bei einer Show in San Francisco erstmalig versucht, einen Informationsraum sichtbar zu machen. Dieses „Bit-Mapping“, d.h. das Gestalten einer Landschaft, die Bit-Muster repräsentiert, war aus Johnsons Sicht sowohl ein großer technologischer Fortschritt als auch das Ergebnis profunder Kreativität. Ein spezielles Problem für Engelbart war, wie Johnson berichtet, die Frage, wie man das ‚Hineinschlüpfen‘ in den Informationsraum visualisieren kann. Engelbart wählte hierfür eine „Maus“, die ein Jahrzehntzehnt später dann auf den Markt kam und heute jedem Computerbenutzer ein selbstverständlicher Begriff ist (S. 32).
Früher, sagt Johnson, wurden Maschinen als Prothesen angesehen, nämlich als Verlängerung menschlicher Organe. Jetzt aber — schwärmt Johnson wie ein Romantiker — habe Dough Engelbart uns die erste Maschine geschenkt, „in der es sich zu leben lohnt.“ (S. 35)

2 Desktop: Die visuelle Metapher der Benutzeroberfläche
Ein großes Problem für die Interface-Designer der frühen 70er Jahre war, wie man dem Computer-Benutzer an seinem Bildschirm eine Vorstellung von der Tiefe des Informations-raums geben kann, mit der man praktisch zu arbeiten in der Lage ist. Alan Kay fand eine Lösung, die dann sehr erfolgreich von der Firma Apple weitergetragen wurde: Kay’s Lösungsprinzip war, den Monitor als Arbeitsfläche der Augen wie einen Schreibtisch zu betrachten, auf dem Papiere liegen, die Arbeitsvorhaben repräsentieren; besonders wichtig war, das oberste ‚Papier‘ als dasjenige zu betrachten, an dem gerade gearbeitet wird. Sobald die Bearbeitung beendet ist, erscheint „darunter“ das nächste Arbeitsvorhaben. Auf diese Weise wird die Illusion einer gewissen Tiefe erzeugt. (S. 59)

3 Windows: Fenster zum Informationsraum
Windows, jedem bekannt gemacht durch Microsoft, ist nach Johnson ein Kürzel für mehrere Innovationen im Design der Benutzeroberfläche. Eine sehr bedeutsame strategische Streitfrage in der Pionierzeit des Computing war, ob es besser ist, sich textgesteuert oder bildgesteuert durch den Informationsraum zu bewegen. Bis zu einem gewissen Grad hat sich die Bildsteuerung durchgesetzt, insoweit nämlich, als sich seit dem ersten Macintosh für die gröbsten Formen der Durchquerung des Informationsraums sich die Vorstellung bewährt hat, man öffne und schließe Fenster. Für Johnson sind diese Fenster Werkzeuge, mit denen man bestimmte Räume bildhaft erschließen kann, ähnlich wie mit einem Spiegel oder einem Mikroskop. (S. 91)
Eine spezifische Anwendung des Fensterprinzips — das übrigens ansatzweise bereits in Engelbarts Illusionsshow angelegt gewesen sei — ist laut Johnson die sogenannte magische Linse, mit der man kleine Räume vergrößern kann. Doch könne man mit ihr nicht nur vergrößern, sondern (und dies macht die „Magik“ aus) so tun, als könne man etwa einen Originaltext verwandeln: z.B. eine kaum lesbare Handschrift Leonardos in gut lesbare New York-Lettern. Daher habe man das Gefühl, es mit einem „Enthüllungswerkzeug“ zu tun zu haben. Dessen Hauptfunktion sei, gerade so wie bei einem Filter, Überflüssiges zu unterdrücken und dadurch das Nicht-Überflüssige hervorzuheben.
Vom Fensterprinzip herrühren würde auch der für die Eröffnung riesiger Räume erdachte Browser, das Interface zwischen dem World Wide Web und den ihm zugänglichen Datenbänken. Der Browser (‚Schmökerer’/ MF) habe, meint Johnson voller Bewunderung, in der Welt der Worte kein Äqivalent.

4 Links: Verweise und Verknüpfungen
Der Gedanke, Informationssysteme durch Links zu organisieren, ist von einem frühen Pionier des Computing, Vannevar Bush, schon vorweggenommen worden; in seiner „Memex“, einer Informationssortiermaschine, hat er laut Johnson das bisherige Hauptziel des Info-Managements, ‚Schubladen‘ zu finden, im Sinne der Herstellung von Verbindungen durchbrochen. Nicht der Aufenthalt an bestimmten Orten, sondern die Reise selbst von Ort zu Ort oder von Dokument zu Dokument sei nun zum bestimmenden Prinzip geworden. Hieraus könne, wenn entsprechende ‚Reisen‘ im Internet durchgeführt werden, auch eine neue Gattung von Literatur entstehen.
Voraussetzung sei allerdings, dass ‚Pfade‘ hierfür entstehen, d.h. dass ein von einem ‚Wegbereiter‘ begangener Weg so verzeichnet wird, dass andere Personen ihm folgen und ihn auch verlassen können. Als einen der großen Mängel des Internets sieht Johnson das Fehlen geeigneter Vorrichtungen zum Bau von Pfaden.

5 Text: Verarbeitung und Gebrauch von Worten
Für die ersten Jahre des neuen Jahrhunderts erwartet Johnson eine Reihe neuer Tools, die mit Suchbefehlen so ausgestattet sind, dass man große Textbereiche ‚überfliegen‘ kann. Bis Computer mit Regeln der Semantik arbeiten können, würden noch zehn oder zwanzig Jahre vergehen. Aber auf einem anderen Weg, nämlich durch den Gebrauch von Statistik, könne man wesentlich früher bei der Literatursuche erfolgreich sein. Angenommen, die Aufgabe sei, zu einem vorhandenen Text inhaltlich ähnliche Texte zu finden, so könnte der vorhandene Text durch ein Programm auf die Verteilung etwa der häufigsten Substantiva hin untersucht werden und mit dieser Information andere Texte daraufhin überprüft werden, ob sie ähnliche Verteilungen aufweisen. (S. 174)

6 Agents: Spione und Assistenten
Eine Hauptfunktion, in der sogenannte Agents wirksam werden könnten, ist, Veränderungen auf Datenbeständen ausfindig zu machen und sie einem Kunden auf dessen Festplatte rückzumelden (die Bezahlung eines solchen Dienstes würde wahrscheinlich nach der Anzahl von Teleclicks, die auf der ‚Erkundungsreise‘ benötigt werden, erfolgen).
Eine weltanschauliche Debatte hat darüber begonnen, ob jene Agenten nichts weiter als Wünsche erfüllen sollen (sog. Pull-Agents) oder ob sie auch Wünsche ‚antizipieren‘ sollen (sog. Push-Agents). Als eine Gefahr der letzteren Entwicklungsrichtung sieht Johnson, dass Agenten, die nach intrinsischen Kriterien ’selbst entscheiden‘ können, was ein Kunde will, für diesen zu einer Plage werden könnten, da sie ihm vieles nicht wirklich Gewünschtes liefern dürften.

Ausblickend spricht Johnson von „blinden Flecken“ unseres Zeitalters. Vor allem sei es schwierig zu sehen, wie engstirnig und draufgängerisch zugleich wir mit den neuen Medien, die das Zeitalter bietet, umgehen: zu sehr würden wir uns in banalen Träumereien ergehen und bloß fragen, was man mit diesen Medien in Zukunft alles wird machen können. Wichtiger ist es für Johnson, das Interface-Design als Kern dieser Entwicklung wie eine Kunstform anzunehmen, womöglich als die Kunstform des 21. Jahrhunderts schlechthin. Von ihr werde die Ausbildung unseres literarischen Geschmacks, Raumgefühls, Musikempfindung, selbst das Aussehen unserer Städte abhängen. Es gehe dabei um die Entdeckung eines neuen Raums, der Info-Sphäre, die wir gleichsam mit der Taschenlampe des Interface auszuleuchten lernen. „Das Interface bietet einen verstohlenen Blick auf die Info-Sphäre, die dabei halb enthüllt wird und halb verschwindet.“ (S. 267)

16.11.2001; MF