Guttenberg, Plagiate und das Werkzeug Internet
- Von: Achim Lorenz
Wenige Stunden nach der Rücktrittserklärung des Verteidigungsministers listete die Homepage des Magazins „Stern“ die Verlierer und die Gewinner der Plagiarismus-Affäre auf. Zu den Verlierern zählte das Blatt neben der Union und diversen Politikern aus ihren Reihen auch die „Bild“-Zeitung. Als größten Gewinner verortete der „Stern“ das Internet, denn der „Guttenplag-Wiki“ „[…]hatte selbst die „Bild“-Zeitung nur wenig entgegenzusetzen. […] Kein Mensch, kein Team, keine Arbeitsgemeinschaft hätte so schnell die Dimension des Plagiats entlarven können.“ Internet schlägt Printmedien?
Es ist wohl nicht vermessen zu behaupten, das Internet habe bei dem Fall Guttenbergs eine bedeutende, vermutlich sogar entscheidende Rolle gespielt. Ohne Internet hätte der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano die ersten kopierten Textstücke wohl nie gefunden. Vor allem aber wäre ohne Internet das Ausmaß, in dem Guttenberg offensichtlich plagiiert hat, niemals bekannt geworden. Ohne die immer neuen Meldungen über weitere entdeckte Textkopien hätte sich die Aufregung nach wenigen Tagen gelegt, es wäre bei einigen empörten Ausrufen geblieben und viele Bundesbürger hätten den Worten des Ministers geglaubt, er habe nur ein paar Fußnoten vergessen. So aber entwickelte das Thema eine größere Dynamik, immer mehr Personen des öffentlichen und des akademischen Lebens sahen sich veranlasst, Stellung zu nehmen. Im Internet unterzeichneten weit über 20.000 Doktoranden einen offener Brief an die Kanzlerin, in dem ihre Unterstützung Guttenbergs harsch kritisiert wurde. Am Ende halfen selbst die grandiosen Umfrageergebnisse aus jüngster Zeit und die Unterstützung des auflagenstärksten deutschen Blatts nicht mehr.
Nebenbei bemerkt: Darin, dass das Internet wesentlichen Anteil am Sturz eines Plagiators hat, liegt eine gewisse Ironie. Schließlich hat, wie der Grazer Professor Hermann Maurer und seine Mitarbeiter in mehreren Arbeiten ausführen, das Internet das Plagiieren einfach und bequem gemacht und dadurch zu einem Massenphänomen werden lassen: Maurer schätzt anhand von Stichpoben, dass etwa 30% aller studentischen Arbeiten Plagiate enthalten. Das Internet verstärkt also das Arsenal von sowohl Plagiatoren als auch Plagiatsjägern – erstere finden leichter Texte, die sie kopieren können, letztere entdecken solche Kopien leichter und schneller. Das Internet ist sicher nicht der Tod der Plagiatoren, zumindest bis auf weiteres nicht. Insofern stimme ich auch der Medienjournalistin Christiane Schulzki-Haddouti nicht zu, die aufgrund des Internets auf eine Verbesserung der Qualität von Hochschularbeiten hofft (siehe Artikelende). Guttenberg wäre, wie sie richtig sagt, ohne das Internet wohl nicht gestürzt, aber eben auch nicht durch das Internet alleine.
So banal es auch klingen mag, sowohl Netzkritiker als auch Netzenthusiasten vergessen gerne, dass das Internet lediglich ein Werkzeug ist, wenn auch ein einflussreiches. Das Internet war in der Guttenberg-Affäre Informationsquelle für die klassischen Medien, die auf Basis dieser Informationen öffentlichen Druck erzeugten. Über das Schicksal von Politikern wird nicht im Netz entschieden, so gern mancher Netzaktivist das nun propagieren würde. Realistischer scheint mir die auch im Zusammenhang mit der Plagiatsaffäre gehörte Behauptung, das Internet könne der Zivilgesellschaft eine bessere Kontrolle der Politik ermöglichen. Denn aufgrund der vielen potentiellen Informationsquellen kann oft eine Informationstiefe erreicht werden, die für die klassischen Medien allein nicht zu finanzieren wäre. Hinzu kommt, dass die Netzgemeinde als Ganzes zwar durch Texte bezahlter Schreiber und durch Falschinformationen behindert werden kann, nicht aber durch politischen oder wirtschaftlichen Druck. Damit kann sie als Teil der Vierten Gewalt wirken und die Presse in den Bereichen ergänzen, in denen diese versagt oder nicht leistungsfähig genug ist. Es bleibt spannend zu sehen, wie sich die Landschaft der Informationsquellen zu politischen Fragen verändern wird.