Künstliche Intelligenz, made in Europe – von Dr. Anna Christmann

Künstliche Intelligenz, made in Europe – von Dr. Anna Christmann

Künstliche Intelligenz europäisch entwickeln und zum Wohl von Gesellschaft und Umwelt gestalten: Wir brauchen KI, die auf der Grundlage europäischer Werte in Europa erforscht und entwickelt wird. Doch in Deutschland fehlt die Strategie. Ein Debattenbeitrag zum Stuttgarter Zukunftssymposium Ethik und KI.

von Dr. Anna Christmann, MdB

Künstliche Intelligenz (KI), maschinelles Lernen und autonome Systeme werden unsere Welt in den nächsten Jahren grundlegend verändern. Als Grüne wollen wir die Kraft dieser Veränderungen vor allem auch für die sozialökologische Modernisierung von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft nutzen. Damit das gelingt, müssen Deutschland und Europa KI selbstbestimmt erforschen, entwickeln und einsetzen können. Denn nur wer KI in all ihren Facetten versteht, kann sie auch nach den eigenen gesellschaftlichen, politischen und ethischen Vorgaben souverän gestalten. 

Wir dürfen uns in Europa nicht damit zufrieden geben, im Nachhinein den rechtlichen Rahmen für Innovationen zu stricken, die anderswo entwickelt wurden. Auch wenn wir damit zum Teil sehr erfolgreich sind, wie die Datenschutzgrundverordnung gezeigt hat. Trotzdem: Aus dieser defensiven Haltung müssen wir uns selbstbewusst befreien und in die Offensive kommen. Wir brauchen KI made in Europe, die auf der Grundlage europäischer Werte in Europa erforscht und entwickelt wird.

Kein blindes Wettrennen mit den USA oder China

Doch schaut man sich die globalen Forschungsausgaben an, haben andere klar die Nase vorn. Ob Tesla, Google, Nasa oder Darpa – in den USA nimmt nicht nur der Staat viel Geld in die Hand. Auch Großkonzerne investieren bedeutende Summen in die Entwicklung selbstfahrender Autos, Roboter oder lernender Algorithmen. Seit Jahren führen die USA die Weltrangliste der absoluten Forschungsausgaben an. Doch andere holen rasant auf. Allen voran China, wo der Staat seit einigen Jahren Milliarden in die Entwicklung von KI-Technologien pumpt. Insgesamt wird in Asien mittlerweile dreimal so viel in KI investiert wie in Europa, in Nordamerika sogar sechsmal.

Es darf uns nicht um ein blindes Wettrennen mit den USA oder China gehen, sondern darum, einen europäischen Weg zu entwickeln, der gesellschaftliche Gerechtigkeitsfragen, Grund- und Freiheitsrechte im Blick behält. Die europäische Einbettung der Forschungsaktivitäten und entschlossene Investitionen sind dabei die Grundvoraussetzung. Wir sprechen uns als Grüne daher für flexiblere Forschungsstrukturen aus, die es ermöglichen mit guten Gehälter, attraktiver Infrastruktur und europäischer Lebensqualität die besten KI-Forschenden nach Europa zu holen oder hier zu halten. Denn sonst werden die Rahmenbedingungen für KI anderswo gesetzt. In autoritären Staaten wie China droht durch KI die allumfassende Überwachung, in den USA ein weiterer Machtzuwachs großer Digitalkonzerne – mit all den negativen Konsequenzen, die wir heute schon erleben. Der europäische Weg muss ein anderer, ein Weg der digitalen Chancen, des fairen Marktzugang, der nachhaltigen Entwicklung und der Selbstbestimmtheit sein.

In Deutschland fehlt eine KI-Strategie

Neben einer konsequenten Vernetzung der europäischen Forschungsstandorte fehlt es in Deutschland vor allem an einer KI-Strategie, die mit mutigen Investitionen unterlegt ist und die nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen setzt. In den letzten anderthalb Jahren haben Kanada, China, Frankreich, die USA und zahlreiche andere Staaten Strategien für die Erforschung und den Einsatz von KI vorgelegt. Fast alle mit dem Anspruch dabei weltweit führend zu sein. Während andere Länder also längst dabei sind, ihre entsprechenden Strategien umzusetzen, hinkt die Bundesregierung hinterher und droht so, den internationalen Anschluss bei dieser wichtigen Zukunftstechnologie zu verlieren.

Das einzig Gute an dieser, von der Bundesregierung verursachten Nachzüglerschaft: Die Große Koalition kann sich an den vielen bereits existierenden Strategien orientieren – und sollte das auch unbedingt tun. Die französische KI-Strategie benennt zum Beispiel ausdrücklich ökologische Potentiale von KI als eine zentrale Säule. Warum machen wir die ökologischen Anwendungen von KI nicht zu einem Schwerpunkt in Europa, zum Beispiel durch eine Innovationsstiftung für nachhaltige und soziale digitale Anwendungen (INSDA)?

Frankreich als Vorbild

Auch bei der Einbindung der Zivilgesellschaft und verschiedener Stakeholder kann Frankreich Vorbild sein. Nur durch Transparenz und Beteiligung entsteht das nötige Vertrauen, um Künstliche Intelligenz zum Wohl der Gesellschaft gestalten zu können. Auch die KI Strategie der EU hat bereits wichtige Aufgaben definiert, die auch die Bundesregierung dringend adressieren muss. Etwa müssen die absehbaren Veränderungen der Arbeitswelt weiter erforscht, breit diskutiert und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer rechtzeitig darauf vorbereitet werden.

Bei der Gestaltung von KI egal ob national oder europäisch muss immer die Frage im Mittelpunkt stehen, wie wir die neue Technologie zum Wohle der Gesellschaft nutzen können. Diese Frage stellt sich am Ende global. Die Potenziale von KI für die Lösung wichtiger gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen sind enorm. Ob verbesserte medizinische Diagnostik für die frühzeitige Erkennung von Krebs, intelligente Steuerung von Verkehrsströmen oder smarte Stromnetze für den schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien, in zahlreichen Bereichen kann KI einen positiven Beitrag leisten. Um diese Potenziale auch zu heben, brauchen wir eine bessere Innovationsförderung, europäische Vernetzung und eine klare Strategie, die Gemeinwohl und Nachhaltigkeit von KI ins Zentrum stellt. Um globale ethische Standards zu entwickeln, sprechen wir Grünen uns für einen KI-Gipfel analog zur Klimakonferenz aus.

Über die Autorin:

2017 zog Dr. Anna Christmann in den deutschen Bundestag für den Wahlkreis Stuttgart II ein. In der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist sie als Sprecherin für die Themen Bürgerschaftliches Engagement sowie Innovations- und Technologiepolitik zuständig. Frau Dr. Christmann ist Mitglied der Enquete Kommission Künstliche Intelligenz und Gast auf dem Podium beim Stuttgarter Zukunftssymposium Ethik und KI.