Vogt-Baatiche, Gudrun G.: Das virtuelle Unternehmen – Anforderungen an die Human Resources

Vogt-Baatiche, Gudrun G.: Das virtuelle Unternehmen. Anforderungen an die Human Resources, Dissertation der Universität St. Gallen. St. Gallen 1998. 260 S.

Themen: Arbeitskraftunternehmer, Betriebswirtschaftslehre, Managementkonzepte, Unternehmenskultur, Virtuelle Unternehmen.

Abstract
Diese Dissertation untersucht die mit dem Konzept des virtuellen Unternehmens verbundenen neuen Anforderungen an die betrieblichen Akteure („Human-Resources“). Behandelt werden die Anforderungen an selbstständige ProjektpartnerInnen (Freelancer), an das Management und die Rahmenbedingungen. Schließlich unternimmt sie eine ausführliche Beurteilung der Chancen, Risiken und potentiellen Nachteile für die AkteurInnen in virtuellen Unternehmen.

Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Charakteristika virtueller Unternehmen
3. Anforderungen an selbständige Projektpartner/innen
4. Anforderungen an das Management
5. Voraussetzungen für die Realisierung virtueller Unternehmen
6. Der Nutzen virtueller Unternehmen für die Anspruchsgruppen
7. Potentielle Nachteile virtueller Unternehmen für die Anspruchsgruppen
8. Schlußbewertung

Bewertung
Die Arbeit richtet sich sowohl an UnternehmerInnen, die sich mit der Virtualisierung ihrer Unternehmensstrukturen beschäftigen, als auch an Freelancer oder „Lebensunternehmer“, die freiwillig oder gezwungenermaßen den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Insgesamt ist die Arbeit eher eine Fleißarbeit denn die Schließung einer theoretischen Lücke wie eingangs postuliert. Die eigenen erwähnten praktischen Erfahrungen und Gespräche fließen nicht sichtbar in den Argumentationsgang ein.

Inhalt

1. Einführung
Explizites Ziel ist es, „theoretische Lücken aus der Perspektive der Human-Resources (zu) schließen“ (S.4). Die Ergebnisse basieren auf Literaturauswertung und Experten-Gesprächen sowie auf eigenen Einblicken in virtuelle Unternehmungen. Die Autorin definiert virtuelle Unternehmen als eine Organisation mit einem festen Kern und flexiblen Organisationsgrenzen. Auf der Grundlage ausgedehnten Outsourcings arbeiten Unternehmen und Freelancer projektförmig und zeitlich begrenzt zusammen. Anschließend übernehmen die Freelancer neue Aufgaben (u.U. in anderen virtuellen Unternehmen).

2. Charakteristika virtueller Unternehmen
Trotz der Unschärfe des Begriffs begreift die Autorin das virtuelle Unternehmen als neuartiges und eigenständiges unternehmerisches Organisationskonzept. Sie unterscheidet formale (Netzstruktur ohne sichtbare Hierarchie, Offenheit des Systems und projektbezogene Arbeitsweise) und inhaltliche Elemente (Kernkompetenz-Konzentration, „knowledge based company“-Trend, Kundenbedürfnis-Orientierung, Forderung nach lernender Netzorganisation) als prägende Merkmale virtueller Unternehmen. Formale Unterschiede gegenüber herkömmlichen Organisationsstrukturen sind auffälliger als inhaltliche. Entscheidend ist Selbständigkeit der ProjektpartnerInnen, die sich selbst managen müssen.

3. Anforderungen an selbständige Projektpartner/innen
Die Autorin spricht vom „mobilen Multipreneur“ (S.102 ff. Vgl. Thomas Gorman: Multipreneuring, 1996). Dieser muß zum einen Fähgkeiten wie Visionsfähigkeit und klare Selbstpositionierung auf der Basis von Kernkompetenzen (Unique Personal Selling Proposition) besitzen, zum anderen sich auf Kundenbedürfnisse ausrichten und seine eigene Leistung vermarkten können. Sowohl Teamfähigkeit und selbstverantwortliche termingerechte Abwicklung als auch die Aquisition neuer Projekte münden in dem Bild vom „nomadisierenden Lebensunternehmer“, der nicht mehr in einem engen Tätigkeitsfeld, sondern in ganzen Tätigkeitslandschaften unterwegs ist.

4. Anforderungen an das Management
Das Bild des Managers zeichnet sie als „Spinne im Netz“, der eine integrierende, impulsgebende Koordinationsinstanz ist und gemäß dem Subsidiaritätsprinzip handelt. Hohe Verantwortung bei gleichzeitig geringer formeller Macht benötigt demnach weniger Fachautorität, Unerbittlichkeit und Durchsetzungswille als vielmehr Schlüsselkompetenzen wie soziale Integrationsfähigkeit, Offenheit, Empathie und Konfliktlösungspotential für Koordinationsarbeit, Schaffung funktionierender Netzwerkstrukturen, Personalaquisition, Zielvereinbarung, und Erfolgsevaluation. Eine solche Unternehmenskultur ist mit einem selbst gewählten Freundeskreis im Sinne einer „Dorfkultur“ vergleichbar (S.155).

5. Voraussetzungen für die Realisierung virtueller Unternehmen
Voraussetzung für virtuelle Unternehmen ist die Überwindung von internen (Angst vor Machtverlust) wie externen (politische Rahmenbedingungen) Virtualisierungsbarrieren. Sie fordert eine formal adäquate Anpassung von Weiterbildungsangeboten (Virtualisierung) sowie eine entsprechende inhaltliche Ausrichtung.

6. Der Nutzen virtueller Unternehmen für die Anspruchsgruppen
Vogt-Baatiche sieht alle (Kunden, Unternehmen u. v.a. „Human Resources“) als Gewinner. Die mit der Veränderung einhergehende Qualifikation (Betonung persönlicher Stärke, Flexibilisierung, lebenslanges Lernen) erhöht die Arbeitsmarktfähigkeit: „Die ehemals dem festen Arbeitsplatz attribuierte (Schein-) Sicherheit wird ersetzt durch eine personenbezogene, durch die eigenen Fähigkeiten begründete Sicherheit“ (S.223).

7. Potentielle Nachteile virtueller Unternehmen für die Anspruchsgruppen / 8. Schlußbewertung
Negative Aspekte ergeben sich hauptsächlich aus Umstellungsschwierigkeiten (Ängste vor sozialer Isolation, Ausbeutung oder Auflösung des traditionellen Arbeitszeitschemas, Projektarbeit, Änderung der Karrierewege). Für das Management ist die Koordination von räumlich verstreut arbeitenden Projektmitarbeitern anspruchsvoller als von jederzeit präsenten Angestellten. Die Gefahr der Spaltung in qualifizierte und unqualifizierte Tätigkeiten ist auch nicht aufgehoben. Ungeachtet dessen überwiegen die Vorteile virtueller Unternehmen.

27.02.2001; KS