Reichwald, Ralf / Möslein, Kathrin: Nutzenpotentiale und Nutzenrealisierung in verteilten Organisationsstrukturen – Experimente, Erprobungen und Erfahrungen auf dem Weg zur virtuellen Unternehmung

Reichwald, Ralf / Möslein, Kathrin: Nutzenpotentiale und Nutzenrealisierung in verteilten Organisationsstrukturen. Experimente, Erprobungen und Erfahrungen auf dem Weg zur virtuellen Unternehmung, in: Albach, Horst / Specht, Dieter / Wildemann, Horst (Schriftleitung): Virtuelles Unternehmen. Zeitschrift für Betriebswirtschaft. Ergänzungsheft 2/2000. S. 117-136. ISBN 3-049-11628-1; ISSN 00444-2372. 98,00 DM.

Themen: Betriebswirtschaftslehre, Implementierung, (Knowledge-)Wissensmanagement, Personalmanagement, Telemanagement, Virtuelle Unternehmen.

Abstract
Der Beitrag zielt auf ein besseres Verständnis von Nutzenpotentialen virtueller Unternehmungen und deren organisatorische Realisierung zur Überwindung erfolgskritischer Barrieren. Am Beispiel experimenteller Pilotprojekte und Modellversuche mit neuen Formen verteilten Arbeitens, verteilter Wertschöpfungsprozesse und verteilter Strukturen der Organisation wird der Blick auf den ökonomischen Nutzen virtueller Unternehmungen gelenkt.

Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung. Die Vision der Virtualisierung
B. Nutzenpotentiale und Erwartungen: Ergebnisse theoriegeleiteter Überlegungen
C. Nutzenrealisierungen und Erfahrungen: Ergebnisse explorativer Erhebungen
D. Schlußfolgerungen für die Zukunftsentwicklung virtueller Unternehmensstrukturen

Bewertung
Theoretisch angeleitete Zusammenschau empirischer Begleitforschung, der es (medientheoretisch informiert) gelingt, weitergehende Implikationen der Informatisierung herauszuarbeiten.

Inhalt

In virtuellen Unternehmen überwinden Organisationen traditionelle Grenzen und es entstehen neue Formen verteilter Arbeits- und Organisationsgestaltung. Begeisterung und Unbehagen sind gleichermaßen konstatierbar, da vorausschauende Erkenntnisse über das Zusammenspiel organisatorischer Virtualisierung und ökonomischer Vorteilhaftigkeit nicht vorliegen.

A. Einleitung. Die Vision der Virtualisierung
Die Vision der virtuellen Unternehmung ist das Leitbild des gegenwärtigen tiefgreifenden Unternehmensstrukturwandels. Zukunftsangst und Fortschrittsglaube sind keine verlässlichen Indikatoren für verlässliche vorausschauende Erkenntnisse des Zusammenspiels von Nutzenpotentialen und Nutzenrealisierung.

B. Nutzenpotentiale und Erwartungen: Ergebnisse theoriegeleiteter Überlegungen
Bisher galten modulare, vernetzte und virtuelle Strukturen gegenüber streng hierarchischen Organisationsformen als diejenigen Beziehungen mit einem höheren quantitativen und qualitativen Kommunikations- und Koordinationsaufwand. In einer institutionenökonomischen, medien- und wissensökonomischen sowie diffusions- und wettbewerbstheoretischen Perspektive fragen die Autoren, warum sich Unternehmen und Verwaltungen auf verteilte Organisationsstrukturen einlassen sollten. Aufgrund einer Zukunftserwartung der tendenziellen Auflösung von Unternehmensgrenzen (Markt) und zunehmender Vernetzung wie Verteilung von Einzelakteuren, Unternehmenseinheiten und Unternehmen, begründet sich die Vorteilhaftigkeit primär aus den sinkenden Kosten raum-zeitlich verteilter Koordination.
Die fortschreitende Mediatisierung von Kommunikationsprozessen und das daraus resultierende Potential zur effizienten Nutzung von Wissensressourcen bilden die Antriebsfeder für die Herausbildung von verteilten Arbeits- und Organisationsformen. Die Unterscheidung von lokal- und personengebundenem „tacit knowledge“ und dem informationstechnisch leicht über Distanzen transferierbaren „explicit knowledge“ legt eine zunehmende Zusammenarbeit und Vernetzung verteilter Akteure nahe. Durch den Einsatz von IuK hat sich das Zusammenspiel von implizitem und explizitem Wissen in einem extremen Maß verändert. Während „explizites Wissen“ ohne großen Aufwand global verteilt werden kann, bleibt „implizites Wissen“ kaum greifbar und nur mit hohem Aufwand transferierbar. Die Autoren beschreiben die Umkehrung einer historischen Entwicklung. Bisher war „explizites Wissen“ in hohem Grad immobil (Karteikästen, Registraturen, Bibliotheken) und Aufgabenträger sowie Funktionen waren demselben relativ zur Mobilität menschlicher Wissensträger räumlich wie organistorisch zugeordnet. Das „implizite Wissen“ wird nunmehr zum Fixpunkt organisatorischer Gestaltung. Die ökonomische Konsequenz sind verteilte Arbeits- und Organisationsformen zu dessen flexibler Nutzung. Sie weisen die typischen Eigenschaften von Netzwerk- oder Kommunikationsinnovationen auf. Sie realisieren ihren Nutzen erst im Verbund, der allerdings kaum meßbar ist.

C. Nutzenrealisierungen und Erfahrungen: Ergebnisse explorativer Erhebungen
Reichwald/Möslein betrachten die mit den jeweiligen Strategien verteilter Arbeits- und Organisationsformen verbundenen Hürden der Realisierung.
Bei der „Arbeitplatzsstrategie“, bei der einzelne Arbeitsplätze in den häuslichen Bereich, zum Kunden, in Telecenter etc. verlagert werden, werden die bestehenden Prozeß- und Organisationsstrukturen beibehalten. Allerdings läßt sich aus den bisherigen Pilotprojekten ein betriebswirtschaftlicher Nutzen kaum nachweisen.
Bei der „Prozeßstrategie“, bei der klassische Prozeßabläufe hinterfragt und mittels telekooperativer Arbeitsorganisation neu geordnet werden, müssen Führungsverhalten und Führungsinstrumente verändert werden. Die kritische Hürde besteht in der Bewältigung des notwendigen organisatorisch-technischen Wandels und damit verbundener Widerstände als Folge zwischenmenschlicher oder organisatorischer Inkompatibilitäten, ohne deren Überwindung ein betriebswirtschaftlicher Nutzen nur schwer erzielbar ist.
Die „Wettbewerbstrategie“ (Modularisierung, Netzwerkbildung oder Virtualisierung) ist mit der Hürde der Sozialverträglichkeit konfrontiert. Hier liegt die Einsicht zugrunde, daß flexible Strukturen gelernt und gelebt werden müssen und ihre Einführung nur Schritt für Schritt erfolgen kann. Die „empfundene Sozialverträglichkeit“ (S.130) ist der Diffusionsmotor für verteilte Arbeits- und Organisationsformen.

D. Schlußfolgerungen für die Zukunftsentwicklung virtueller Unternehmensstrukturen
Für die Autoren ist ein gesicherter Erkenntnisstand aus den Ergebnissen der betrachteten Pilotprojekte nicht ersichtlich. Ungeachtet dessen halten sie allgemeinere Schlußfolgerungen für möglich. Sie betonen die Verschiedenartigkeit der jeweiligen betrieblichen Umgebungen und plädieren für situativ differenzierte Konzepte und Umsetzungsschritte.

24.02.2001; KS