Opaschowski, Horst: Generation @ – Die Medienrevolution entlässt ihre Kinder – Leben im Informationszeitalter

Opaschowski, Horst: Generation @ – Die Medienrevolution entlässt ihre Kinder: Leben im Informationszeitalter, British-American Tobacco, Hamburg 1999. 221 Seiten.

Themen: Arpanet, E-Commerce, Reizüberflutung, Telearbeit, Telelearning, Zeitwohlstand.

Abstract
Der Medienpädagoge reflektiert die Lebensbedingungen der ersten mit Computern aufgewachsenen Generation.

Inhaltsverzeichnis
(1) Einleitung
Nomaden im Netz

(2) Mediengenerationen
Fenster-Gucker, TV-Zuschauer und PC-Freaks

(3) Total digital — völlig normal?
Die multimediale Zukunft

(4) Die Medienrevolution entlässt ihre Kinder
Die Mediatisierung des Lebens und ihre Folgen

(5) Gläserne Konsumenten
Der PC — dein Freund und Speicher

(6) Surfer, Chatter, Mailer
Leben im Informationszeitalter

(7) Multiple Identitäten
Leben mit vielen Facetten

(8) Kompetente User
Leitbilder der Informationsgesellschaft

(9) Jahrtausendwende
Was kommt danach?
Bewertung
Analysen und Prognosen mit „Bodenhaftung“.

Inhalt

(1)
Einleitend spricht Opaschowski von Einzelheiten aus der Geschichte des Internet: 1969 als ARPANET im Auftrag des Pentagon an der University of California in Los Angeles entwickelt mit der „Packet-Switching“-Technik, durch die Daten in adressierte Pakete zerlegt werden, die am Zielpunkt wieder zusammengesetzt werden; 1983 in das (militärische) Milnet und das (zivile) Internet geteilt, wurde letzteres von der U.S. National Science Foundation (NSF) verwaltet und gewartet und für Forschungszwecke zur weiteren Vernetzung freigegeben. „Internet“, auch dieses unbekannte Detail erwähnt Opaschowski, ist eigentlich die Abkürzung für internet-working. (S. 15)
Den Autor interessiert nach eigener Aussage die Wirkung dieser vernetzten Welt auf die Privatsphäre der jungen Generation, die in diese Welt hineingewachsen ist. „Alles erleben, nichts verpassen“, sei eine Grundhaltung in dieser Generation. Ihre Lebenskultur könne (mit Tapscott 1998) durch die Begriffe Unabhängigkeit, Offenheit, Toleranz, Meinungsfreiheit, Unmittelbarkeit gekennzeichnet werden. (S. 23)

(2)
Von Mediengenerationen kann man seit den 1950er Jahren sprechen, als das TV-Massenpublikum entstand. Von der ersten TV-Generation (50er – 70er) wurde gesagt, dass sie „eine Art Beamtenverhältnis zum Fernehen“ hatte (Zit. Uli Potovski, S. 26), soll sagen, dass sie bestimmte Programme wie Tagesschau oder Sportstudio regelmäßig ‚pflichtgemäß‘ absolvierte. Bevor TV ein übliches Fenster zur Welt wurde, war — man vergisst es leicht — Fenstergucken eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. In den 50er bis 70er Jahren wurde TV dann zum „Leitmedium“ des Freizeitverhaltens, allerdings auch zum „Leidmedium“; denn Phänomene der TV-Abhängigkeit traten auf und wurden diskutiert, auch ein Gefühl von Zeitverschwendung durch vieles Fernsehen machte sich breit. (S. 29 f)
Die 80er und 90er Jahre änderten sich die Fernsehgewohnheiten deutlich. Bewusstes Abschalten wurde charakteristisch und, bedingt auch durch die Zunahme der Sender (Privatfernsehen) und das Aufkommen der Fernbedienung, das Hopping und Zapping, indem zwischen verschiedenen Sendungen hin- und hergeschaltet wird oder bestimmte Sendungen (insb. Werbespots) ‚abgeschossen‘ werden — für Opaschowski Zeichen stillen Protests. Doch sieht er diese Änderungen auch als eine Tendenz weg vom passiven TV-Konsum hin zu einem aktiveren Umgang mit diesem Medium.
Die Zukunft des Fernsehen liege darin, „Fernsehen nicht mehr als Fernsehen zu betrachten“ (Zit. Nicholas Negroponte, S. 41), weil die Grenzen zwischen TV und PC immer fließender würden. Einen privaten PC haben derzeit 28 % der Bundesbürger, wobei etwa die Hälfte ihn regelmäßig benutzt (S. 42). Das Profil des heutigen PC-Users beschreibt Opaschowski so: „Eher männlich, jugendlich und gebildet.“ (S. 43) Dabei räumt der Autor mit dem „Märchen vom einsamen Computerfreak“ auf; er kann belegen, dass die Computer-Begeisterten doppelt soviel Sport treiben wie die übrige Bevölkerung und auch deutlich mehr unterwegs sind. Nicht durch Vereinsamung seien sie gefährdet, eher dadurch, sie wegen ihrer vielen Interessen nicht zur Ruhe kommen. (S. 43 f)
Ernster nimmt Opaschowski das Wort von der Spaltung in ‚User‘ und ‚Loser‘ oder, wie auch gesagt wurde, in die mediale Klassengesellschaft; vor allem befürchtet er, dass derzeit jedenfalls die ältere Generation vom Gebrauch der neuen Medien ausgegrenzt wird. Allerdings sieht er auch Auswege. Erstens, dass die neuen Systeme so einfach werden, dass jeder sie nutzen Kann. Zweitens, dass durch die Entwicklung von Lernprogrammen die Menschen auf ihren jeweiligen Gebieten Medienkompetenz erlangen können. (S. 52) Das ganze Augenmerk sollte nach Opaschowski darauf gelegt werden, dass die neuen Systeme von den Leuten wirklich angenommen werden können. (S. 55)

(3)
Total digital — völlig normal? So überschreibt Opaschowski den dritten Abschnitt. Der Autor zitiert zunächst eine eigene Prognose aus dem Jahr 1994, in der er sagte: „Das interaktive Fernsehen wird sich in diesem Jahrhundert nicht mehr durchsetzen. … Die Macher haben die Rechnung ohne die Mitmacher gemacht.“ (S. 58)
Er fragt dann, wie die Prognosen für Arbeitsplätze aussehen, die durch die neuen Medien ge-schaffen werden könnten, und stellt fest, dass die Prognosen weit auseinander gehen; unterscheidbar seien euphorische, pragmatische, skeptische und pessimistische Prognosen. Die Euphoriker (etwa aus der elektronischen Industrie) würden in absehbarer Zeit drei Millionen derartige neue Arbeitsplätze für die Bundesrepublik verheißen. Die Pragmatiker im Bundeswirtschaftsministerium rechneten mit einem jährlichen Zuwachs von etwa 100 000, die im Technologieministerium von etwa 20 000 solcher Arbeitsplätze für die kommenden Jahre in der Bundesrepublik. Die Skeptiker würden entsprechende Rechnungen mit plus/minus Null aufmachen. Und die Pessimisten, angeführt von Jeremy Rifkin („Das Ende der Arbeit“), würden einen weiteren massenhaften Abbau der Arbeitsplätze prognostizieren. (S. 59 f)
Als größten Konkurrenten der informations- und kommunikationstechnologischen Branchen sieht Opaschowski die außerhäuslichen Szenen der Erlebnisindustrien, sofern deren Attraktivität weiter wächst.
Was die Prognosen einer ‚totalen Digitaisierung‘ des Menschen angeht, etwa in der Form, dass sich zwischen Armbändern, Ohrringen und unter Vermittlung von Satelliten die Kom-munikation zwischen den Menschen abspielen werde, ist der Autor sehr zurückhaltend — vielleicht einmal, sagt er, vielleicht auch nicht. Für die nahe Zukunft als realistisch erscheinen ihm, hier wieder gestützt auf Negroponte, Systeme, die dem Menschen helfen können, die Medienwelt zu durchforsten; zum Beispiel ein neuartiger Videorecorder, der folgendes leistet: ‚während du unterwegs warst, habe ich 5000 Fernsehstunden für dich aufgezeichnet und sie unter deinen Gesichtspunkten auf 40 Minuten zusammengeschnitten.‘ (S. 71)

(4)
Die Medienrevolution entlässt ihre Kinder — womit bestimmte Erfahrungen schon gemacht sind. Was passiert eigentlich, fragt Opaschowski, wenn der PC dauerhaft im Kinderzimmer wirksam ist und den Kindern große Datenströme vermittelt. Dem Kind, so die Antwort, bleibt nichts anderes übrig, als das Scannen zu lernen: „Scannen — damit kann sich das Kind gegen das Zuviel der Reize wehren, indem es nur noch das wahrnimmt, was ihm persönlich wichtig erscheint. Alles Un-Wichtige wird einfach ausgeblendet und für Langatmiges bleibt einfach keine Zeit.“ (S. 77)
Für Kinder, die so aufwachsen, sei eine „Kurzzeit-Konzentrations-Kultur“, auch KKK genannt, charakteristisch, mit sprunghaften Wechseln in allen Lebensbereichen. Darin sieht Opaschowski eine Gefahr, die nämlich, dass eine wachsende Zahl von Menschen nicht mehr in der Lage sein werden, sich über längere Zeit hinweg mit den gleichen Dingen zu beschäftigen. (S. 78)
Die Reizüberflutung, dies ist für den Medienpädagogen eine eindeutig belegte Erfahrung, ist in der mit Computern aufgewachsenen Generation ein größeres Problem als in der voran-gegangenen. Die Folge hiervon sei eine deutliche Zunahme aggressiven Verhaltens. (S. 84)
Generell empfiehlt Opaschowski, „attraktive Alternativen zum Medienkonsum“ zu erhalten bzw. zu schaffen, Räume, in denen der unmittelbare Umgang mit Menschen die Hauptrolle spielt. (S. 88 ff)

(5)
Gläserne Konsumenten. Einige Informationen zum Vernetzungsgrad der bundesrepublikanischen Bevölkerung und den Tendenzen: Mehr als die Hälfte der Haushalte sind TV-verkabelt, davon ein wesentlich größerer Anteil in Großstädten. Da die weitere Verkabelung im Wesentlichen kleinere Ortschaften betrifft, ist die Verkabelungsgeschwindigkeit sehr gering geworden; jährlich kommen nur noch zwei Prozent der Haushalte hinzu. (S. 99 f)
Anders steht es mit dem Sättigungsgrad bei der Nutzung von Computern. 38 % der berufs-tätigen Bevölkerung verwenden in ihrer täglichen Arbeit einen Computer, das entspricht 19 % der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren; die Tendenz ist hier klar steigend, doch wahrscheinlich mit abnehmender Geschwindigkeit, weil das Marktpotenzial von (eher ärmeren, ungebildeteren und älteren) Bevölkerungskreisen gebildet wird, für die der Computer in wesentlich geringerem Maß ein Lebenselexier sein wird als bei denen, die derzeitig Computer benutzen. Ähnlich dürften die Tendenzen beim beruflichen Gebrauch des Internet aussehen. (S. 101 f) Und bei der privaten Nutzung des Internet? Hier sieht Opaschowski eine langsame, aber stetige Steigerung. 1997: 2 %, 1998: 4 %, 1999: 6 %, 2000: ca. 9 %, „was aber bis zur Mehrheits-fähigkeit letztlich eine Frage von Jahrzehnten und nicht nur von Jahren ist.“ (S. 103) Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Einschätzung von Opaschowski, dass in den nächsten Jahren die Internet-Angebote weiterhin schneller wachsen werden als die Zahl der Nutzer.
Auf diesem Hintergrund stellt der Autor seine Fragen zum „gläsernen Konsumenten“ aus der Sicht des Datenschutzes. Viele Fragen seien hier noch ungeklärt, zum Beispiel:
— Darf eine Versicherung ihre Daten einer selbständig beschäftigten Telearbeiterin überlassen?
— Darf eine Telefongesellschaft Daten eines Anrufers weitergeben, der eine Kundin telefonisch belästigte?
— Muss ein Mitarbeiter einverstanden sein, wenn externe Kooperationspartner sein Leistungsprofil erfahren wollen? (S. 103)
In der Einschätzung des faktischen Datenschutzes seien die Bundesbürger sehr unsicher. Um hier Klarheiten zu schaffen, müssten in Zukunft folgende Fragen beantwortet werden:
* Wer behält die Übersicht über den Datenschutz?
* Wer trägt die Verantwortung?
* Wer überprüft die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung?
* Wo und wie können die Betroffenen ihren Anspruch auf Schadensersatz einlösen? (S. 111)
Gerade bei der letzten Frage wüssten die Bürger zumeist nicht, was zu tun ist; nur 7 % gaben bei einer Befragung an, sich in einem Schadensfall an den Datenschutzbeauftragten zu wenden.
(S. 113)
Unter den Strategien zu einem funktionierenden Datenschutz sieht Opaschowski die beiden folgenden:
1. Die Schaffung eines Datenschutz-Gütesiegels, das an Informationsanbieter vergeben werden soll, die sich durch hohe Datenschutzfreundlichkeit auszeichnen.
2. Spezielle Auswertungen von Kunden-Dateien mit dem doppelten Ziel, dass Anbieter ihr Angebot noch besser an den Bedürfnissen der Kunden ausrichten können und diese in den Genuss eines höheren Sicherheitsstandards kommen. (S. 115 f)

(6)
Surfer, Chatter, Mailer , dazu eine aktuelle Statistik zu den Wünschen der Bundesbürger, wie sie das Internet nutzen wollen:
Behördenkontakte 48 %
Arbeitsplatzangebote 38
Fortbildungsmöglichkeiten 38
Gesundheitsberatung 29
E-Mail 28
Diskussion mit Politikern 21
(S. 122)

E-Commerce schätzt Opaschowski folgendermaßen ein. Hier stünden wir erst am Anfang einer Entwicklung, allerdings: „Das Kaufen ohne Kaufhaus wird es in absehbarer Zeit als Massenbewegung nicht geben. Potentielle Online-Shopper bleiben auch in Zukunft faktische Erlebniskonsumenten. Die meisten Web-Surfer werden sich in Netz informieren und dann wie gewohnt im Shoppingcenter konsumieren. Und nur gelegentlich wird online geordert und gekauft.“ (S. 125)

Auch Teleteaching und Telelearning sieht der Autor erst in den Anfängen. Nach den bisherigen Experimenten zeichne sich ab, dass der PC dabei als Lehrbuch, als Auskunftsterminal und als Kommunikationszentrum dienen wird. (S. 127)
Was uns auch noch bevorstehe, sei die Entdeckung der Informationsgesellschaft als Zeitfalle; viele Internet-User würden jetzt schon das www als ‚weltweit warten‘ verspotten. Bis zu einem gewissen Grad könne und werde man dem durch eine drastische Erhöhung der Transportgeschwindigkeit im Internet begegnen; und dann? Dann helfen nur noch sinnvolle Arbeitsmethoden im Netz. (S. 129)
Im übrigen hält der Autor es für wichtig, sich vom „Erreichbarkeitswahn“ zu befreien, wozu auch die Fähigkeit gehöre, rigoros „abschalten“ zu können. Wer es nicht nötig habe, permanent erreichbar zu sein, habe eine besondere Art von Wohlstand, den „Zeitwohlstand“. (S. 131)

(7)
Multiple Identitäten werden geradezu kultiviert in einer neuen Form von virtuellen Gesellschaftsspielen, die dem Motto folgen „man ist der, für den man sich ausgibt.“ (Turkle 1998). Auch in den Chatrooms, sagen die Kenner, hat sich das Interesse und die Freude daran, sich in fremden Rollen zu präsentieren, ausgebreitet.
Diese Haltung passt für Opaschowski zu der generellen, das Leben zu inszenieren, alles zum Theater zu machen. Die Kehrseite und Gefahr davon ist für ihn, dass Rollen gespielt werden, die nicht im Individuum verwurzelt sind, mit der Folge, dass man sich verliert.
Ähnlich sieht es Opaschowski mit der neuen hohen Tugend der Flexibilität: „Wenn Flexibilität als ‚die‘ Tugend der Wandlungsfähigkeit gefeiert wird, dann müssen Orientierungslosigkeit und Bindungslosigkeit geradezu zu neuen gesellschaftlichen Werten werden. (S. 143)

(8)
Kompetente User mit dem Untertitel „Leitbilder der Informationsgesellschaft“ heißt der nächste Abschnitt. Er beginnt mit der Frage, was der Mensch zum Glücklichsein braucht. Geantwortet wird mit Fontane: „Ein gutes Buch, ein paar Freunde, eine Schlafstelle und keine Zahnschmerzen!“
Bücher: Ihr Abgesang habe sich nicht bewahrheitet; vielmehr sei dieses Kerngeschäft der Medienkonzerne durch die neuen Medien noch intensiviert worden, und in der Bevölkerung sei die Zukunftsfähigkeit des Mediums Buch in den letzten Jahren sowohl in der Beurteilung als auch in der faktischen Nutzung zunehmend positiv gesehen worden. (S. 154 f) Und doch ist nach Opaschowski auch dieses Medium einem deutlichen Wandel unterworfen. „In Zukunft wird man schneller lesen als heute. Zugleich werden Bereitschaft und Fähigkeit sinken, längere Texte zu lesen.“ (S. 156) Berichtet wird von Langzeitforschung zum Lesen in den Niederlanden. Hier hat sich ergeben, dass von den 50er bis zu den 90er Jahren trotz steigender allgemeiner Bildung die Lesezeit um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist. Auch werden zwei Ergebnisse einer durch die Stiftung Lesen geförderten großen Vergleichsstudie aus den Industrienationen genannt:
— Die Schere zwischen guten und schwachen Lesern öffnet sich weiter.
— Das Lese-und Schreibniveau sinkt, ebenso der Standard der Lesefähigkeit. (S. 157)
Telearbeit: Seit Tofflers Zukunftsprognose von 1980 sei Telearbeit ein vieldiskutiertes, aber wenig realisiertes Phänomen. Auch Zukunftsprognosen aus der Computerbranche, in denen für das Jahr 2000 in Deutschland 800 000 Telearbeitsplätze erwartet worden waren, hätten sich als viel zu hoch gegriffen erwiesen; 200 000 seien es faktisch. Zudem seien viele von diesen nicht der reine Typ von Telearbeit, sondern die sogenannte alternierende Telearbeit, die oftmals nur den Charakter einer gesteigerten Mobilität des Arbeitenden habe. „Das prognostizierte Heer von Telearbeitern wird noch lange auf sich warten lassen.“ (S. 158)
Trotz der eher skeptischen Einschätzung der Telearbeit, auch was humane Arbeitsbedingungen angeht („eher zusätzlicher Stress“), erwartet Opaschowski, dass im 21. Jahrhundert speziell für Texter und Kontakter, für Buchhalter und Sekretäre neue Arbeitsmöglichkeiten in virtuellen Unternehmen entstehen werden.
Mit zwei Argumenten setzt er sich näher auseinander. Erstens mit dem Argument, dass sich für Telearbeiter(innen) Beruf und Kindererziehung besser vereinbaren ließen; dies trifft für Opaschowski nur zu, wenn die Kinderbetreuung (etwa an Kindermädchen) delegiert werden kann. Das zweite Argument betrifft die Entlastung des Autoverkehrs aufgrund von Telearbeit. Hierzu meint er, dies träfe für die Rushhours zweifellos zu, doch werde dieser Effekt möglicherweise kompensiert durch eine gesteigerte Mobilität nach Feierabend; denn diese Art der Mobilität sei bei Computer-Benutzern nachgewiesenermaßen besonders hoch. (S. 161 ff)
Prognosen, die nur auf technischer Basis durchgeführt werden, betont Opaschowski, können in die Irre führen, weil das psychologische Verhalten der Menschen dem technisch Machbaren widersprechen kann. Am wichtigsten ist dem Autor, dass Machbarkeit und Benutzbarkeit von Systemen nicht unverhältnismäßig zueinanderstehen; in diesem Sinne fordert er als Leitbild für die Informationsgesellschaft den „Kompetenten User“.

(9)
Jahrtausendwende — was kommt danach? In der jungen Generation gäbe es eine scheinbare Abkehr vom sozialen Engagement, besonders deutlich ausgeprägt in Deutschland. In der Generation der „Hegonisten“ — Hedonisten + Egoisten — stünden die Zeichen auf Spaß, wobei Opaschowski meint, dies bedeute mehr als nur ‚Fun‘, nämlich auch Freude, Lust, Motivation und Sinnhaftigkeit. Mit auferlegten Pflichten oder auch Appellen an Solidarität und Nächstenliebe wolle diese Jugend nichts zu tun haben, viele assoziierten dies mit „lästiger Pflicht“ oder mit „karikativem Mief“. (S. 169 f)
Opaschowski sieht diese Jugend allerdings nicht als ‚unsozial‘ an; sie sei hilfsbereit, wo sie im Helfen Freude erfahren kann und wichtig sei den Jugendlichen, die Art, Intensität, Dauer der Hilfeleistungen selbst zu bestimmen.
Er sieht hier — nach der Jahrtausendwende — eine „neue Kultur des Helfens“ heraufziehen. „Der neue Helfer-Typus lebt … eine Kultur des Helfens, die deutlich zwangloser, zeitlich begrenzter, inhaltlich offener und zugleich weniger von einem aufgeladenen Helferpathos geprägt ist. An die Stelle der einmaligen Solidargemeinschaft treten eher multiple Netzwerke mit mehr persönlichem Freiheitsspielraum und weniger Gruppenzwang oder traditioneller Bindungspflicht. Persönliche Freiheitsliebe geht vor Bindungspflicht.“ (S. 175) Der amerikanische Soziologe Amitai Etzioni, der den sogenannten Kommunitariern zugerechnet wird, habe diese neue Kultur in dem „Ich + Wir-Paradigma“ ausgedrückt, in dem es um das Ausbalancieren von individueller und gemeinschaftlicher Sinnhaftigkeit geht.

16.11.2001; MF