Herold, Martin / Landherr, Birgit: Fraktale Unterrichtsorganisation für selbstorganisierte, kooperative Lernprozesse

Herold, Martin / Landherr, Birgit: Fraktale Unterrichtsorganisation für selbstorganisierte, kooperative Lernprozesse, Dissertation Tübingen 2000, UB Tübingen N12<512355591 021. 273 Seiten.

Themen: Fraktaler Unterricht, kooperatives Lernen, Lehrumgebung, Lernumgebung.

Abstract
Es werden die Prinzipien der Fraktale (aus der fraktalen Geometrie bzw. der Theorie der fraktalen Organisation) dargestellt und in ersten Ansätzen auf das Unterrichtsgeschehen übertragen.

Inhaltsverzeichnis
1. Begriffsklärungen
2. Reformpädagogik
3. Veränderte Rahmenbedingungen
4. Lernpsychologische Begründung
5. Grundlagen der fraktalen Organisation
6. Die Wandlung der Lehrerrolle
7. Vorbereitung und Schulung der Lehrenden
8. Bewerten, Fördern, Beurteilen
9. Einstieg in die fraktale Unterrichtsorganisation
10. Unterrichtsbeispiele
11. Die fraktale Unterrichtsorganisation im Netz der Veränderungen
12. Weiterentwicklung und Vision

Bewertung
Relevant für die Organisation (multi-) medialer Lernprozesse.

Inhalt

Zentrale Begriffe der Dissertation sind das Selbstorganisierte Lernen, bei dem der Lehrer als Berater mehr oder weniger in den Hintergrund rückt, und das Selbstgesteuerte Lernen, in dem der Lerner seinen Weg durch den Stoff weitgehend eigenständig findet, beides, wie betont wird, im gegebenen Schulsystem noch nicht realisierbare Idealvorstellungen (Punkt 1.)

Es folgt (2.) ein Gang durch die Reformpädagogik des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wo Ansätze einer Pädagogik „vom Kinde aus“ von Bedeutung waren, dann (3.) jener Zeit gegenüber veränderte Rahmenbedingungen in den drei letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, gekennzeichnet durch einen mit „Pluralisierung der Lebensformen“ umschriebenen Wertewandel. Es kamen (4.) in dieser Zeit lernpsychologische Begründungen für hochgradig individualisierten Unterricht auf, die allerdings an der gegebenen Organisation des Bildungswesens ihre Grenze fanden.

In Punkt 5. nun wird ein neuer Ansatz vorgestellt, der diese Organisationsbarrieren überwinden soll: die fraktale Organisation, die zunächst allgemein (noch nicht auf den Unterricht bezogen) behandelt wird; ein näherer Blick darauf ist hier angebracht. In der Form des „fraktalen Unternehmens“ ist diese Begrifflichkeit von Warnecke (1993) ausgearbeitet worden, mit den Prinzipien (a) der Selbststeuerung, (b) der Funktionsintegration (insbesondere von planender und ausführender Tätigkeit) und (c) der Eigenverantwortlichkeit der Fraktal-Mitglieder. Das „Fraktal“ geht allerdings auf den zeitgenössischen französischen Mathematiker Beniot Mandelbrot zurück, der sich für natürliche Gebilde interessierte, in denen das sichtbar ist, was er Selbstähnlichkeit nannte. Gemeint ist damit das Phänomen, dass in einem gewissen Spektrum der Annäherung an ein Gebilde ein größerer und kleiner Ausschnitt desselben in seiner Struktur ähnlich bleibt (so bei Wolken, beim menschlichen Gefäßsystem, bei Farnzweigen, beim Quellgebiet eines Flusses). Wo Selbstähnlichkeit herrscht, so wird gefolgert, muss das betreffende Gebilde in seiner Genese von einer Grundeinheit in gleichartige Untereinheiten geteilt (fraktiert) worden sein. Ebenso kann man sagen, dass in jedem Teil die Gesamtstruktur — jedoch nicht als identische, sondern als ähnliche — erscheint.

Damit die fraktale Organisation im Unterricht Platz greifen kann, muss den Autoren zufolge eine Wandlung der Lehrerolle (6.) in Gang gekommen sein, die der Grundtendenz nach von der Rolle des Wissensmonopolisten in die Rollen des Beraters, Moderators, Coach zerfällt; entsprechend tangiert dieser Wandel die Rolle des Lerners (Schüler). In welchen Formen Methodentraining für das künftige Setting stattfinden kann, wird dann (7.) ausgeführt, danach (8.) Mittel zur Beurteilung dessen, was beim Lernen erreicht wird; hier ist das sogenannte Portfolio von Bedeutung, ein eigenverantwortlich vom Schüler geführtes Nachweisheft für individuelle Lernleistungen.

Etwas näher wiederum ist Punkt 9. anzuschauen, der „Einstieg in die fraktale Unterrichtsorganisation“. Grundsätzlich wird von einer Stammgruppe ausgegangen, die (als Fraktal erster Ordnung) in Expertengruppen und noch weiter (als Fraktal zweiter Ordnung) in Kleingruppen zerfallen kann. Betont wird, dass die jeweiligen Lernziele genau beschrieben werden müssen, ebenso Arbeitsaufträge, die zum Beispiel einer Expertengruppe gegeben werden.

Es folgen (10.) Unterrichtsbeispiele aus Biologie, Wirtschaftslehre und Mathematik, anschließend (11.) eine Reflexion über die gleichzeitigen Veränderungen im gesamten Feld der Lernumgebung. Abschließend (12.) werden Gedanken zur Impementierung des fraktalen Unterrichts geäußert, darunter die erwünschten Grundsätze, dass (a) die Betroffenen informiert und (b) im Fall von Entscheidungen beteiligt werden. Die fraktale Organisation, heißt es am Ende, biete die idealen Voraussetzungen, die neuen Medien in das Geschehen einzubeziehen; wo dies geschieht, könne man von „virtuellen Fraktalen“ sprechen, die den gleichen Gesetzmäßigkeiten gehorchen wie die vor Ort gebildeten.

16.11.2001; MF