Heller, Michael: Telearbeit – Die anspruchsgruppenorientierte Betrachtung einer flexiblen Beschäftigungsform

Heller, Michael: Telearbeit. Die anspruchsgruppenorientierte Betrachtung einer flexiblen Beschäftigungsform, Dissertation der Universität St. Gallen. St. Gallen 1996. 247 Seiten.

Themen: Akzeptanz, Arbeitswissenschaft, Arbeitskraftunternehmer, Betriebswirtschaftslehre, Humanisierung der Arbeit, Telearbeitsformen, Unternehmenskultur, Unternehmensstrukturen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, virtuelle Unternehmen, Wissensmanagement.

Abstract
Die Dissertation geht von der Prämisse aus, daß das Potential von Telearbeit erst dann richtig eingeschätzt werden kann, wenn eine „ganzheitliche“ Betrachtungsweise Raum gewinnt, die die Interessen aller Anspruchsgruppen eines Unternehmens bei Einführung und Umsetzung berücksichtigt. Ziel der Arbeit ist, die Notwendigkeit dezentraler Arbeitsstrukturen aufzuzeigen.

Inhaltsverzeichnis
O. Einführung
1. Telearbeit im Kontext sich wandelnder Umfeldbedingungen
2. Telearbeit – eine flexible Beschäftigungsform
3. Nutzen der Telearbeit ganzheitlich betrachtet
4. Zusammenfassung und Schlußfolgerung

Bewertung
Diese Dissertation mag der „Höhepunkt der akademischen Ausbildung“ (Vorwort) des Autors gewesen sein, nicht aber der Telearbeitsforschung. Sie liest sich an vielen Stellen wie ein Pflichtenheft der Faktoren, die bei der Einführung von Telearbeit abgearbeitet werden müssen. Die Arbeit will die Einführung von Telearbeit schmackhaft machen, basiert aber nicht auf einer eigenen Untersuchung, sondern auf der Zusammenstellung von Literatur, deren Auswahl nicht begründet oder offengelegt wird. Für die Vergegenwärtigung der zu beachtenden Aspekte in der Praxis sehr hilfreich, der wissenschaftliche Ertrag ist jedoch fraglich, zumal die Zusammenfassung des Autors nur eine Wiederholung der Fragestellung zu bieten hat.

Inhalt

O. Einführung
Hierzu ist eine Sensibilisierung für sich ändernde Umfeldbedingungen, die Kenntnis von Kritierien für die Einführung und Umsetzung (indviduelle Arbeits- und Arbeitsplatzgestaltung, Abstimmung von Strategie, Struktur und Kultur sowie von Führung, Kontrolle, Kommunikation, Information und Zusammenarbeit) und die Darlegung einer anspruchsgruppenorientierten Nutzenbetrachtung von Telearbeit erforderlich. Die Arbeit wertet die vorliegende Forschungsliteratur und die Ergebnisse bereits durchgeführter empirischer Studien aus. Der Autor führte Experteninterviews mit Vertretern aus Wirtschaft und Beratung durch.

1. Telearbeit im Kontext sich wandelnder Umfeldbedingungen
Ausgehend von der zunehmenden quantitativen Bedeutung von Telearbeit in Europa referiert Heller die zentralen gesellschaftlichen Entwicklungstrends (Wertewandel, demographischer Wandel und Arbeitsmarktveränderungen, technologischer und ökologischer Wandel) in ihrer Bedeutung als Einflußfaktoren für die Verbreitung von Telearbeit. Er verknüpft diese Beschreibung mit einer Aufforderung zur Humanisierung der Arbeit.

2. Telearbeit – eine flexible Beschäftigungsform
Nach der Abgrenzung verschiedener Formen von Telearbeit beschreibt Heller die Gestaltungsanforderungen an die Arbeit, die strategische Unternehmensführung und die Organisation. Insbesondere arbeitswissenschaftliche Beurteilungskriterien (Ausführbarkeit, Schädigungslosigkeit, Beeinträchtigungsfreiheit, Persönlichkeitsförderlichkeit), Arbeitsgestaltung und Arbeitsinhalte (Tätigkeitsspielraum, Komplexität und Lernchancen, Variabilität und Aktivität, Kooperation und Kommunikation, „Ganzheitlichkeit“ und „Sinnhaftigkeit“) sowie die Arbeitsbedingungen und die Ergonomie (Arbeitsort, Arbeitszeit und Arbeitsmittel) erörtert der Autor. Heller sieht die Berücksichtigung dieser Erkenntnisse als Grundlage für die Maximierung des Nutzens von Telearbeit an. Er identifiziert eine ganzheitliche Unternehmensvision, eine förderalistische Unternehmensstruktur und eine vertrauensorientierte Unternehmenskultur als Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung von Telearbeit.

3. Nutzen der Telearbeit ganzheitlich betrachtet / 4. Zusammenfassung und Schlußfolgerung
Zur ganzheitlichen Erfassung des Nutzens der Telearbeit wählt der Autor das Anspruchsgruppenkonzept bzw. den Stakeholder-Ansatz. Dieses Konzept unterscheidet Unternehmen, direkte Anspruchsgruppen und indirekte Anspruchsgruppen.
Für die Nutzenmessung und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung analysiert er die Telearbeit als substitutive, komplementäre und innovative Arbeitsform. Den Nutzen für das Unternehmen betrachtet Heller mittels der Kategorien Flexibilität (personal, organisational, marktlich, flexibilitätshemmende Faktoren), Qualität (Arbeits- und Produktqualität, Produkt- und Dienstleistungsqualität, qualitätsmindernde Faktoren), Produktivität (Steigerung auf Mitarbeiterebene, auf Unternehmensebene, produktivitätshemmende Faktoren) und Ökonomität (Personal- und Sozialkosten, Anlage- und Gerätekosten, Telekommunikationskosten, Reise- und Transportkosten, Standort-, Raum- und Arbeitsplatzkosten, Qualifizierungs-, Koordinations- und Organisationskosten). Da die Erfassung quantitativer Faktoren von der jeweiligen Situtation der Organisation sowie der Form der Telearbeit abhängt, läßt sich meist nur der qualitative Nutzen beschreiben.
Der Nutzen für die direkten Anspruchsgruppen ist sehr differenziert und bezieht sich auf die Steigerung des Unternehmenserfolgs (Eigentümer), auf Telearbeit als Führungsaufgabe und als Mittel zur Erreichung unternehmerischer Ziele (Management). Telearbeit bringt Nutzen für die Mitarbeiter infolge der veränderten Arbeitswelt (Arbeitsverteilung, IuK-Technologie, geringerer Reiseaufwand, flexibler Ort, Arbeitserleben, Teamarbeit), aufgrund der einzelwirtschaftlichen Verhältnisse und der Qualifizierungsentwicklung. Sie ermöglicht die Chance zur Selbständigkeit und verbesserter Lebensqualität. Bei den besonderen Mitarbeiterkreisen sind es die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Erziehende, die verbesserte Integration von Behinderten in das Arbeitsleben sowie die im Zuge des Aufkommens virtueller Unternehmen wachsende Zahl von Portfolioworkern (d.h. Arbeitskraftunternehmern), deren Möglichkeiten durch die Art der Arbeit bei Telearbeitsverhältnissen wachsen.
Für die externen direkten Anspruchsgruppen (Lieferanten und Kunden) entsteht der Nutzen über die Dezentralisierung von Einzelarbeitsaufgaben und die damit verbesserte Informations- und Entscheidungsqualität in der Interaktion des Telemitarbeiters mit dem externen Partner. Telekooperation und Unternehmensvernetzung ermöglichen die Verbesserung des Qualitäts-, Zeit- und Kostenmanagements zwischen den Mitarbeitern kooperierender Unternehmen.
Heller fordert auch die Berücksichtigung der nicht direkt kooperierenden indirekten Anspruchsgruppen (Staat, Gesellschaft, Regionen, Ökologie und Netz- und Endgeräteanbieter) im Anspruchsgruppenmanagement. Für sie formuliert er allerdings eher programmatische Anstöße denn einen exakten Abriß möglicher Nutzenpotentiale.

21.02.2001; KS