Dörr, G. / Jüngst, K. L. (Hrsg.): Lernen mit Medien – Ergebnisse und Perspektiven zu medial vermittelten Lehr- und Lernprozessen

Dörr, G. / Jüngst, K. L. (Hrsg.): Lernen mit Medien – Ergebnisse und Perspektiven zu medial vermittelten Lehr- und Lernprozessen, ISBN 3-7799-1387-9. Juventa Verlag Weinheim, München 1998. 224 Seiten.

Themen: Didaktisches Design, Lernumgebung, Medien, Selbstgesteuertes Lernen.

Abstract
Von unterschiedlichen Richtungen der deutschen Pädagogik her werden die Möglichkeiten der neuen Medien beurteilt.

Inhaltsverzeichnis
Auswahl
(1) Lerneffekte computerunterstützten Durcharbeitens von Concept Maps und Texten (Jüngst, S. 25-44)
(2) Didaktisches Design multimedialer Umgebungen (Seel, Al-Diban, Held, Hess; S. 87-120)
(3) Selbstkontrolliertes Lernen und didaktisches Design (Niegemann, S.121-140)
(4) Multimediales Lernen in der Weiterbildung (Dörr, Birkel; S.141-158)
(5) Lernen mit Multimedia aus psychologisch-didaktischer Perspektive (Issing, S.159-178)
(6) Informationen im Netz und selbstgesteuertes Lernen (Straka, S. 79-192)
(7) Auf dem Weg zu einer neuen Kultur des Lehrens und Lernens ( Mandl, Reinmann-Rothmeier; S.193-206)

Bewertung
Ein solider medienpädagogischer Band mit Stärken in den perspektivischen Aussagen.
Inhalt

(1) Lerneffekte
Es wird ein Experiment zu computergestütztem Lernen dargestellt, in dem untersucht wurde, inwieweit „kurzfristige Behaltensleistung“ von der Darstellungsform eines Stoffs abhängt; gegenübergestellt wurden dabei Netzdarstellungen (Concept Maps) und gewöhnliche Texte. Erwartungsgemäß zeigte sich, dass Netzdarstellungen für das kurzfristige Behalten von Wegen, die in Computerprogrammen beschritten werden, vorteilhaft sind.

(2) Didaktisches Design
Seit den frühen 1990er Jahren steht das Modell des „Cognitive Apprenticeship“ (A.S. Collins, J.S. Brown u.a.) im Mittelpunkt didaktischer Überlegungen zur Gestaltung medialer Lernumgebungen. Cognitive Apprenticeship umfasst bausteinartig die Bereiche (1) Inhalte, (2) Lernmethoden, (3) Sequenzierung (Lernschrittabfolge) und (4) sozialen Kontext.
Besonders von Belang sind für die Autoren die Lernmethoden, und hierbei das Experimentieren mit Modeling, Coaching und Scaffolding. Beim Modeling wird ein Experte (Lehrer) beobachtet; beim Coaching wird der Experte aktiv nachgeahmt, mit ergebnisorientierten Hilfestellungen (Korrekturen) durch den Coach bzw. ein coachendes System; Scaffolding bezeichnet eine noch weitergehende, problemorientierte Hilfestellung durch ein ‚Gerüst‘, mit Hilfe dessen man sich im Problemraum bewegt.
Experimente anhand des Themas „Wirtschaftssysteme“ zeigen deutlich bessere Lernergebnisse bei den Methoden des Modelling und Coaching im Vergleich zum Scaffolding; die letztere Methode erscheint aber speziell bei explorativem Lernen als aussichtreich.

(3) Selbstkontrolliertes Lernen
Im Beitrag von Niegemann (Deutsches Institut für Fernstudien/Tübingen) werden die Dimensionen der Freiheitsgrade beim Selbstkontrollierten Lernen aufgezeigt: (a) Ausmaß der Vertiefung (Elaboration), (b) Lerndauer, (c) Zeitpunkt, (d) Pausen (Strukturierung), (e) Lernort, (f) Partner (soziales Umfeld), (g) Art der Medien, (h) Sequenz der Inhalte, (i) Ausmaß des Übens, (j) Auswahl von Beispielen, (k) Lerntechniken, (m) Lernstrategien, (n) Beanspruchung von Hilfen (Fragestellungen). (S. 123) Drei Fragen zum Selbst-kontrollierten Lernen werden gestellt:
(1) Ist ein hohes Ausmaß an Selbstkontrolle sinnvoll (normative Frage)?
(2) Wie lässt sich Gelingen/Misslingen Selbstkontrollierten Lernens erklären (deskriptiv)?
(3) Wie kann Selbstkontrolliertes Lernen gefördert werden (technologisch)?
Zu (1): Diese Frage beantworte sich insofern von selbst, als Autonomie zu den grundlegenden Werten unserer Kultur gehört.
Zu (2): Es gelingt erfahrungsgemäß, wenn Eigenmotivation vorhanden ist und gehalten werden kann, wenn Techniken des Information-Aufnehmens und -Verarbeitens vorhanden sind und wenn die Anwendung bzw. Übertragung (Transfer) des Gelernten sichergestellt ist; wie Letzteres gewährleistet werden kann, ist nach Niegemann eines der am Wenigsten bewältigten Probleme.
Zu (3): Es besteht ein weitgehender Konsens, dass Lernumgebungen mit einem reichen Angebot an Handlungsalternativen und greifbaren Möglichkeiten der Beratung, Hilfe, Anleitung förderlich sind.
Beim Design entsprechender Lernumgebungen sei darauf zu achten, dass die Designfunktionen den Lehrfunktionen (teaching functions) entsprechen. Die kognitiven Funktionen seien dabei ein vergleichsweise geringes Problem gegenüber den affektiven und motivationalen; auch die längerfristigen Wirkungen des Selbstkontrollierten Lernens (einschließlich der „Sleeper-Effekte“) kennenzulernen, gehöre zu den zukunftsträchtigen Forschungsaufgaben.

(4) Multimediales Lernen
Im Beitrag von Dörr/Birkel sind Erkenntnisse aus einem Vergleich traditioneller mit multimedialer Weiterbildungsseminare bei der Deutschen Telecom zusammengefasst.
Als Ziele der neueren Seminarformen wird in erster Linie das Beherrschen von Lern- und Denkstrategien herausgestellt; den Autoren zufolge sind sie es, die den Transfer auf fremde Inhaltsbereiche erleichtern. Im Übrigen sei der Transfer von der Einbettung in situative Kontexte abhängig: Man soll „den Lernenden die Möglichkeit bieten, neues Wissen mit bereits vorhandenen Kenntnissen in Beziehung zu setzen.“ (S. 147)

(5) Psychologisch – didaktische Perspektive
J.S. Issing (FU Berlin) stellt fest, dass von Multimedia unter Einbeziehung von Online-Diensten die Lösung drängender Bildungsproblem erwartet werden, und zwar in Richtung interaktivem, anschaulichem und kooperativem Lernen.
Besondere Bedeutung misst er der Interaktivität zu, die jedoch noch in den Anfängen stecke. Von wirklicher Interaktivität könne man erst sprechen, wenn
* die Lernenden kreativ sein können, z.B. durch Modifizierung von Inhalten;
* die Programme dynamisch und adaptiv auf Lernaktionen reagieren;
* die Lernenden die Kontrolle über den Lernprozess übernehmen;
* den Lernenden vom Mediensystem durchgängig Hilfe oder Führung angeboten wird.
Nachhaltig wird laut Issing das Bildungssystem allerdings nur verändert werden, indem die neuen Möglichkeiten nicht nur gerätemässig Einzug halten, sondern durch Entfaltung der didaktischen Potenzen die Qualität des Lehrens und Lernens verbessert wird.

(6) Selbstgesteuertes Lernen
Straka erachtet es als notwendig, dem vagen Begriff des Selbstgesteuerten Lernens Schärfe zu verleihen. Seine minimale Bestimmung: „Selbstgesteuertes Lernen findet statt, wenn die Beziehung zwischen Lernendem und Gegenstand durch Interesse gekennzeichnet ist … “ (S. 181)
Für eine ausführlichere Bestimmung des Begriffs müssten aber noch Strategien (für die Aneignung), Kontrolle dieser Strategien und Evaluation der Lernergebnisse hinzukommen.

(7) Neue Lehr- und Lernkultur
Von Mandl und Reinmann-Rothmeier (Uni München) werden Kompetenzen auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur reflektiert; folgende würden bedeutsam werden:
* Technische Kompetenz — technisches Basiswissen wird zu einer Art Grundqualifikation;
* Kompetenz zum Wissensmanagement — Überblick und Orientierung durch die Fähigkeit der Selektion der Informationen nach Inhalt, Bedeutung und Nutzen;
* Persönliche Entscheidungsfindungskompetenz;
* Demokratische Kompetenz.
Wir brauchen, so die Autoren weiter, eine Lernkultur, die sich von den Metaphern des Wissenstransports und der Informationsübertragung löst. Die Charakteristika des als möglich Erachteten sind, dass Lernen unter authentischen Bedingungen, in multiplen Kontexten wie unter multiplen Perspektiven und in sozialem Kontext stattfindet.

02.10.2001; MF