Burr, Wolfgang / Kreis-Engelhardt, Barbara: Telearbeit und organisatorischer Wandel in Versicherungsunternehmen – Eine empirische Erhebung zu Stand und Problemen der Einführung von Telearbeitsformen bei deutschen Versicherungsunternehmen

Burr, Wolfgang / Kreis-Engelhardt, Barbara: Telearbeit und organisatorischer Wandel in Versicherungsunternehmen. Eine empirische Erhebung zu Stand und Problemen der Einführung von Telearbeitsformen bei deutschen Versicherungsunternehmen, Karlsruhe 1999. 83 Seiten. ISBN 3-88487-750-X. 29,80 DM.

Themen: Arbeits- und Tarifrecht, Betriebswirtschaftslehre, Implementierung Produktivitätspotentiale, Unternehmensstrukturen, Versicherungsbranche.

Abstract
In der vorliegenden Untersuchung sollen die bisweilen euphorischen Produktivitätssteigerungserwartungen hinsichtlich Telearbeit empirisch überprüft werden. Die Grundlage bilden 16 Pilotprojekte und Feldversuche in deutschen Versicherungen zur Einführung von Telearbeit.

Inhaltsverzeichnis
1. Telearbeit in der deutschen Versicherungswirtschaft: Stand, Perspektiven und ungelöste Probleme
2. Konzeptionelle Grundlagen: Anreiz-, Steuerungs- und Kontrollsysteme bei Telearbeit
3. Ergebnisse der empirischen Untersuchung bei 16 Versicherungsunternehmen
4. Schlußfolgerungen

Bewertung
Branchenspezifische Untersuchung im Versicherungssektor, die versucht ihre theoretische Prämisse der zunehmenden Notwendigkeit von Telearbeit zu verifizieren, nach teilweiser Falsifizierung dann aber an derselben festhält und die Rahmenbedingungen verantwortlich macht.

Inhalt

1. Telearbeit in der deutschen Versicherungswirtschaft: Stand, Perspektiven und ungelöste Probleme
In der Versicherungsbranche wird im Experimentieren mit neuen Formen der Arbeitsorganisation und Kundeninteraktion ein Ansatzpunkt zur langfristigen Sicherung von internationaler Wettbewerbsfähigkeit gesehen. Telearbeit fügt sich zudem harmonisch in die derzeit herrschenden Trends von Unternehmensorganisation ein, die allesamt Dezentralisierung begünstigen: Lean Management, Outsourcing betrieblicher Leistungen, Reengineering von Betriebsabläufen, Modularisierung von Betriebsprozessen. Telearbeit ist dabei ein Trendverstärker, der die Flexibilisierung des Arbeitsprozesses unterstützt.
Grundlage der Untersuchung war ein von den Autoren entwickeltes Konzept zur Gestaltung von Anreiz-, Steuerungs- und Kontrollsystemen in einer Telearbeitsumgebung. Die Ergebnisse sollen Hinweise auf Organisationsprinzipien für Telearbeitsumgebungen sowie mögliche Erklärungen für die in vielen Versicherungen bisher nicht eingetretenen hohen Produktivitätssteigerungen liefern. Die Ausgangsthese der Untersuchung lautet, daß die Notwendigkeit wächst, bestehende Unternehmensstrukturen an die Erfordernisse von Telearbeit anzupassen.

2. Konzeptionelle Grundlagen: Anreiz-, Steuerungs- und Kontrollsysteme bei Telearbeit
Als konzeptionelle Grundlage schlagen die Verfasser ein Telemanagement-Konzept vor, das dem Kernproblem der Führung von Telearbeitern (der weitgehenden Unmöglichkeit direkter Beaufsichtigung durch den fachlichen Vorgesetzten) mittels einer Veränderung im Anreiz-, Management- und Kontrollystem Rechnung trägt. Hierzu gehört der Wandel von Anreiz-und Entlohnungssystemen, die nicht mehr die physische Anwesenheit oder den Leistungserstellungsprozeß und das persönliche Wohlverhalten honorieren, sondern das erbrachte Leistungsergebnis, die Performance und die Gewinnbeteiligung (Aktienoptionen) in den Mittelpunkt stellen.
Gegenüber traditionellen Arbeitsverhältnissen müssen die Managementprinzipien und Steuerungssysteme von der verhaltens- und weisungsorientierten Mitarbeiterführung zur ergebnis- und outputorientierten Mitarbeiterführung (management by objectives) gefördert, wenn nicht gar erzwungen werden. Das heißt, betriebswirtschaftliche Methoden zur Messung der Performance und der Erfassung des Outputs werden an Bedeutung gewinnen. Subjektive Beurteilungen verlieren an Bedeutung.
Der Wandel von Kontrollsystemen kann zum einen bedeuten vollständiger Verzicht auf Kontrolle, zum anderen eine Konzentration auf andere Kontrollparameter. Es gibt eine Reihe weiterer Alternativen, die dem Management ungeachtet der verlorengegangenen oder verminderten Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung steht. Hierzu gehören die zahlenmäßige Vermehrung oder der Wechsel von Kontrollinstanzen, die zahlenmäßige Vermehrung und das Benchmarking von Kontrollobjekten (Kontrollgruppe), die verbesserten oder neuartigen Kontrollmöglichkeiten der IuK-Technik sowie die Entschärfung von Kontrollproblemen durch die Einführung von alternierender Telearbeit.

3. Ergebnisse der empirischen Untersuchung bei 16 Versicherungsunternehmen
Die empirische Untersuchung basiert auf persönlichen und telefonischen Experteninterviews sowie auf der schriftlichen Befragung mittels eines standardisierten Leitfadens in 16 Versicherungsunternehmen im Zeitraum Februar bis Juli 1997. Eine Erkenntnis besteht in den bei einigen Unternehmen teilweise enttäuschenden Ergebnissen bezüglich der durch Telearbeit erzielbaren Produktivitätsfortschritte. Daraus resultiert die Infragestellung von euphorischen Diffusionssprognosen. Es zeichnet sich ab, daß das Kernproblem nicht die Implementierung der Technik, sondern das Management im Sinne der Einpassung der Telearbeit in die bestehenden Unternehmensstrukturen sowie des durch Telearbeit induzierten organisatorischen Wandels ist. Ferner begünstigt die Einführung von Telearbeit eine stärkere Output- und Ergebnisorientierung der Anreiz-, Steuerungs- und Kontrollsysteme sowie innovative Umgestaltungen innerbetrieblicher Strukturen. Die in diesem Zusammenhang vermuteten radikalen Veränderungen haben sich allerdings nicht beobachten lassen bzw. wurden von den befragten Unternehmen teilweise auch nicht für erforderlich erachtet. Diese sind aber nach Meinung der Autoren eine unabdingbare Voraussetzung für die Aktivierung der Produktivitätspotentiale.

4. Schlußfolgerungen
Die Versicherungsbranche erscheint im Hinblick auf die Akzeptanz, verglichen beispielsweise mit Kreditinstituten, aufgeschlossener und experimentierfreudiger.
Offenbar führt die Telearbeit zu keinem Auseinanderdriften der Unternehmenskultur, wenn rechtzeitig und bewußt entsprechende Maßnahmen organisatorischer (flache Organisationsstrukturen, Teambildung, Beteiligung an Unternehmensentscheidungen, Workflow, Kommunikationsregeln) und personalpolitischer Art (individuelle Schulungsprogramme, Workshops, moderiertes Training, soziale Events und Sozialisation der Telearbeiter) getroffen werden.
Als Hemmschuh stellt sich die zu langsame Reform des auf das traditionelle Arbeitsrechtsverhältnis zugeschnittenen rechtlichen Rahmens heraus. Darüber hinaus würden viele Unternehmen die Reform von Anreiz-, Steuerungs- und Kontrollsystemen scheuen, weil sie betriebsinterne Konflikte zwischen Beschäftigtengruppen sowie mit dem Betriebsrat vermeiden wollen.

07.02.2001; KS