Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.): Entwicklung der Telearbeit – arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.): Entwicklung der Telearbeit – arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, Gutachen für das Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung im Auftrag des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Verfasst von Prof. Dr. Peter Wedde (d+a consulting). Eppstein 1997 (Forschungsbericht Nr. 269). 261 S. ISSN 0174-4992.

Themen: Arbeits- und Tarifrecht, Erwerbsformen, Interessensvertretung, Scheinselbständigkeit, Telearbeitsformen.

Abstract
Die Studie handelt von den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen der Telearbeit und lotet den gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf individueller und kollektiver Ebene aus.

Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Definition von Telearbeit (1-5)
2. Beschäftigungsverhältnisse der Telearbeit – Statusfragen und Probleme der Scheinselbständigkeit (6-65)
3. Individualrechtliche Fragen der Telearbeit (66-130)
4. Zutrittsrechte zum Telearbeitsplatz (131-152)
5. Umsetzung des Arbeitsschutzes bei Telearbeit (153-195)
6. Auswirkungen auf den arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff (196-216)
7. Kollektivrechtliche Möglichkeiten (217-236)
8. Telearbeit und Gewerkschaften (237-248)
9. Telearbeit – arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen (249-250)
10. Literaturverzeichnis (251-261)

Bewertung
Diese umfassende Würdigung einschlägiger rechtlicher Probleme dürfte insbesondere die Repräsentanten der Tarifparteien interessieren.

Inhalt

1. Definition von Telearbeit
Eingangs definiert der Autor den Begriff der Telearbeit (TA). Er referiert die üblichen Unterscheidungen (ausschließliche TA, Nachbarschafts- und Satellitenbüros und alternierende TA). Da die Unterscheidung von alternierender und mobiler TA unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht relevant ist, wird auf eine differenzierte Darstellung verzichtet.

2. Beschäftigungsverhältnisse der TA – Statusfragen und Probleme der Scheinselbständigkeit
Die Grundlage des Rechtsgutachtens ist die Analyse der bei TA möglichen Beschäftigungsverhältnisse. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß in der überwiegenden Zahl der Fälle ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Die in der Praxis auftretenden Abgrenzungsprobleme sind weitgehend dieselben wie bei konventionellen Tätigkeiten auch. Das Gutachten kommt zum Schluß, daß aufgrund des „Regelfalls Arbeitsverhältnis“ (S.64) kein telearbeitsspezifischer Handlungsbedarf gegeben ist. Konkrete Aussagen zur Verbindung von TA und Scheinselbständigkeit sind zum Zeitpunkt der Abfassung (1997) noch nicht möglich. Grundlegenden Regelungsbedarf sieht die Studie vor allem im Hinblick auf die „Legaldefinition des Arbeitnehmerbegriffs“ gegeben, da darüber auch die „Graubereiche“ (S.65) beseitigt werden könnten, die Scheinselbständigkeit bedingen. Andernfalls befürchtet der Autor Abgrenzungsprobleme und eine Zunahme von Scheinselbständigkeit.

3. Individualrechtliche Fragen der TA
Ein wesentlicher Teil der Studie beschäftigt sich mit den individualrechtlichen Fragen von TA. Zwar besteht der arbeitsschutzrechtliche Rahmen unverändert, allerdings zeichnen sich bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben Probleme ab. Während die Planungsphase weitgehend unproblematisch erscheint, verhält sich das in der Durchführungsphase anders. Das betrifft Regelungen über den Beginn der TA, haftungsrechtliche Fragen, Kostentragung, Betriebsrisiko, gesetzlicher Datenschutz, Gültigkeit individueller Rechtspositionen des Betriebsverfassungs- und des Bundespersonalvertretungsgesetzes, Beendigung der TA und Mietrecht. Hier sieht der Autor gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Für die Durchführungsphase schlägt der Autor die Festschreibung des Freiwilligkeitsprinzips, die gesetzliche Verankerung von Grundsätzen zur Haftung bzw. Haftungsbegrenzung, Regelungen zur Kostenerstattung (keine Kostenverlagerung auf die Beschäftigten), gesetzliche Zuweisung des Betriebsrisikos in die Sphäre des Arbeitgebers, Vorgaben beim Datenschutz sowie entsprechende Regelungen zur Beendigung von TA vor. Im kollektiven Bereich können zwar bestehende Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte zur Festigung individualrechtlicher Positionen genutzt werden, doch stehen entsprechend nutzbare Rechtspositionen nur beschränkt zur Verfügung.

4. Zutrittsrechte zum Telearbeitsplatz
Die im arbeitsrechtlichen Bereich bestehenden Handlungs- und Kontrollpflichten zu Lasten der Arbeitgeber setzen den direkten Zutritt (auch von betrieblichen Vertretern und staatlichen Aufsichtsbehörden) zu allen Arbeitsplätzen des Betriebs voraus. Es bestehen keine Probleme bei Nachbarschafts- und Satellitenbüros, sehr wohl aber bei den Wohnungen der Beschäftigten (Art.13, GG). Daher ist die vertragliche Vereinbarung von Zugangsrechten unumgänglich. Flankierende gesetzgeberische Maßnahmen (Präzisierung der Rechtsnormen etwa im Falle der Wahrnehmung von Grundrechten wie z.B. der Unverletzbarkeit der Wohnung) zeichnen sich ab. Auf indvidueller Ebene erscheinen vertragliche Vereinbarungen von Zutrittsrechten (Zeit, Umfang, Verweigerungsfall usw.) ebenso unumgänglich. Es werden auch auf kollektiver Ebene Lösungsmöglichkeit erwogen, die aber nur möglich sind, wenn es entsprechende individuelle Zutrittsvereinbarungen gibt.

5. Umsetzung des Arbeitsschutzes bei TA
Bei TA gilt der gesetzliche Arbeitsschutz. Umfassender Schutz wird bei Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses gewährt. Bei einer Verlagerung des Arbeitsortes müssen Arbeitgeber durch vertraglich zu regelnde arbeitsschutzbezogene Zutrittsrechte die Umsetzung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen sichern. Der Autor sieht sowohl auf gesetzgeberischer (Verantwortlichkeit, Verankerung technischer und organisatorischer Kontrollen, Mitbestimmungsrechte), individueller (Zutrittsrecht der Arbeitsschutzinstanzen) und kollektiver Ebene (Betriebs- und Dienstvereinbarungen oder Tarifverträge) Handlungsbedarf.

6. Auswirkungen auf den arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff
Die Zugehörigkeit zum „Betrieb“ regelt individual- und kollektivrechtliche Positionen der Beschäftigten. Die hinzugezogene Literatur kommt einhellig zur Meinung, daß der häusliche Arbeitsplatz „als Teil des Betriebs“ (S.215) anzusehen ist. Dennoch ist die Anwendung des Betriebsbegriffes nicht unproblematisch. Der Autor prognostiziert Probleme, wenn neue Organisationskonzepte wie „Lean-Office“ oder „Just in time“ innerhalb virtueller Unternehmensstrukturen den geltenden Betriebsbegriff leerlaufen lassen könnten. Die Studie sieht daher gesetzgeberischen Handlungsbedarf bei der Präzisierung und Ausweitung des Betriebsbegriffs. Im individualrechtlichen Bereich läßt sich Rechtssicherheit durch entsprechende vertragliche Regelungen erreichen. Im kollektiven Bereich sieht der Autor nur begrenzte Möglichkeiten zur Ausgestaltung und Anpassung des Betriebsbegriffs.

7. Kollektivrechtliche Möglichkeiten
Auch wenn der Autor eine grundsätzlich gegebene Anwendbarkeit der Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes und der Vorschriften des Personalvertretungsrechtes im kollektivrechtlichen Rahmen für gegeben sieht, hält er die TA in dieser Hinsicht nicht für problemlos. Allerdings sind die meisten identifizierten Problemfelder (Begrenzung auf Informations- und Beratungsrechte in der Planungsphase, Beschränkung von Mitbestimmungsrechten auf Teilaspekte der TA, Fehlen von Mitbestimmungsrechten bei Arbeit nach Zielvorgaben, Wegfall der Anwendbarkeit kollektivrechtlicher Regelungen bei dauerhafter grenzüberschreitender Tätigkeit, erhöhter Zeitaufwand durch zunehmende räumliche Zergliederung) nicht als ausschließlich telearbeitsspezifischer Natur. Gesetzgeberische Maßnahmen sollten sich also nicht allein darauf beschränken.

8. TA und Gewerkschaften
Gewerkschaftliche Aspekte sind angesichts der räumlichen Zergliederung des Betriebs die Fragen des Zugangs zum Betrieb und des persönlichen Kontaktes zu den Beschäftigten sowie die Veränderung der Effizienz von Arbeitskämpfen und die Streikfähigkeit. Zusätzlich zu den bestehenden gesetzlichen Regelungen empfiehlt der Autor den direkten Zugang durch Formen des elektronischen Kontakts zu ergänzen. Neue Kampfformen („elektronischer Streik“ durch Blockade von Kommunikationsnetzen oder Betriebsbesetzungen) kollidieren derzeit mit den Vorgaben einschlägiger Rechtsprechung. Die entsprechende Rechtsprechung im konkreten Fall bleibt abzuwarten, wenn die klassischen Möglichkeiten nicht mehr greifen. Der Autor sieht aber gesetzgeberischen Handlungsbedarf derzeit als nicht gegeben an. Die meisten individual- und kollektivrechtlichen Probleme lassen sich in Tarifverträgen regeln.

9. TA – arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
Die Untersuchung zeigt, daß TA den arbeitsrechtlichen Rahmen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses im Grunde nicht verändert, allerdings eine konkrete Umsetzung eines solchen Rahmens bei häuslichen Formen schwierig ist. Der Autor lehnt ein spezifisches Telearbeitsgesetz ab und schlägt die Lösung der identifizierten Probleme über ein Artikelgesetz vor.

31.03.2001; KS